Die Wut kennt keine Grenzen mehr. Seitdem der UN-Sicherheitsrat per Resolution den israelischen Siedlungsbau verurteilt hat, ist die Regierung in Jerusalem im Angriffsmodus.
Die besten Freunde und engsten Verbündeten werden dabei wie Feinde behandelt - und dafür gibt es zwei Erklärungen: Zum einen hat die UN-Resolution den empfindlichsten Nerv dieser rechts-religiösen Koalition getroffen: Die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik ist ihr offenkundig wichtiger als die internationalen Beziehungen. Und zum zweiten lässt die Vorfreude auf den neuen US-Präsidenten Donald Trump in Jerusalem den Mut, vielleicht sogar den Übermut wachsen.
In dieser Stimmungslage hat Israels Außenministerium nun angekündigt, die diplomatischen Kontakte zu all jenen Ländern zumindest zeitweise einzuschränken, die im Sicherheitsrat für die Resolution gestimmt hatten. Premierminister Benjamin Netanjahu hält das für eine "weise, deutliche und verantwortliche Reaktion", wie er erklärte. "Israel ist ein Land mit nationalem Stolz, und wir halten nicht auch noch die andere Wange hin."
Nachdem er sich bereits den scheidenden US-Präsidenten Barack Obama als Drahtzieher eines vermeintlich anti-israelischen Komplotts im Sicherheitsrat vorgeknöpft hatte, richtet nun Verteidigungsminister Avigdor Lieberman den Fokus auf Frankreich.
Netanjahu boykottiert Frankreichs Friedensinitiative
In Paris soll am 15. Januar eine internationale Konferenz zum Friedensprozess in Nahost stattfinden - doch Lieberman sieht darin einzig ein "Tribunal über den Staat Israel" und zieht einen gewagten Vergleich: "Dies ist eine moderne Version des Dreyfus-Prozesses".
So wie damals im Frankreich des späten 19. Jahrhunderts der jüdische Offizier Alfred Dreyfus fälschlich und aus purem Antisemitismus wegen Landesverrats verurteilt wurde, so werde heute "der gesamte Staat Israel an den Pranger gestellt".
Bei der Gelegenheit forderte Lieberman dann gleich noch die 500 000 französischen Juden zur Emigration auf. "Das ist nicht euer Land", sagte er. "Verlasst Frankreich und kommt nach Israel, das ist die einzige Antwort auf solche Machenschaften."
Trump und Netanjahu:Plötzlich beste Freunde
Im Vorwahlkampf wollte Trump noch neutraler Vermittler zwischen Israel und den Palästinensern sein. Nun gibt sich der künftige US-Präsident als Netanjahus engster Verbündeter.
Die völlig überzogene Attacke lässt vermuten, dass der israelischen Regierung mit Blick auf Paris neues Unheil schwant. Von Beginn an hatte Netanjahu die französische Friedensinitiative boykottiert, sie hätte eigentlich zu einem israelisch-palästinensischen Gipfeltreffen unter internationaler Anleitung führen sollen. Aber Netanjahu hatte nicht verhindern können, dass sich bereits im Juni die Vertreter von 29 Staaten und Organisationen zu Beratungen darüber getroffen hatten, wie der festgefahrene Friedensprozess wieder in Gang gebracht werden könnte.
Mitte Januar soll nun das Nachfolgetreffen stattfinden - und seit der UN-Resolution vom vergangenen Freitag schwebt darüber aus israelischer Sicht eine bedrohlich dunkle Wolke.
Die Zeitung Haaretz berichtet, dass US-Außenminister John Kerry dort noch einmal eine Grundsatzrede zum israelisch-palästinensischen Konflikt und zur angestrebten Zwei-Staaten-Lösung halten wolle. Enthalten sein sollen darin die amerikanischen Lösungsvorschläge für die Kernfragen des Konflikts - den Verlauf der Grenze, die von den Palästinensern geforderte Rückkehr von Flüchtlingen, Sicherheitsfragen sowie der Status von Jerusalem.
Befürchtet wird in Israel, dass dies am Ende in eine weitere UN-Resolution mündet, die unmittelbar nach der Pariser Konferenz und noch knapp vor Obamas Abschied am 20. Januar im Sicherheitsrat verabschiedet werden könnte.
Die alten Spielregeln auf den Kopf gestellt
Wie realistisch dieses Szenario ist, lässt sich derzeit schwer abschätzen. Klar ist jedoch, dass die bevorstehende Amtsübernahme Trumps eine neue, gegenläufige Dynamik ins nahöstliche Treiben gebracht hat. Während die Regierung in Jerusalem enormen Rückenwind verspürt, werden Obama und die Europäer von dem Gefühl getrieben, noch einmal ein Zeichen setzen zu müssen, bevor es dafür zu spät ist.
Dahinter steht die reichlich späte Erkenntnis, dass die israelische Regierung unter Netanjahu die alten Spielregeln schlicht auf den Kopf gestellt hat. Lautete das Angebot an die Palästinenser zu Zeiten der Osloer Verträge in den 1990er-Jahren noch "Land gegen Frieden", so wird heute in Jerusalem nach der Devise "Land statt Frieden" regiert.
Abzulesen ist das an ein paar schlichten Zahlen, die von der israelischen Organisation Peace Now zum Siedlungsbau veröffentlicht wurden: Derzeit leben im besetzten palästinensischen Westjordanland etwa 400 000 jüdische Siedler, nicht eingerechnet sind dabei die 200 000 jüdischen Israelis, die im arabischen Ostteil Jerusalems platziert wurden.
Gegenüber den Osloer Zeiten hat sich die Siedlerzahl mehr als verdreifacht, allein seit dem Amtsantritt Netanjahus ist sie um fast 100 000 gestiegen. Die Karte der Siedlungsgebiete zeigt, dass es praktisch unmöglich geworden ist, einen zusammenhängenden Palästinenserstaat zu gründen.
Zwar machen die Siedler immer noch lediglich einen einstelligen Prozentanteil der israelischen Bevölkerung aus, aber letztlich regieren sie trotzdem das Land. Vertreten sind sie in der Koalition schließlich nicht nur durch die Siedlerpartei "Jüdisches Heim" von Erziehungsminister Naftali Bennett, sondern sie dominieren mittlerweile auch den Likud von Netanjahu.
Zu den Ministern, die in einer Siedlung leben, zählt überdies Verteidigungsminister Lieberman von der Einwandererpartei "Unser Haus Israel". Netanjahu hat sich in diesem Umfeld bislang erfolgreich als doppelköpfiger Akteur positioniert. Die Außenwelt bediente er mit floskelhaften Bekenntnissen zur Zwei-Staaten-Lösung, nach innen aber forciert er seit jeher den Siedlungsbau und macht damit diese Lösung unmöglich. In jüngster Zeit aber schlägt das Pendel zunehmend weiter nach rechts in Richtung Siedler aus.
Netanjahu selbst bezeichnete seine Regierung kürzlich selbst als die siedlerfreundlichste aller Zeiten. Im Kabinett fordern verschiedene Minister lautstark die Annexion großer Teile des besetzten Westjordanlands. Folgerichtig hat Minister Bennett Netanjahu nun aufgefordert, sich endgültig von der Zwei-Staaten-Lösung abzuwenden. Das könnte durchaus schnell gehen, wenn auch Donald Trump nichts dagegen hat.