Unbekanntes China (3):Tattoo-Star Ting

Tätowierungen gelten in China noch immer als Merkmale von Kriminellen und Chaoten. Die Jugend aber emanzipiert sich von dieser Haltung. Ein Besuch bei Shanghais bekanntester Tattoo-Künstlerin.

Jakob Tanner, Shanghai

Gesichtspiercings und kniehohe Lederstiefel, grüner Irokesenschnitt und Tattoos am ganzen Körper: Zhou Danting - genannt Ting - sieht nicht ganz so aus wie eine typische Chinesin. In ihrer Heimatstadt Harbin kannte sie jeder.

Unbekanntes China (3): Grüner Irokesenschnitt und Tattoos am ganzen Körper - Shanghais bekannteste Tattoo-Künstlerin ist ein echter Paradiesvogel.

Grüner Irokesenschnitt und Tattoos am ganzen Körper - Shanghais bekannteste Tattoo-Künstlerin ist ein echter Paradiesvogel.

(Foto: Foto: Chris Wroblewski)

Selbst im ultramodernen Shanghai wirkt die 26-Jährige wie ein Paradiesvogel und ist beinahe so etwas wie eine Galionsfigur der noch wachsenden lokalen alternativen Szene. "Keine Ahnung, wie das gekommen ist. Es ist einfach passiert", sagt Ting, "aber ich liebe es."

Ting ist Tattookünstlerin und hat sich in den knapp drei Jahren in Shanghai einen hervorragenden Ruf erarbeitet. Gemeinsam mit ihrem irischen Lebensgefährten Dylan hat sie ihr Studio von Harbin nach Shanghai verlegt. Nicht, ohne die Warnungen ihrer Freunde in den Wind zu schlagen.

"Viele rieten ihr davon ab, hierherzukommen", erinnert sich Dylan, der eine Art Manager und Mädchen für alles im Tattoo-Studio ist. Doch ihr Lebensgefährte, der seiner Tätigkeit als Englischlehrer in Harbin überdrüssig war und in Shanghai wieder in einem Designbüro anfangen wollte, konnte sie überzeugen. "Anfangs war der Plan: Ich arbeite wieder in meinem alten Bereich und Ting hat ein kleines Studio. Doch es kam anders."

Tings Geschäft hob förmlich ab. Von Anfang an kamen viele meist ausländische Kunden, die allesamt zufrieden mit neuen Tattoos ihr Geschäft verließen. Tings künstlerisches Talent trug ebenso zu ihrem Bekanntheitsgrad bei wie ihr Aussehen; nicht zu sprechen von der medialen Aufmerksamkeit, die der extravaganten Chinesin zuteilwurde. Bis in das renommierte I-D Magazine schaffte es Ting bereits.

Und dann war da noch ihr Engagement in der alternativen Szene Shanghais. Ting unterhielt ein chinesischsprachiges Internetforum mit 7000 Usern, die Themen reichten von Tattoos bis zu Nachtleben und Musik. Doch das Forum wurde dichtgemacht - vielleicht das einzige Mal, dass die Obrigkeit sich gestört fühlte von Tings Treiben. Ein User veröffentlichte das Bild eines Piercings auf der Webseite. Darauf war auch eine weibliche Brustwarze zu sehen: Das war das Ende des Forums.

Ting hätte heute aber ohnehin kaum Zeit, sich auch noch um die Seite zu kümmern. Ihr Aufstieg zu Shanghais bekanntester Tattoo-Künstlerin ist ein Lehrbeispiel für virales Marketing. "Wir haben nie wirklich Werbung gemacht", sagt Manager Dylan. Das größte Anliegen der beiden sei es immer gewesen, das Tattoo-Studio aus der Schmuddelecke herauszuholen. "Die meisten anderen Studios in Shanghai sind genau so, wie man es sich in China leider vorstellt. Wir wollten aber stets einen Ort bieten, an dem man gerne abhängt und merkt, das Hygiene das Wichtigste für uns ist."

Tätowierungen haben im konformistischen China immer noch den Ruf, Merkmale für Kriminelle und Chaoten zu sein. Selbst auf den Straßen des modernen Shanghai gelten sie noch immer als anstößig. "Für den normalen Chinesen sind Tätowierte Abweichler und Störenfriede." Doch so langsam emanzipiere sich die Jugend von dieser Haltung - was auch in Tings Tattoo-Studio zu spüren sei.

"Als wir in Shanghai angefangen haben, waren 90 Prozent unserer Kunden Ausländer. Heute sind es höchstens 60 Prozent", sagt Dylan. Tings Handy klingle heute öfter als sein eigenes. Mehr und mehr junge Chinesen entschieden sich für eine Tätowierung - wenn auch zaghaft. "Sie trauen sich zwar her, doch wollen sie die Tattoos dann oft an Stellen, wo man sie nicht sehen kann", sagt Ting.

Auch die gewünschten Motive seien eher dem konservativen Tattooing anzurechnen - ganz nach den Vorbildern koreanischer oder Hongkonger Popstars, die vermehrt mit kleinen Rosen oder Tribals auf der Haut zu sichten sind - oder den Athleten bei Olympia. Keine Herausforderung für die begabte Zeichnerin. Und dennoch freut es sie, mehr Chinesen Tattoos zu stechen und diese Art Kunst salonfähiger zu machen.

Tattoos als Merkmale westlicher Coolness

An einem anderen Trend wird ersichtlich, wie sehr Chinesen Tattoos als Merkmale westlicher Coolness begreifen und mit ihnen ihre eigene Modernität zum Ausdruck bringen wollen.

"Es gibt eine einfache Regel: Die meisten Ausländer wollen chinesische Schriftzeichen und die chinesischen Kunden wollen Sprüche oder Worte auf Englisch", sagt Dylan.

Beides ist im bilingualen Tattoo-Studio kein Problem - und manchmal sind die beiden auch als Korrektoren gefragt, wie sich Dylan immer wieder gerne erinnert. "Einmal kam eine Ausländerin in unser Studio und wollte ein weiteres Tattoo. Auf ihrem Rücken war schon ein chinesisches. Sie dachte, es hieße 'innere Stärke'." Doch Ting musste ihr Lachen unterdrücken, als sie es sah. Auf dem Rücken der Frau stand der Name einer Biermarke.

Nicht nur wegen ihrer Sprachkompetenz wird Tings und Dylans Tattoo-Studio weiter wachsen. Mit der größer werdenden alternativen Szene in Shanghai verbreitert sich auch der Kundenkreis. Gerade hat das Pärchen sein Geschäft in größere Räumlichkeiten verlegt. Inmitten einer neuen Anlage am Flussufer, den "Cool Docks", ist das Tattoo-Studio in exklusiver Nachbarschaft eines deutschen Edelrestaurants und zahlreicher Bars. In weniger als zwei Jahren könnte sich allerdings auch der internationale Kundenstamm Tings noch einmal vergrößern. Das Gelände der Expo 2010 ist nicht weit weg.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: