Süddeutsche Zeitung

UN-Inspektion:Harte Kritik am deutschen Schulsystem

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Der Gesandte der Vereinten Nationen zieht Bilanz: "Zuwanderer und sozial Schwache werden in Deutschland benachteiligt."

Gregor Schiegl und Tanjev Schultz

Das deutsche Schulsystem muss nach Einschätzung eines hochrangigen UN-Experten grundlegend umgebaut werden, damit alle Kinder gleiche Bildungschancen erhalten.

Der Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung, Vernor Muñoz Villalobos, forderte die Politiker auf, die Grundschulzeit zu verlängern. Der Gesandte der UN-Menschenrechtskommission monierte am Dienstag in Berlin, Migrantenkinder und Schüler aus armen Familien seien benachteiligt. Er kritisierte auch die schwache Position des Bundes in der Bildung.

Die Versorgung mit Schulen in Deutschland sei zwar "sehr gut", sagte Muñoz nach seiner zehntägigen Deutschlandreise. Doch habe er nicht das Gefühl, "dass das System in Deutschland darauf abziele, alle gleich einzubeziehen".

An Hauptschulen gebe es viele Migrantenkinder, an Gymnasien zu wenige. In Deutschland seien Herkunft und schulische Leistungen immer noch eng miteinander verknüpft.

"Die soziale Ungleichheit spiegelt sich wider in den Bildungschancen", sagte Muñoz. Dies setze sich auf dem Arbeitsmarkt fort.

Die Hälfte aller Zuwandererkinder mit Hauptschulabschluss fänden keine Lehrstelle.

Auch zwischen den Bundesländern gebe es zu große Unterschiede bei den Ausgaben für Bildung und den Leistungen der Schüler, monierte der UN-Experte aus Costa Rica.

Da Bildungspolitik in Deutschland in die Hoheit der Bundesländer falle, fehle der Bundesregierung die Möglichkeit, gleiche Chancen für alle Schüler herzustellen.

Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) befürwortete in Reaktion auf die Kritik mehr Flexibilität im Schulsystem. Die Aufteilung der Schüler nach der Grundschule dürfe nicht schon über den Abschluss entscheiden.

Das CSU-geführte Kultusministerium in Bayern lehnte Munoz' Vorschläge ab und erklärte, sie spiegelten "historische Vorurteile" wider.

Hessens Kultusministerin Karin Wolff (CDU) sagte, es sei "bedauerlich, dass die Vorteile des deutschen Bildungsföderalismus nicht erkannt wurden". Auch der Deutsche Lehrerverband (DL) kritisierte Muñoz' Empfehlungen.

"Er wird instrumentalisiert für eine bestimmte schulpolitische Richtung", sagte DL-Präsident Josef Kraus.

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SZ vom 22.2.2006
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