Die rechtsextreme Partei Mi Hazánk (Unsere Heimat), die nach der Wahl vom April ins ungarische Parlament eingezogen war, hatte das Gesetz eingebracht, die Regierungspartei Fidesz hatte die Vorlage, wie üblich, über Nacht beschlossen und schon am nächsten Morgen im Gesetzesblatt veröffentlicht. Seit Donnerstag ist sie nun in Kraft: die Regelung, dass ungarische Frauen vor einer Abtreibung per Ultraschall den Herzschlag ihres Fötus anhören müssen.
Die neuesten medizinischen Geräte, heißt es, machten das möglich, womit auch eine "umfassendere Information für schwangere Frauen" ermöglicht werde. Die Rechtsextremen hatten damit argumentiert, dass Personen, die abtreiben wollten, auf diese Weise damit konfrontiert würden, dass es sich um ein lebendiges Wesen handele.
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Laut der Formulierung, die Innenminister Sándor Pintér vorlegte, heißt es nun umständlich, bei der Beantragung eines Schwangerschaftsabbruchs müsse eine Frau eine fachärztliche Bescheinigung vorweisen, der zufolge ihr "die Faktoren, die auf das Vorliegen der Lebensfunktionen des Embryos hinweisen, zur Kenntnis gebracht" wurden. In Ungarn gilt, wie in Deutschland, die Fristenlösung. Frauen können mit Verweis auf eine persönliche Krisensituation bis zur zwölften Woche abtreiben.
Angebliche Unterstützung eines Hebammenverbands, den es nicht mehr gibt
Allerdings ist die Regierung von Viktor Orbán schon lange auf einem Kreuzzug für christliche Werte und die traditionelle Familie. Der Vorstoß in den USA, wo der Supreme Court vor wenigen Monaten das Recht auf Abtreibung als nicht verfassungsgemäß erklärte, dürfte den Fundamentalisten auch in Ungarn Auftrieb gegeben haben - erinnert das neue Gesetz doch sehr an die sogenannten Heartbeat Bills in einigen US-Bundesstaaten. Demnach ist eine Abtreibung illegal, sobald der Herzschlag des Fötus zu hören ist.
Das neue Gesetz in Ungarn geht nicht so weit. Kritiker bezeichnen es allerdings als Versuch, Abtreibungen ins moralische Zwielicht zu rücken. Aron Demeter, Sprecher von Amnesty International Ungarn, sagte, das Dekret würde "den Zugang zu legalen und sicheren Abtreibungen erschweren". Die Gesetzesänderung sei "aus dem Nichts gekommen, ohne irgendeine Art von öffentlicher und professioneller Konsultation zu diesem Thema".
Tatsächlich verweist die Fidesz-Regierung in ihrer Begründung darauf, dass auch der nationale Hebammenverband die neue Bestimmung befürworte. Offenbar aber existiert dieser Verband seit 2017 gar nicht mehr; er wurde aufgelöst. Die ehemalige Präsidentin der Berufsorganisation, Rita Nováky, wird von mehreren Medien damit zitiert, dass der Verband, selbst wenn es ihn noch gäbe, nicht für diese Verschärfung votieren würde, die laut Psychologen eine "ohnehin traumatisierende Situation für Frauen noch traumatisierender und belastender" mache.
In ungarischen Medien sind die Reaktionen auf das neue Gesetz zweigeteilt. Die regierungskritische Zeitung Népszava kommentiert, die Regierung wolle offenbar "langfristig die Herrschaft der Staatsmacht über den weiblichen Körper wiederherstellen". Die Fidesz-Zeitung Magyar Nemzet lobt hingegen, das "Herzton-Dekret" sei "ein kleiner Sieg der Lebensschützer über den Todeskult".