UN-Generalversammlung:Im Schatten der Bomben-Rede von Netanjahu

Der israelische Premier hat der Welt eine Entscheidung abverlangt - die Entscheidung über einen Kriegsgrund, sollte Iran ausreichend angereichertes Uran für die Herstellung einer Atombombe zu produzieren. Die Außenminister der fünf Vetomächte und Deutschland bekräftigen daraufhin in New York, das mit "noch größerer Intensität" an einer diplomatischen Lösung gearbeitet werden müsse.

Daniel Brössler, New York

Nach dem Auftritt von Benjamin Netanjahu blieben den Außenministern der mächtigsten Staaten der Welt nur gute zwei Stunden. Mehr Zeit war nicht, um sich zu sammeln. Der israelische Ministerpräsident hatte in seiner Rede vor der Generalversammlung die erwartet scharfen Worte in Richtung Iran und dessen Atomprogramm gefunden.

Bewaffnet mit der Comic-Darstellung einer Bombe und einem dicken roten Stift aber hatte er der Welt auch eine Entscheidung abverlangt - die Entscheidung über einen Kriegsgrund für den Fall, dass Iran kurz davor steht, ausreichend angereichertes Uran für die Herstellung einer Atombombe zu produzieren.

Unter diesem Eindruck also kamen am Donnerstag die Außenminister der fünf Vetomächte im Sicherheitsrat und Deutschlands mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton zu einem Treffen der 5+1-Gruppe zusammen, dem ersten auf Ministerebene seit zwei Jahren. Ein "starkes Signal" in Richtung Teheran hatte es werden sollen, schließlich aber stand es im Schatten der Rede über die Bombe.

Über Netanjahu soll in der Runde gar nicht ausführlich geredet worden sein. Nur darüber, dass - wie sich zeige - die Sache immer dringlicher werde. Der Einstieg in substanzielle Verhandlungen mit der iranischen Führung sei doch gelungen, soll Ashton zu Beginn geworben haben. Nur die substanziellen Fortschritte, so soll sie eingeräumt haben, ließen auf sich warten.

Nach dem Treffen beteuerte Frankreichs Außenminister Laurent Fabius, dass die 5+1-Gruppe in ihrer Haltung gegenüber Iran "vereint" sei. Es solle nun, war aus der deutschen Delegation zu hören, mit "noch größerer Intensität" an einer diplomatischen Lösung gearbeitet werden. Ein ranghoher Mitarbeiter von US-Außenministerin Hillary Clinton erklärte nach dem Treffen, die Gruppe sei sich einig, dass Iran keine Atomwaffen erhalten dürfe.

Paradoxerweise muss Präsident Barack Obama und seinen Leuten der kämpferische Auftritt des israelischen Regierungschefs geradezu als kleines Friedensangebot erscheinen. In den vergangenen Wochen hatte Netanjahu den wahlkämpfenden Obama auf offener Bühne herausgefordert und von ihm ein Sofortbekenntnis zu einem möglichen Angriff auf Iran gefordert. Das hat Obama abgelehnt, zuletzt in seiner UN-Rede am Montag, als er bekundete, die Zeit für eine diplomatische Lösung sei noch nicht abgelaufen. Die Zeit sei begrenzt, hatte Obama versichert, aber ausdrücklich keine "rote Linie" gezogen. Trotzdem dankte ihm Netanjahu in seiner Rede: dafür, dass er gesagt hatte, ein atomar bewaffnetes Iran sei nicht einzudämmen und werde von den USA nicht hingenommen.

"Ich begrüße die Position des Präsidenten sehr, so wie es jeder in meinem Land tut", schmeichelte Netanjahu. Es spricht einiges dafür, dass der Israeli sich die jüngsten amerikanischen Umfragen genau angesehen hat. Die Werte für Netanjahus offenkundigen Favoriten, den Republikaner Mitt Romney, jedenfalls fallen.

Drohung ist vom Tisch

Netanjahu muss sich folglich mit dem Gedanken vertraut machen, dass Obama auch nach Ablauf der ersten Amtszeit im Februar der Herr im Weißen Haus bleiben wird. Das könnte erklären, warum Netanjahu in seiner Rede das schlimmste Szenario für Obama praktisch vom Tisch genommen hat - einen Angriff noch im Oktober vor der US-Wahl.

Diese Drohung hatte für besonders viel böses Blut gesorgt. Nun aber spekulierte Netanjahu nur noch über Frühjahr oder Sommer als mögliche Termine für das Erreichen seiner roten Linie. "Es sieht so aus, dass Netanjahus Iran-Politik Obama-freundlicher wird", meint der israelische Iran-Experte Meir Javedanfar, den die New York Times um eine Einschätzung gebeten hatte. Besonders interessant sei, dass Netanjahu "eine rote Linie gezogen hat, ohne sich selbst auf sie festzulegen".

Am Freitag war Außenminister Guido Westerwelle an der Reihe, für Deutschland vor die Generalversammlung zu treten. Schon in den vergangenen Tagen hat Westerwelle viel über Iran gesprochen und vor allem damit gedroht, die "Sanktionsschraube" anzuziehen. Die Bundesregierung ist ziemlich zufrieden damit, was die Sanktionen bisher ausgerichtet haben.

Auch Israel ist der Meinung, dass die Sanktionen Wirkung zeigen - nur nicht genug, um die Führung in Teheran zum Einlenken zu bewegen. Ohne dass er sie direkt anspricht, geht es Westerwelle in seiner Rede darum, die Sanktionspolitik zu retten: "Iran bleibt den Nachweis der ausschließlich friedlichen Absichten seines Nuklearprogramms weiter schuldig. Es bleibt auch die Transparenz schuldig, die die Internationale Atomenergiebehörde seit Langem einfordert".

Die 5+1-Gruppe habe Vorschläge für einen substanziellen Verhandlungsprozess gemacht, eine ernsthafte Antwort von Iran aber stehe aus. "Wir wollen eine politische und diplomatische Lösung. Die Zeit drängt", mahnt Westerwelle. Er sagt aber ausdrücklich nicht, dass es nur eine politische Lösung geben könne. Letztlich folgt Westerwelle damit der Linie, die Obama zu Wochenbeginn vorgegeben hat. Seine Schlussworte zum Thema Iran klingen dramatisch: "Ich appelliere an den Iran, nicht länger auf Zeit zu spielen. Die Lage ist ernst, die Lage ist sehr ernst."

Iran schlägt derweil nach der Netanjahu-Rede verbal zurück. Sein Land sei "stark genug, um sich zu verteidigen", sagt der stellvertretende iranische UN-Botschafter Eschagh al-Habib. Es behalte sich "das Recht vor, mit voller Kraft jede Art von Angriff zu vergelten".

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