Die Lage in Afghanistan, der Kampf gegen Corona, die Klimakrise, die Spannungen zwischen USA und China: Zu besprechen gibt es viel, wenn sich von diesem Dienstag an die Vertreter von 193 Nationen zur Vollversammlung der Vereinten Nationen treffen. Großes Interesse dürfte der erste Auftritt des neuen US-Präsidenten Joe Biden wecken: Er hat bereits angekündigt, dass er in New York für mehr Diplomatie anstelle von (womöglich militärischer) Konfrontation werben will. Biden wird bereits an diesem Dienstag sprechen. Deutschland ist erst am Freitag dran; die Bundesrepublik wird diesmal ungewöhnlicherweise nicht von einem Regierungsmitglied vertreten, sondern von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. So wichtig die USA für die Vereinten Nationen sind, Biden muss auch heute seinem brasilianischen Kollegen Jair Bolsonaro den Vortritt lassen. Es ist jahrzehntealte Tradition, dass bei der Generaldebatte der UN Brasilien ganz am Anfang der Rednerliste steht. Wie überhaupt dieses Treffen, das in diesem Jahr zum 76. Mal stattfindet, geprägt ist von Ritualen und ungeschriebenen Gesetzen, die manchmal auch auf kuriose Weise durchbrochen werden. Ein Rückblick auf ein paar bemerkenswerte Momente in der riesigen Halle der Generalversammlung.
2017 bis 2020: Trumps Auftritte
Bidens Vorgänger Donald Trump nutzte seine vier Auftritte vor der UN-Generalversammlung vor allem dafür, seine "America First"-Politik zu verteidigen oder dafür zu werben, je nach Sichtweise. Und auch für Eigenlob. Manchmal war das so dick aufgetragen, dass - wie vor drei Jahren - im Saal Lachen ausbrach. Trump kommt aus New York, manche seiner Immobilien stehen nicht weit entfernt vom UN-Hauptquartier am East River. Als Trump im Jahr 2017 das erste Mal drinnen in der Generalversammlung sprach, erschreckte er die Welt mit der Drohung, "Nordkorea völlig zu zerstören". Der "Raketen-Mann", also Nordkoreas Führer Kim Jong-un, sei "auf dem Weg des Selbstmordes für sich selbst und für sein Regime."
1960: Der Schuh auf dem Pult
Mit seinen Auftritten wollte Nikita Chruschtschow, damals KPdSU-Parteichef und somit Machthaber der Sowjetunion, demonstrieren, dass er die Vereinten Nationen für nutzlos und von kapitalistischen Ländern gesteuert hielt. Als der philippinische Delegierte die Sowjetunion beschuldigte, die Menschen in Osteuropa zu unterdrücken, reichte es Chruschtschow. Mit den Fäusten gestikulierend lief er zum Rednerpult. Von dem, was er dann mit seinem Schuh tat, gibt es unterschiedliche Versionen. In manchen hämmert er damit auf das Rednerpult, auf das Pult an seinem Platz oder schwingt ihn durch die Luft. Die Aufnahmen (Bild) bestätigen nur, dass Chruschtschow seinen rechten Schuh zwischenzeitlich vor sich auf den Tisch stellte.
1973: Erster Auftritt für die BRD
Vor 48 Jahren hielt Willy Brandt als erster deutscher Regierungschef eine Rede vor der Generalversammlung. Kurz zuvor waren die beiden deutschen Staaten, die zur Gründung der Vereinten Nationen noch als "Feindstaaten" galten, in den Staatenbund aufgenommen worden. In seiner Rede rief Brandt die Völker dazu auf, Sicherheit in der Gemeinschaft zu suchen, statt in Isolation und Nationalismus.
1974: Ansprache mit umgeschnalltem Pistolenhalfter
Als Palästinenserführer Jassir Arafat vor der Vollversammlung sprach, war das ein Novum. Zuvor waren solche Auftritte Staats-, Regierungschefs oder Ministern vorbehalten gewesen. Zusätzliches Aufsehen erregte sein Outfit. Arafat betrat das Podium nicht nur mit Palästinensertuch und Sonnenbrille, sondern auch mit umgeschnalltem Pistolenhalfter. Bis heute ist nicht geklärt, ob der Palästinenserführer und spätere Friedensnobelpreisträger darin auch eine Waffe hatte. Bekannt war allerdings seine ständige Angst vor einem Anschlag auf sein Leben - weshalb er seine Waffe möglichst immer bei sich haben wollte. Für seine Rede bekam Arafat viel Beifall aus dem Plenum. Er bezeichnete sich darin als Mann, der "einen Ölzweig und die Waffe des Freiheitskämpfers" in der Hand habe. Dann forderte er einen eigenen Palästinenserstaat und drohte zugleich: "Lasst mich den Ölzweig nicht aus der Hand fallen lassen."
1988: Bekenntnis zur Abrüstung
Vor 33 Jahren richtete Michail Gorbatschow ein starkes Signal der Annäherung an den Westen. Er kündigte an, dass die Sowjetunion einseitig und ohne vertragliche Verpflichtungen im großen Stil abrüsten werde. Um eine halbe Million Soldaten, Tausende Panzer und Artilleriesysteme und Hunderte Kampfflugzeuge sollte die Sowjetarmee reduziert werden. Gorbatschow wollte nicht länger zusehen, wie das Wettrüsten mit dem Westen finanzielle und intellektuelle Ressourcen der Sowjetunion verschlang.
2006: "Der Teufel war gestern hier"
Die Rede des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez blieb wegen markiger Worte im Gedächtnis. Er bezeichnete den US-Präsidenten Georg W. Bush als Teufel und warf ihm vor, die Menschen auf der Welt beherrschen und ausbeuten zu wollen. "Der Teufel war gestern hier", sagte Chávez mit Blick auf Bushs Auftritt am Vortag. Das Podium rieche immer noch nach Schwefel.
2009: Redezeit um 75 Minuten überzogen
Der libysche Diktator Muammar al-Gaddafi sprengte bei seiner Rede 2009 nicht nur den zeitlichen Rahmen: Üblicherweise sind für jede Rednerin, für jeden Redner 15 Minuten vorgesehen. Gaddafi redete 90 Minuten lang ohne Manuskript. Darüber hinaus bezeichnete er den UN-Sicherheitsrat als "Terrorrat" und unterstrich seine Haltung, in dem er das Deckblatt der UN-Charta auf dem Podium auseinanderriss. Den Rekord hält aber der frühere kubanische Staatschef Fidel Castro: Knapp viereinhalb Stunden redete vor der Generalversammlung. Das war im Jahr 1960.
2012: Netanjahu mit dem roten Filzstift
Mit der Grafik einer Bombe wie aus einem Comic-Heft wollte Israels Premier Benjamin Netanjahu verdeutlichen, wie weit das Atomprogramm Irans fortgeschritten sei. Am Rednerpult stehend zog er einen roten Filzstift hervor und zeichnete eine rote Linie in das Bomben-Plakat, die aus Sicht Israels nicht überschritten werden dürfe. Eindringlich warnte er, es gehe um das Überleben Israels.