Süddeutsche Zeitung

Unerwünschte Personaldebatte in der SPD:Nur nicht über Posten reden

Die einen sprechen von "tödlicher Gefahr", die anderen bekommen "Pickel im Gesicht": An der SPD-Basis regt sich kräftiger Widerstand gegen die Neuauflage einer großen Koalition. Gerade jetzt verbittet sich Parteichef Sigmar Gabriel eine Debatte über künftige Ministerposten. Vergeblich.

Von Susanne Höll, Berlin

An diesem Montag wird bei Sigmar Gabriel das Telefon läuten. Am Apparat ist die Kanzlerin. Wann man sich denn treffen könne? Und wo? In Berlin? Oder vielleicht doch in Stuttgart, am Rand der Feiern zum Tag der deutschen Einheit? In dieser Woche, so die allgemeine Erwartung, werden die Spitzen der Union mit Sozialdemokraten und Grünen in einer ersten Gesprächsrunde erkunden, ob es denn etwas werden könne mit einer gemeinsamen Regierung. Und für SPD-Chef Gabriel, der die erste Runde der schwierigen Aktion Regierungsbildung mit Geschick absolviert hat, dürfte es dann ziemlich schwierig werden. Womöglich außerordentlich schwierig.

Denn die gelöste Stimmung beim kleinen Parteitag, der Gabriel und seinen Leuten am Wochenende mit überraschend großer Mehrheit erlaubte, überhaupt mit Merkel über dieses heikle Thema zu reden, wird nicht fortdauern.

Nahezu heiter ging der Konvent am späten Freitagabend in Berlin zu Ende. Als ein sichtlich erleichterter Gabriel vor den Kameras sagte, er sei stolz, Mitglied dieser Partei zu sein, machten sich die Delegierten fröhlich auf den Heimweg. Viel erreicht: Die Basis, nicht die Führung, entscheidet über eine Regierungsbeteiligung, Gefahr der Basta-Politik im Stil von Altkanzler Gerhard Schröder vorerst gebannt. Zerreißprobe vertagt.

In der SPD brodelt es

Die Stunde der Wahrheit dürfte schon am kommenden Wochenende auf die SPD warten. Findet das schwarz-rote Sondierungsgespräch in dieser Woche statt, muss ein weiterer kleiner SPD-Parteitag voraussichtlich am kommenden Wochenende entscheiden, ob man in Koalitionsverhandlungen eintritt.

Dieses Votum, so viel ist sicher, wird den Delegierten schwer fallen. Denn in der SPD brodelt es. Etliche Unterorganisationen lehnen eine große Koalition strikt ab. In zahlreichen Landesverbänden werden Unterschriften gegen eine solche Neuauflage gesammelt. Die Jusos machen mobil, auch Teile der Gewerkschafts-SPD. "Der Gang in die große Koalition ist für die SPD eine tödliche Gefahr", heißt es in einem Aufruf von Berliner Genossen.

Vor dem Willy-Brandt-Haus in Berlin trotzten am Freitag in der nächtlichen Kühle zwei Jusos den Temperaturen und hielten ein Plakat. Auf dem stand: "Würgegriff vermeiden - Schwarz-Rot ablehnen". Im Foyer sagte derweil die frühere Vize-SPD-Vorsitzende und Chefin der Frauen-SPD, Elke Ferner, zum Thema: "Von uns kriegt eigentlich jeder Pickel im Gesicht, wenn er daran denkt." Sie meinte eine Juniorrolle der SPD unter Merkel.

In der Führung der Bundes-SPD macht sich trotz des pfleglichen Umgangs miteinander am Freitag niemand Illusionen über die wahre Lage. "Wir haben keinen Freifahrtschein für irgendwelche Koalitionsgespräche", sagt einer aus dem Team.

Und Gabriels Stolz auf seine Partei war am Wochenende nicht ganz ungebrochen. Irgendjemand hatte unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt, die Sozialdemokraten wollten in einer großen Koalition auf jeden Fall sechs Ministerposten und hätten auch schon ziemlich konkrete Vorstellungen darüber, wer aus der SPD was werden könnte.

Gabriel schäumt. Hatten doch er und seine Mitstreiter mühsam versucht, der widerstrebenden Basis und den Funktionären eine große Koalition mit dem Argument schmackhaft zu machen, es gehe nicht um Ämter, sondern allein um politische Positionen. Leute, die jetzt öffentlich über Posten diskutierten, seien schlichtweg "verrückt", ließ er die Parteikollegen intern wissen. Es gehe um Inhalte, nicht um irgendwelche Ministerwürden. Solche Meldungen, das muss man wissen, nähren das Misstrauen in der SPD, dass der Vorsitzende und andere nur an ihr persönliches Fortkommen denken.

Keine Festlegung aus sachlichen - und taktischen Gründen

Glaubt man Gewährsleuten, gibt es in der SPD-Spitze tatsächlich noch keine Festlegungen über Personalia im Fall von Schwarz-Rot. Aus sachlichen, aber auch aus taktischen Gründen. Ja, das Finanzministerium gilt inzwischen als Schlüsselressort für den Juniorpartner, das Auswärtige Amt, jahrzehntelang traditioneller Sitz des Vizekanzlers, hat an Bedeutung verloren. Aber soll tatsächlich ein Sozialdemokrat der deutschen Bevölkerung erklären, dass man deutlich mehr Geld für Europa ausgeben muss und dass die Steuern steigen, weil die Ministerpräsidenten aller Couleur in der nächsten Legislatur vor allem eines wollen - mehr Geld, damit sie die Schuldenbremse künftig einhalten können.

Apropos Ministerpräsidenten. Die nordrhein-westfälische Regierungschefin Hannelore Kraft, zugleich auch Gabriels Stellvertreterin und Vorsitzende des größten Landesverbandes, sträubt sich dem Vernehmen nach nicht mehr so energisch gegen Schwarz-Rot wie noch vor Wochenfrist. Den Satz des Chefs der SPD-Landtagsfraktion, wonach es nach dieser Bundestagswahl keine große Koalition geben werde, wollen prominente Bundespolitiker von Rhein und Ruhr inzwischen nicht mehr kommentieren.

Die allergrößte Hürde steht Gabriel und seinen Leute aber erst im Spätherbst bevor. Ob die aufgewühlte Basis ein aus Sicht der Führung zumindest einigermaßen zufriedenstellendes Ergebnis im November oder Dezember billigt, ist völlig ungewiss. Wenn nicht, dann muss sich die SPD wohl eine neue Führung suchen. "Dann nämlich wären wir alle weg", sagte jemand aus der Parteispitze in diesen ziemlich turbulenten Tagen.

Neue Nachdenklichkeit statt Aversion

In der Führung, aber auch an der Basis ist man vorerst aber recht zufrieden mit sich selbst. Allerorten wird über Risiken und Vorteile einer neuen großen Koalition debattiert, vom Ortsverein bis ganz nach oben. Aus Kreis-, aber auch Landesverbänden kommt die Meldung, dass die ganz großen Aversionen einer neuen Nachdenklichkeit Platz machen. Denn wie sehen die Alternativen aus? Falls die Grünen sich wider Erwarten zu einer kleinen Koalition bereitfänden und ein solches Bündnis funktionieren würde, könnte die SPD über Jahre hinweg abgemeldet sein. Neuwahlen? Bloß nicht. Davon würde die SPD keinesfalls profitieren, im Gegenteil. Minderheitsregierung? Macht die Kanzlerin keinesfalls mit.

Inzwischen finden sich auch SPD-Politiker, die in vertraulichen Gesprächen einräumen, dass die große Koalition 2009 nicht der alleinige Grund für das damals mit 23 Prozent miserable Abschneiden bei der vorletzten Bundestagswahl war. Man habe sich mit Führungsquerelen und Flügelkämpfen durchaus selbst geschadet, heißt es. Auch darüber wird man intern in den nächsten Wochen sicher reden. Selbst wenn der nächste kleine Parteitag Schwarz-Rot verbieten sollte.

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Quelle:
SZ vom 30.09.2013
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