UN-Vollversammlung:Diplomatische Atombombe in Abbas' Gepäck

Palästinenserpräsident Abbas reist mit einer gefährlichen Waffe zur UN-Vollversammlung nach New York: Er droht, das Osloer Friedensabkommen zu kündigen. Dabei hat er die "Schlacht um Anerkennung" längst verloren.

Peter Münch, Tel Aviv

Nun rüstet sich Mahmud Abbas wieder für eine Reise nach New York, und nach altem Ritus kündigt der palästinensische Präsident seinen Aufritt vor den Vereinten Nationen mit Aplomb an. In die "Schlacht für die Anerkennung eines palästinensischen Staates" will er ziehen - dabei hat er diese Schlacht doch schon im vergangenen Jahr verloren.

Palästinenserpräsident Abbas

International isoliert: Palästinenserpräsident Abbas reist als Verlierer nach New York.

(Foto: dpa)

Eingestehen aber darf Abbas das nicht, und je größer die Ratlosigkeit ist, desto größer werden die Worte. Sogar die Aufkündigung des fast 20 Jahre alten Osloer Friedensvertrags bringen die Palästinenser nun ins Spiel. Es ist die Drohung mit einer Art diplomatischen Atombombe, doch beeindruckt ist selbst davon kaum noch jemand. Abbas fährt als Verlierer nach New York - alleingelassen von der internationalen Gemeinschaft und bedroht mittlerweile auch von der wachsenden Wut seines Volkes.

Enormem Druck getrotzt

Schnell waren die Bilder verblasst vom Triumphzug, mit dem der Präsident vor Jahresfrist im Westjordanland bei der Rückkehr von den UN empfangen worden war. Damals hatte er enormem amerikanischen Druck getrotzt und einen Aufnahmeantrag für Palästina im Völkergremium eingereicht. Im UN-Sicherheitsrat wollte er die Weltmächte zum Schwur zwingen, doch es kam nicht einmal zu einer Abstimmung. Still und heimlich wurde der palästinensische Antrag in den Aktenschränken begraben.

Nun zielen die Palästinenser auf die kleine Lösung ab. Statt der Vollmitgliedschaft streben sie den Status eines "Nicht-Mitgliedstaats" bei den UN an, der ihnen mit einfacher Mehrheit in der Vollversammlung zugesprochen werden könnte. Auf den Straßen von Ramallah oder Nablus aber wird das niemanden mehr zu Freudentänzen inspirieren.

Die Palästinenser stecken tief in einer Sackgasse. Der arabische Frühling mit all seinen Veränderungen hat ihre Anliegen auf der internationalen Agenda marginalisiert. Von US-Präsident Barack Obama, der einst ihre Hoffnungen beflügelte, hat man schon allzu lange nichts mehr gehört zum Nahost-Konflikt. Von seinem Herausforderer Mit Romney hört man dagegen allzu viel - und Erbauliches ist nicht dabei.

Eine Waffe in der "Schlacht um Anerkennung"

Empörung haben dessen jüngste Äußerungen auf einer Spendengala ausgelöst, bei der er den Palästinensern jeden Friedenswillen absprach, weil sie "der Vernichtung Israels verpflichtet" seien. Für den Fall ihrer Unabhängigkeit prophezeite Romney die Stationierung iranischer Raketen im Westjordanland. "Vollkommen inakzeptabel" nennt das der palästinensische Chef-Unterhändler Saeb Erekat, vollkommen unerwartet aber war es gewiss nicht. Denn schon bei seiner jüngsten Israel-Reise hatte Romney keine Zeit gefunden für einen Abstecher nach Ramallah. Bei einem Frühstück mit jüdischen Spendern gab er dann zum Besten, dass die schlechte wirtschaftliche Lage der Palästinenser im Vergleich zu Israel allein auf "kulturelle Unterschiede" zurückzuführen sei.

Dabei hat die Weltbank gerade erst wieder in einem Bericht festgehalten, dass die israelische Besatzung mit ihren Handelseinschränkungen der palästinensischen Wirtschaft die Luft zum Atmen nimmt. Zur politischen Hoffnungslosigkeit kommt deshalb nun immer stärker auch die Unzufriedenheit mit der sozialen Lage, und das droht für Abbas zu einer machtbedrohenden Herausforderung zu werden. Die aufflammenden Proteste im Westjordanland nämlich haben sich bis jetzt ausschließlich gegen die eigene Führung gerichtet.

Die Menschen klagen über hohe Preise und ausstehende Lohnzahlungen, doch mit leeren Kassen hat die Autonomiebehörde wenig Möglichkeiten, die Wut zu besänftigen. Was bleibt, ist der Versuch, politische Versprechungen als Opium fürs Volk einzusetzen. Angefangen hatte dies mit der plötzlichen Forderung der palästinensischen Führung, das Pariser Protokoll von 1994 neu zu verhandeln, das im Rahmen des Osloer Friedens die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Israel und den Palästinensern regelt. Sehr schnell erwuchs daraus dann die Idee, doch gleich das gesamte Friedensabkommen aufzukündigen.

So soll es Abbas bei einem Treffen der Führung am vergangenen Sonntag zur Debatte gestellt haben. Sein Unterhändler Erekat bestätigt das: Israel habe alle Versuche sabotiert, den Friedensprozess neu zu beleben. Zugleich räumt er ein, dass "ein solcher Schritt keine leichte Entscheidung" sei. Schließlich hätte er tatsächlich unweigerlich die Auflösung aller Strukturen zur Folge, die bislang wenigstens gewährleisten, dass kein tägliches Blutvergießen mehr zu beklagen ist. Dies kann realpolitisch betrachtet auch nicht im Sinne der Autonomiebehörde sein, die das Land damit dem Chaos überlassen würde. Es geht also bei dieser Drohung eher darum, Abbas wenigstens eine Waffe in die Hand zu geben, wenn er nun in New York in die angekündigte "Schlacht um die Anerkennung" zieht.

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