UN-Millenniumsgipfel: Kampf gegen die Armut:Das Jahrtausendthema

Jeder muss hin, jeder will schnell weg: Der Armutsgipfel der Vereinten Nationen ist wie ein Familientreffen - mit vorhersehbarem Ausgang. Die Welt wird an ihren Zielen scheitern. Die Versammlung ist trotzdem nicht überflüssig.

Judith Raupp

Wäre man zynisch, könnte man den Armutsgipfel der Vereinten Nationen mit der Feier einer Großfamilie vergleichen. Jeder muss hin, und jeder weiß schon im Voraus, mit welchen Geschichten der andere ihn langweilen, mit welchem Genörgel er nerven wird. Alle hoffen, es möge endlich Abend werden, damit jeder seines Weges ziehen kann. Ähnlich läuft das Treffen der Staats- und Regierungschefs in New York ab.

UN-Gipfel in New York -  Nicolas Sarkozy

Forum der Welt oder Zentrum der Machtlosigkeit? In der UN-Generalversammlung findet der Armutsgipfel statt.

(Foto: dpa)

Die Vertreter der armen Länder lamentieren, weil die Kollegen aus dem reichen Teil der Welt weniger Entwicklungshilfe bezahlen, als sie versprochen haben. Die Geldgeber aus dem Norden schimpfen über Korruption und Inkompetenz in den armen Staaten, die einer effizienten Hilfe im Weg stehen. Man müsste dieses Spiel aus wechselseitigen Beschuldigungen und gelegentlichen Reuebekundungen nicht ernst nehmen - ginge es nicht um das Leben von Millionen Menschen.

Damit diese Menschen eine Chance bekommen, haben die Vereinten Nationen vor zehn Jahren die Millenniumsziele verabschiedet, einen spektakulären Absichtenkatalog: Bis 2015 soll die Zahl der Armen und Hungernden halbiert werden im Vergleich zu 1990. Alle Kinder sollen die Grundschule besuchen können. Frauen und Männer sollen die gleichen Rechte haben. Jeder Mensch soll eine ausreichende Gesundheitsversorgung bekommen, es sollen ein umweltfreundliches Wirtschaftswachstum und eine echte Partnerschaft zwischen armen und reichen Staaten entstehen.

Bei so viel Absicht ist jetzt schon klar: Die Weltgemeinschaft wird scheitern, zahlreiche Entwicklungsländer werden die Millenniumsziele verfehlen. Das gilt vor allem für Afrika. Auf dem südlichen Nachbarkontinent Europas grassieren Armut, Krankheiten und Ungleichheit stärker als anderswo, ein riesiges Bevölkerungswachstum verstärkt diese Misere. Die Aussichten auf eine Wende sind bescheiden, weil Pseudodemokraten oder Diktatoren lieber ihren persönlichen Reichtum mehren statt Wohlstand für die Allgemeinheit zu schaffen.

Was also nützen Armutsgipfel und Millenniumsziele, wenn der Erfolg bescheiden bleibt? Man könnte versucht sein, das Treffen der globalen Familie für überflüssig zu erklären. Das wäre aber ein großer Fehler. Der Millenniumsgipfel ist wichtig, weil er die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Elend der Armen und die Defizite in der Entwicklungspolitik lenkt. Das erhöht den moralischen wie politischen Druck auf die Entscheidungsträger. Die Millenniumsziele erfüllen einen Zweck: Sie geben einen relativ konkreten Rahmen vor, an dem sich die Mächtigen der Welt messen lassen müssen. Nicht zuletzt deshalb gibt es Fortschritte im Kampf gegen die Armut, wenn auch viel zu wenige.

Noch ist es aber nicht zu spät. Die Weltgemeinschaft kann mehr erreichen, wenn sie in letzter Minute umsteuert. Was zu tun wäre, ist hinlänglich bekannt. Eine faire Handelspolitik gehört dazu, die nicht jeden Versuch der armen Staaten erstickt, ihre Märkte aufzubauen. Ebenso wichtig sind der Kampf gegen Korruption, gute Regierungsführung, eine bessere Absprache zwischen den Geldgebern.

Ohne Geld geht gar nichts

Auch China muss mit allen diplomatischen Mitteln in die Pflicht genommen werden, damit sein Engagement in Afrika den Aufbau von Demokratien nicht torpediert. Die Bevölkerung, der geholfen werden soll, muss bei Entwicklungsprojekten stärker mitsprechen und kontrollieren dürfen. Vor allem aber ist mehr Ehrlichkeit in der Hilfsindustrie gefragt. Sinnlose Projekte gehören eingestellt, auch wenn das manchen westlichen Berater den Job kostet.

Das mindeste wäre aber, dass die reichen Staaten ihre finanziellen Zusagen halten, auch in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise. Es ist richtig, dass Geld allein keine Erfolgsgarantie im Kampf gegen die Armut ist. Ebenso richtig ist aber auch, dass ohne Geld gar nichts geht. Natürlich stehen die Industrieländer unter Sparzwang wie schon lange nicht mehr. Es ist jedoch eine Frage der politischen und gesellschaftlichen Prioritäten, wo die Mittel gekürzt werden. Die Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit reißen ohnehin nicht die größten Löcher in die nationalen Haushalte.

Es liegt im eigenen Interesse der reichen Staaten, den Armen zu Wohlstand zu verhelfen. Flüchtlinge und zu einem Teil auch Terroristen wachsen vor allem dort heran, wo Menschen keine Perspektive sehen. Die Armut mag weit weg sein in der Wahrnehmung der westlichen Welt. Ihre Folgen bekommt der Westen aber zu spüren. Debatten etwa über die Aufnahme von Flüchtlingen in der EU, über Fremdenfeindlichkeit oder über Urlaubsländer, die für Europäer aus Sicherheitsgründen plötzlich tabu werden, beweisen das.

Entwicklungspolitik eröffnet Chancen. Langfristig können die armen Nachbarn von heute zum Geschäftspartner von morgen werden. Sie besitzen Rohstoffe, die knapp und von westlichen Unternehmen begehrt sind, sie können attraktive Absatzmärkte bieten. Konzerne wie Nestlé oder Coca-Cola investieren längst in Afrika.

Wer die Armut bekämpfen will, braucht Zähigkeit und muss sich plagen. Diese Anstrengung sollte doch einen Gipfel lang möglich sein.

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