Unfallforschung:Je erfolgreicher, desto aggressiver

Autofahrer werden zunehmend rabiater, Strafen schrecken sie nicht ab. Die meisten behaupten, nur mit Freisprechanlage zu telefonieren. Stimmt das?

Von Thomas Öchsner, Berlin

Die freie Fahrt für freie Bürger ist für viele Auto- und Radfahrer oft nur ein Wunschtraum. Stattdessen wird gedrängelt, gehupt oder rechts auf der Autobahn überholt. Die Aggressivität auf Deutschlands Straßen nimmt zu. Das geht aus einer Studie der Unfallforschung der Versicherer hervor. Danach schätzen sich 44 Prozent der Männer und 39 Prozent der Frauen sogar selbst im Straßenverkehr als "mindestens manchmal aggressiv" ein. Für die Untersuchung "Verkehrsklima 2016" wurden gut 2000 Bürger zwischen 18 und 93 Jahren befragt. Etwa die Hälfte von ihnen fühlt sich danach auf der Straße gestresst, wohl auch, weil der Raum auf den Straßen immer knapper wird. Was die Unfallforscher noch herausgefunden haben - ein Überblick:

Aggression: Hier zeigten sich offenbar viele Befragte erstaunlich ehrlich: Fast ein Viertel gab an, manchmal aufs Gaspedal zu treten, "wenn ich überholt werde". Fast jeder Dritte räumte ein, kurz auf die Bremse zu treten, wenn ein Fahrer zu nah auffährt. Männer berichten laut der Umfrage häufiger als Frauen von eigenen Aggressionen, bei denen es darum geht, sich im Verkehr durchzusetzen und sich etwa mit der Lichthupe Platz zu verschaffen.

Aggression und Einkommen: Für Unfallforscher Siegfried Brockmann, der die Untersuchung in Berlin vorstellte, ist nicht überraschend, dass gerade die Befragten zwischen Mitte 20 und Mitte 30, sich selbst als besonders aggressiv einschätzen. Auch dass Vielfahrer eher zu einem aggressiven Verhalten neigen, liegt nahe. Erstaunt hat ihn aber, dass das Aggressionspotenzial mit dem Monatseinkommen und dem Bildungsgrad steigt (Grafik). Er begründet dies so: "Ich denke, es sind Menschen, die es gewohnt sind, sich durchzusetzen".

Frauen am Steuer: Früher ließen viele Frauen ihre Männer fahren, heute lenken sie gerne selbst. Dieser Mentalitätswechsel ist für Brockmann der Hauptgrund, warum die Bürger mehr als früher glauben, sich sicher auf den Straßen bewegen zu können. So erklärten 2016 fast zwei Drittel, sie fühlten sich auf der Straße sicher oder sehr sicher. 2010 traf dies noch auf gut die Hälfte zu. Der Experte führt dies auf den Zuwachs selbstbewusster junger Fahrerinnen zurück. Der Umfrage zufolge lassen sich Frauen aber auch weniger gefallen. Während Männer "eher auf Dominanz ausgerichtet" seien, versuchten Frauen im Verkehr "nicht unterzugehen", sagt Brockmann. Statt die Lichthupe zu drücken, treten sie bei Dränglern hinter ihnen mal auf die Bremse.

Strafen: Nach den Erkenntnissen der Forscher lässt sich eine Gruppe von Autofahrern von Geldbußen kaum abschrecken. Sie fahren aggressiv, kassieren auch häufiger Strafen, ihr Verhalten ändern sie aber nicht. Dies hänge auch damit zusammen, dass die Wahrscheinlichkeit, von der Polizei entdeckt zu werden, eher gering sei.

Selbst- und Fremdeinschätzung: Immer die anderen - so sehen es auch die allermeisten Autofahrer: 97 Prozent erklären zum Beispiel, sie hätten schon gesehen, wie Radfahrer dicht überholt werden. Aber 95 Prozent sagen zugleich, sie würden stets Rücksicht nehmen. Solche Aussagen, die nicht zusammenpassen, fanden die Unfallforscher auch bei anderen Beispielen.

Handy im Auto: 80 Prozent geben an, nicht ohne Freisprechanlage das Handy im Auto zu nutzen. Brockmann glaubt nicht, dass das stimmt: Viele Autofahrer sagten nur das, was sozial erwünscht sei. Der Unfallforscher befürchtet, dass Unfälle in Zukunft zunehmen, weil immer mehr junge Autofahrer sich durch ihr Smartphone ablenken lassen.

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