Süddeutsche Zeitung

75 Jahre Vereinte Nationen:Die Rivalität zwischen den Großmächten lähmt die UN

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Gründungsziel der Vereinten Nationen war es, stark genug zu sein, um globale Krisen und Kriege abzuwenden. Auf die heutige Weltlage bezogen, ist dieses Ziel gescheitert.

Kommentar von Anna Reuß

Als die Vereinten Nationen gegründet wurden, lag die Welt in Trümmern. Wochen zuvor waren sich die Staaten noch im Krieg gegenübergestanden, nun wollten sie ihre Differenzen beilegen. US-Präsident Harry S. Truman nannte diesen 26. Juni 1945 einen "großartigen Tag in der Geschichte". Das Ziel ihrer Gründer war es, in den UN einen Staatenbund zu schaffen, der stark genug sein sollte, Krisen und Kriege abzuwenden.

Auf die heutige Weltlage bezogen, ist zumindest dieses Ziel gescheitert. Neue Bündnisse, die in den Nachkriegsjahren aus dem Wettbewerb des Kalten Krieges hervorgingen, sowie die blockfreien Staaten fanden zwar in den UN zusammen. Aber nach 75 Jahren wirkt die Organisation ausgezehrt, schwach. Staatschefs wie Donald Trump, Xi Jinping oder Wladimir Putin handeln ohne Rücksicht auf die Interessen anderer. Hinzu kommt deren dysfunktionales Verhältnis untereinander.

Zudem haben es die UN nicht geschafft, das Gefälle zwischen Nord und Süd - dem reichen und dem armen Teil der Welt - einzuebnen. Während einige Staaten für den Großteil des menschengemachten Klimawandels verantwortlich sind, baden ihn die restlichen im wahrsten Sinne aus. Wo der CO₂-Ausstoß gering ist, steigt die Temperatur perfiderweise schneller als im globalen Durchschnitt. In diese Länder fließt trotzdem nur ein Bruchteil der globalen Hilfen, die zur Vorbereitung auf den Klimawandel vorgesehen sind.

Angesichts der Ohnmacht in der wichtigsten internationalen Organisation fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel Reformen: Wenn es auf "klare Entscheidungen" ankomme, sei der Sicherheitsrat blockiert. Russland und China nutzten etwa ihr Vetorecht aus, indem sie ein Eingreifen der Weltgemeinschaft im syrischen Bürgerkrieg verhinderten.

Die Vereinten Nationen sind alternativlos

Das war nicht immer so: Den UN ist es gelungen, eine Grundlage für internationale Strafgerichtsbarkeit zu schaffen, mit Gerichtshöfen, die schwerste Menschenrechtsverletzungen im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda verfolgten. Doch die Zerrissenheit in der Frage nach Interventionen, etwa in Kosovo, gefährdete die Autorität des UN-Sicherheitsrats. Spätestens, als der damalige US-Außenminister Colin Powell 2003 den Rat über angebliche irakische Massenvernichtungswaffen belog, stürzten die UN in eine Krise.

Heute lähmt die Rivalität zwischen den Großmächten das System der Vereinten Nationen. Durch imperialistische Ambitionen und staatlichen Egoismus gefährden Staaten wie die USA, Russland und China die Idee des Multilateralismus. Und die Blockade-Mentalität der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates verhindert Reformen. Ihre Politik des staatlichen Eigennutzes steht im Gegensatz zum Paradigma des Kollektivismus. Sie empfinden Lastenteilung und Verpflichtungen zum Gemeinwohl nur als Behinderungen. Einen Ausweg können die Vereinten Nationen allein nicht finden. Ihre Handlungsfähigkeit hängt vom Willen der Regierungen ihrer Mitgliedstaaten ab. Zudem wäre auch ein erweiterter Sicherheitsrat, wie er vorgeschlagen wird und für den es eine Änderung der UN-Charta bräuchte, nicht unbedingt handlungsfähiger.

Hinfällig ist die Idee der Vereinten Nationen dennoch nicht. Trotz all ihrer Schwächen und Defizite ist sie alternativlos: Gerade heute, zum Jubiläum der UN, wird deutlich, dass Lösungen für globale Probleme nicht innerhalb nationaler Grenzen zu finden sind.

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SZ vom 23.09.2020
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