Können die Vereinten Nationen noch etwas bewirken?:Der Krisenherd heißt Sicherheitsrat

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(Foto: Collage: sted/SZ, Fotos: imago)

Die UN stecken 80 Jahre nach ihrer Gründung in einer tiefen Sinnkrise. Ihr wichtigstes Gremium spiegelt noch die alte Weltordnung und ist zur Farce geworden, spätestens seit Russland Krieg führt. Trotz allem – die Weltorganisation wird noch immer dringend gebraucht.

Von Boris Herrmann, New York

Die Zentrale der Vereinten Nationen, das älteste gläserne Hochhaus New Yorks, sieht von allen Seiten interessant aus. Aber der vielleicht beste Blick bietet sich von der Südspitze einer lang gezogenen Insel im East River, die ursprünglich Minnehanonck hieß. Das war zu Zeiten, als hier noch die Native Americans vom Stamm der Lenape in weitgehend friedlicher Koexistenz mit Wölfen und Bären lebten. Heute kennt man den Ort unter dem Namen: Roosevelt Island.

Franklin D. Roosevelt, dem US-Präsidenten von 1933 bis 1945, wurde hier an der Inselspitze ein Denkmal gesetzt, das in seiner demonstrativen Quaderhaftigkeit bestens mit dem UN-Hauptquartier im Hintergrund korrespondiert. Und in Stein gemeißelt stehen da jene vier Freiheiten, die Roosevelt 1941 in seiner denkwürdigen „Four Freedom Speech“ benannt hatte. Diese Rede vor dem US-Kongress stand selbstverständlich im Zeichen des Siegeszugs von Hitlerdeutschland in den Anfangsjahren des Zweiten Weltkriegs, und es ging auch um die Unfähigkeit des Völkerbundes, all das zu verhindern. Dieser erste Versuch einer internationalen Staatengemeinschaft zur Sicherung des Weltfriedens hatte aufs Kläglichste versagt.

Die Frage nach der Daseinsberechtigung ist so alt wie aktuell

Roosevelt war dennoch fest davon überzeugt, dass es einer Organisation bedürfe, die so etwas wie einen gemeinsamen moralischen Kompass aller Menschen absichern könne, vier elementare Freiheiten zumindest, nämlich: die Redefreiheit, die Religionsfreiheit, die Freiheit von Not und schließlich das, was Roosevelt, die „Freiheit von Furcht“ nannte. Also die Idee einer so gründlichen Abrüstung, bis kein Staat mehr in der Lage sein würde, seinen Nachbarn mit Waffengewalt anzugreifen.

Er inspirierte die UN-Charta: Franklin D. Roosevelt (Mitte) im Februar 1945 bei der Konferenz von Jalta zwischen dem britischen Premier Winston Churchill (li.) und dem sowjetischen Diktator Josef Stalin.  (Foto: Db/dpa)

Die Frage nach der Daseinsberechtigung der Vereinten Nationen ist so alt wie aktuell. Roosevelt hatte sie mit seinen vier Freiheiten schon beantwortet, bevor es die UN überhaupt gab. Seine Rede von 1941 wurde so etwas wie die gedankliche Vorlage zur UN-Charta, die am 26. Juni 1945 verabschiedet wurde. An jenem Tag schrieb die New York Times: „Diese Charta kann entweder die Seele einer großartigen neuen Welt werden oder einfach ein Stück Papier bleiben.“ Rückblickend lässt sich feststellen: Weder das eine noch das andere ist eingetreten. Etwas näher dran an der Realität war der damalige UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld, der 1954 die wohl berühmteste Antwort auf die Frage nach dem Sinn der UN formulierte: „Die Vereinten Nationen wurden nicht gegründet, um uns in den Himmel zu führen, sondern um uns vor der Hölle zu retten.“

Aber sollte man angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, des Leides in Gaza, des alltäglichen Horrors im Sudan noch darauf vertrauen, dass uns die UN vor der Hölle bewahren? Lässt sich das, was diese Organisation gerade alles nicht verhindern kann, noch als unterlassene Hilfeleistung beschreiben? Oder ist es bereits ihre Bankrotterklärung? Fährt man von der Roosevelt-Insel, wo die Grundidee verewigt ist, hinüber ins real existierende UN-Hauptquartier, dann kommt einem diese, nun ja, Gemeinschaft der 193 Nationen manchmal vor wie ein Wesen mit 193 Köpfen, von denen die meisten irgendwo im Sand stecken. Viele sehen genau das nicht, was sie nicht sehen wollen.

Eher laufen Bären durch Manhattan, als die Reform gelingt

Wenn der Daseinszweck der UN unter anderem der Schutz der Freiheit vor Furcht ist oder wie es in Artikel 1 der Charta heißt, „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren“, dann kann man ihr im Februar 2025 eigentlich nur eine dramatische Sinnkrise attestieren. Allerdings hat diese Krise einen klar zu verortenden Krisenherd, nämlich den Weltsicherheitsrat. Dessen Konstruktion mit den fünf ständigen Veto-Mitgliedern Russland, China, USA, Großbritannien und Frankreich mag in der Siegermächte-Logik der Nachkriegszeit nachvollziehbar gewesen sein. In der heutigen multipolaren Welt wirkt sie nicht nur aus der Zeit gefallen, sie ist auch komplett funktionsunfähig, weil sich die fünf Vetos immerzu gegenseitig blockieren. Wieder und wieder ist dieser Sicherheitsrat auf spektakuläre Weise damit gescheitert, die internationale Sicherheit zu wahren, zuletzt in der Ukraine, in Gaza, im Sudan, in Ostkongo.

Aber wie soll ein Gremium auch den Weltfrieden sichern, wenn ihm eine Vetomacht angehört, die diesen Weltfrieden wie kein anderer Staat bedroht? Seit die Russen in der Ukraine einmarschiert sind, hat sich der Sicherheitsrat von einer UN-Problemzone zu einer Farce entwickelt.

Wie soll ein Gremium den Weltfrieden sichern mit einer Vetomacht, die den Frieden bedroht wie kein anderer Staat? Russlands UN-Botschafter Wassilij Nebensja im Sicherheitsrat. (Foto: Mary Altaffer/AP/dpa)

Seit mehr als anderthalb Jahrzehnten gibt es jetzt eine Reformgruppe zur Neuordnung des Sicherheitsrats. Aber alle, die damit beschäftigt sind, wissen: Eher kehren die Bären nach Manhattan zurück, als dass sich diese Reformgruppe auf eine Reform einigt.

Kann es noch schlimmer kommen? Grundsätzlich natürlich immer, wenn Donald Trump mitmischt. Seit dessen Rückkehr ins Weiße Haus hat sich auch eine der scheinbar letzten Konstanten der Geopolitik verflüchtigt, die Gewissheit nämlich, dass sich die westlichen Demokratien der Gegenwart, Nato-Mitglieder zumal, nicht gegenseitig ihre Grenzen streitig machen. Trump hat dagegen gleich zum Einstand damit gedroht, sich Grönland einzuverleiben, Kanada zu annektieren, den Panamakanal zurückzuholen, Gaza zu besetzen. Klar, man darf nicht alles ernst nehmen, was Donald Trump sagt. Andererseits sind es die Worte des US-Präsidenten, und damit sind es relevante Worte.

Trumps „America first“-Ideologie erfordert jetzt Pragmatismus

Zum Jahresbeginn rotierten turnusgemäß neue nicht ständige Mitglieder in den Sicherheitsrat hinein. Eine nicht uninteressante Volte des Weltenschicksals ist nun, dass zwei dieser Zugänge ausgerechnet Panama und Dänemark heißen. Die Kanalkrise und die Grönlandfrage könnten die beiden Länder nun also direkt im Sicherheitsrat mit den USA aushandeln.

Dass Donald Trump die UN nicht mag, darf man wohl als objektive Wahrheit verbuchen. Er hat schon in der ersten Woche seiner zweiten Amtszeit den Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation WHO erklärt. Er glaubt seit Langem, dass die USA viel zu viel Geld bezahlen für eine Organisation, von der vor allem andere profitieren. Seine „America first“-Ideologie ist in jeder Hinsicht das Gegenteil dessen, wofür die Buchstaben U und N stehen.

Wenn nun ausgerechnet die USA, das Land von Roosevelt, diese Staatengemeinschaft nicht mehr als zivilisatorischen Kitt begreift, dann kann das der übrigen westlichen Welt nicht gefallen. Aber sie muss damit irgendwie umgehen. Da ist jetzt diplomatischer Pragmatismus gefragt. Oder wie es Antje Leendertse, die deutsche UN-Botschafterin, ausdrückt: „Das zivilisierte Gespräch ist eine Errungenschaft, die es zu bewahren lohnt.“

Es ist in den interessierten Zirkeln von New York auch nicht übersehen worden, dass Elise Stefanik, Trumps Repräsentantin bei den Vereinten Nationen, bislang nicht übertrieben konfrontativ auftritt. Manch einer hegt da zumindest die zarte Hoffnung, dass die erst 40-jährige Stefanik ihren Karriereinstinkt über die reine Maga-Lehre stellt und ihre Relevanz als UN-Botschafterin in Trumps Kabinett nicht dadurch unterminiert, dass sie an der Zersetzung der UN arbeitet.

Nicht immer der dringend benötigte Mittler, aber dem globalen Süden verhilft er zu mehr Schlagkraft: António Guterres bleibt noch bis Ende 2026 UN-Generalsekretär. (Foto: Caitlin Ochs/Reuters)

Denn zur ganzen Wahrheit gehört natürlich auch, dass diese Organisation jenseits ihres dysfunktionalen Sicherheitsrats immer noch dringend gebraucht wird. All jene Menschen, die auf UN-Hilfsprogramme angewiesen sind, um ihre Kinder impfen lassen zu können oder um nicht zu verhungern, halten die Vereinten Nationen vermutlich nicht für bedeutungslos. Das gläserne Hochhaus an der First Avenue und die anderen UN-Gebäude gehören zu den wenigen Orten, wo der sogenannte globale Süden ein Forum hat – und wenn auch leider immer noch keinen festen Sitz im Sicherheitsrat, so doch zumindest ein Mitspracherecht.

Eine Frau aus Lateinamerika, mit der Trump und Putin leben können – wäre das die nächste Chefin?

António Guterres, der UN-Generalsekretär, hat in den zurückliegenden Jahren längst nicht immer eine gute Figur abgegeben. Das gilt insbesondere für den Israel-Palästina-Konflikt, wo es ihm nicht gelang, die dringend benötigte Rolle des beiderseits akzeptierten Mittlers einzunehmen. Es spricht aber zweifellos für Guterres, dass er dem globalen Süden als Generalsekretär zu mehr Schlagkraft verholfen hat. Das ist sein Verdienst, und das wird wohl auch sein Erbe sein, wenn er Ende 2026 abtritt.

Aus ihrer tiefen Sinnkrise heraus werden sich die Vereinten Nationen dann für die Zukunft aufstellen müssen. Da es in den ersten 80 UN-Jahren ausschließlich Generalsekretäre gab, führt nach menschlichem Ermessen kein Weg mehr an der ersten Generalsekretärin vorbei. Dem üblichen Rotationsprinzip zufolge müsste diese aus Lateinamerika kommen.

Gesucht wird also eine lateinamerikanische Frau, mit der sowohl Donald Trump als auch Wladimir Putin leben können und die es trotzdem schafft, die Menschheit vor der Hölle zu bewahren. Viel Glück bei der Fahndung.

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