Süddeutsche Zeitung

UN-Tribunal:Die vielen Fragen im Fall Praljak

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Ein verurteilter bosnisch-kroatischer Kriegsverbrecher trinkt mitten im Gerichtssaal in Den Haag eine tödliche Substanz. Wie ist so etwas möglich?

"Ich bin kein Kriegsverbrecher." Mit diesen Worten hat sich Slobodan Praljak am Donnerstag aus dem Leben verabschiedet. Der verurteilte bosnisch-kroatische General trank vor dem Internationalen Straftgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag den Inhalt eines braunen Fläschchens aus und starb kurze Zeit später in einem Krankenhaus. Seither wird gerätselt, wie der 72-jährige Kriegsverbrecher sich trotz der Sicherheitsvorkehrungen Gift beschaffen konnte. Die Antworten auf die wichtigsten Fragen - so weit sich diese bisher geben lassen.

Wie konnte das Gift in den Gerichtssaal kommen?

Praljak trank vor den Augen der Öffentlichkeit den Inhalt eines braunen Fläschchens, bevor er zusammenbrach. Die Ermittler bestätigten mittlerweile, dass sie Spuren von Gift gefunden haben. "Es handelt sich um einen chemischen Stoff, der für Menschen tödlich sein kann." Welcher es war, sagte er nicht. In Kürze werde der Leichnam obduziert.

Weiterhin rätselhaft ist, wie die tödliche Substanz in den Gerichtssaal kommen konnte und ob Praljak dabei Hilfe von anderen hatte. Das muss die niederländische Staatsanwaltschaft nun klären. Der serbische Anwalt Toma Fila, der mehrere Angeklagte am Internationalen Gerichtshof verteidigte, erklärte der Presse, dass die Kontrollen für Anwälte und andere Gerichtsmitarbeiter dort "wie am Flughafen" seien. "Sie checken Metallobjekte wie Gürtel, Geld oder Schuhe und verwahren die Mobiltelefone." Medikamente, Pillen oder kleine Mengen an Flüssigkeit würden nicht überprüft.

Wofür wurde Slobodan Praljak verurteilt?

Während des Bosnienkrieges (1992-1995) war Praljak Militärchef der bosnischen Kroaten. Gemeinsam mit fünf weiteren Angeklagten wurde er für schuldig befunden, an der Vertreibung bosnischer Muslime beteiligt gewesen zu sein, um ein kroatisches Territorium zu gründen. Sie sollen für Morde, Vergewaltigungen und ethnische Säuberungen verantwortlich sein. Praljak wurde unter anderem die Zerstörung der historischen Brücke von Mostar angelastet.

Das Urteil gegen ihn sollte das letzte des Tribunals sein, das nach 24 Jahren zum Jahresende seine Arbeit abschließt.

Wie lange war er bereits in Haft?

2004 hatte sich Praljak freiwillig gestellt und wurde dem UN-Tribunal in Den Haag überstellt - er wurde unter Auflagen bis 2012 wieder freigelassen. 2006 begann der Prozess, der 2013 mit einer 20-jährigen Haftstrafe in erster Instanz für ihn endete. Praljak ging in Berufung. Beim Urteilsspruch für dieses zweite Verfahren, welches seine Strafe bestätigte, trank er am Mittwoch die Flüssigkeit und starb. Der frühere General hatte also einen Teil seiner Zeit in Haft bereits abgesessen.

Wie war die Reaktion des Gerichts?

Richter und Anwälte reagierten bestürzt, die Urteilsverkündung wurde unterbrochen. Der Internationale Strafgerichtshof bestätigte den Tod anschließend in einer offiziellen Mitteilung und richtete den Angehörigen eine Beileidsbekundung aus. Die niederländische Staatsanwaltschaft soll die Aufklärung übernehmen: "In Übereinstimmung mit dem Standardprozedere haben die niederländischen Behörden auf Bitte des ICTY ein unabhängiges Verfahren gestartet."

Wie reagiert Kroatien auf seine Verurteilung und seinen Tod?

Kroatiens Regierungschef Andrej Plenković hat den Schuldspruch scharf kritisiert. Er sprach Praljaks Familie sein Mitgefühl aus und kündigte mögliche rechtliche Schritte seines Landes gegen Teile des Urteils an. Man spiele damit fälschlicherweise auf eine Rolle Kroatiens im Bosnienkrieg an, sagte Plenković. Die Führung Kroatiens könne in keiner Weise mit den Geschehnissen in Verbindung gebracht werden. "Das Urteil ist unbegründet und ungerecht, kollidiert mit den Fakten und ist als solches für Kroatien inakzeptabel", sagte der Ministerpräsident im kroatischen Fernsehen.

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