UN-Expertenbericht zu Chemiewaffen:Russland sperrt sich gegen strikte Syrien-Resolution

Syrien Chemiewaffenbericht der Vereinten Nationen

Åke Sellström (links) übergibt Ban Ki Moon den Expertenbericht.

(Foto: dpa)

Wie lässt sich der Druck auf Assad aufrechterhalten? Die westlichen Sicherheitsratsmitglieder streben eine schnelle UN-Resolution zu Syriens Chemiewaffen an. Doch Russland sperrt sich. Parallel stellen UN-Experten heute den Bericht zum mutmaßlichen Giftgaseinsatz vor. Die Frage nach den Urhebern wird er nicht beantworten - doch womöglich liefert er deutliche Indizien.

Von Johannes Kuhn

Der Bericht, auf den alle gewartet haben, kommt reichlich spät: Am Montagnachmittag deutscher Zeit veröffentlichen die Vereinten Nationen, welche Informationen ihre Experten zu dem mutmaßlichen Chemiewaffeneinsatz im syrischen Bürgerkrieg am 21. August gesammelt haben.

Die diplomatischen Ereignisse haben die Untersuchungskommission aber längst überholt, Russland und die USA haben sich auf ein Prozedere für die Vernichtung des syrischen Giftgasarsenals geeinigt. Syrien muss demnach binnen einer Woche eine umfassende Liste mit Zahl und Art seiner C-Waffen vorlegen. Ziel ist die Zerstörung aller syrischen Chemiewaffen bis Mitte 2014.

Doch trotz der grundsätzlichen Einigung ringen die Akteure im UN-Sicherheitsrat immer noch um die Deutung des Konflikts. Frankreich, die USA und Großbritannien haben der syrischen Regierung "ernste Konsequenzen" angedroht, sollte sie ihre Verpflichtungen zur Zerstörung ihres Chemiewaffen-Arsenals nicht einhalten.

Der französische Außenminister Laurent Fabius sagte am Montag in Paris nach einem Gespräch mit seinen Kollegen aus Washington und London, dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad müsse "beigebracht werden, dass es keine andere Perspektive als den Verhandlungstisch gibt". Die UN-Resolution zu den syrischen Chemiewaffen müsse daher "natürlich" auch "ernste Konsequenzen" für den Fall enthalten, dass Syrien die Auflagen nicht befolge.

Russland protestierte umgehend: In der geplanten UN-Resolution zu Syriens Chemiewaffen dürfe keinesfalls eine Drohung stehen. Andernfalls könne der "Friedensprozess" mit Damaskus vereitelt werden, sagte Außenminister Sergej Lawrow in Moskau. "Wenn es für jemanden wichtiger ist, ständig Drohungen auszusprechen, (...) ist das ein anderer Weg, die Chancen für die sogenannte Genf-II-Konferenz vollständig zu zerstören", sagte der russische Chefdiplomat.

Auch wenn der Bericht über die Ereignisse des 21. August jetzt überlagert wird von dem Streit über die Resolution, die Experten, die in Syrien nach Giftgas gesucht haben, können wertvolle Hinweise liefern.

Bislang liegen drei Berichte zu den Ereignissen in Ghouta nahe Damaskus vor, die mehrere Hundert, möglicherweise bis zu 1300 Menschen das Leben gekostet haben sollen.

  • Die US-Regierung hat bereits Ende August eine Kurzzusammenfassung von Erkenntnissen amerikanischer Geheimdienste vorgelegt. Der Report stützt sich auf Satellitenbilder, abgefangene Kommunikation zwischen einem General und dem Verteidigungsministerium sowie Augenzeugen-Videos im Internet. Er geht von bis zu 1400 Toten aus und kommt zu dem Schluss, dass Assad-Truppen hinter der Attacke stecken. An Originalquellen legt er nur die ohnehin im Netz auffindbaren Videos offen.
  • Die französische Regierung hat ebenfalls einen mehrseitigen Bericht publiziert (PDF). Dieser geht stärker auf das syrische Chemiewaffen-Programm ein und analysiert die Kommandostruktur genauer. Auch hier lautet der Schluss: Regierungstruppen haben attackiert. Anders als die US-Geheimdienste gehen die Franzosen zudem davon aus, dass der Befehl nur von Assad oder direkt aus seinem Umfeld stammen könne. Die Zahl der sicher bestätigten Toten liegt hier bei 281, sie wurde aus Augenzeugen-Videos ermittelt.
  • Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch veröffentlichte vergangene Woche einen 22-seitigen Bericht. Hier liegt der Schwerpunkt auf der Art von Raketen, die eingesetzt wurden. Die verwendeten Modelle seien bislang nur im Besitz von Regierungstruppen, heißt es dort. Die Folgerung: Assads Soldaten sind verantwortlich.

Während die Autoren der bisherigen Berichte keine Beweise vor Ort sammeln konnten, hielten sich die im Auftrag der UN tätigen Experten unter Leitung des Schweden Åke Sellström mehrere Tage an den Tatorten auf. Dort konnten sie Proben nehmen und mögliche Beweise sammeln. Ihr Mandat sieht jedoch nicht vor, eine Einschätzung zu den Tätern abzugeben. Vielmehr soll der Report feststellen, ob überhaupt Giftgas eingesetzt wurde. Dafür gebe es "klare und überzeugende Beweise", verriet UN-Generalsekretär Ban Ki Moon im Vorfeld.

Eine Bestätigung der kursierenden Theorien ist deshalb nicht zu erwarten. Allerdings kolportieren westliche Diplomaten bereits seit einigen Tagen, dass die Indizien des Berichts den eindeutigen Schluss nahelegen, dass Assads Truppen verantwortlich für den Einsatz sind. Mancher Beobachter deutet auch die Aussagen Ban Ki Moons in diese Richtung: Der hatte am Freitag zur anstehenden Veröffentlichung erklärt, dass Assad in seinen Augen "viele Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt hat".

Allerdings gibt es ebenfalls eine Theorie, nach der die Rebellen das Giftgas eingesetzt haben könnten, um einen amerikanischen Militärschlag zu provozieren. Vor allem Russland, das als Verbündeter der syrischen Regierung agiert, vertritt diese Argumentation. Noch bei den bilateralen Gesprächen zwischen US-Außenminister John Kerry und seinem russischen Gegenüber Sergej Lawrow Ende vergangener Woche beharrte Moskau auf diesem Standpunkt. In der nun ausgehandelten Rahmenvereinbarung zur Vernichtung der Chemiewaffen wurde die Frage nach den Tätern vom 21. August extra ausgeklammert - sehr zum Ärger der Franzosen, wie das Wall Street Journal berichtet.

Am frühen Morgen amerikanischer Ostküstenzeit wird Ban Ki Moon den UN-Sicherheitsrat über den Bericht unterrichten. Danach werden in Paris die Außenminister Frankreichs, der USA und Großbritannien vor die Presse treten, um ihre Interpretation der Erkenntnisse zu verkünden.

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