Süddeutsche Zeitung

UN-Agenda 2030:Rechnungshof verpasst Bundesregierung eine Ohrfeige

Den deutschen UN-Nachhaltigkeitszielen fehle eine Strategie und "zielgerichtete Steuerung". In vielen Fällen sei der Plan kaum umsetzbar.

Von Markus Balser, Berlin

Sie sollten eigentlich zum Meilenstein der internationalen Umweltpolitik werden. Als die Vereinten Nationen im September 2015 ihre Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung beschlossen, einigte sich die Weltgemeinschaft erstmals auf einen gemeinsamen Katalog von ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeitszielen: Der Kampf gegen Armut, für mehr Umwelt- und Klimaschutz und bessere Gleichstellung von Männern und Frauen wurden so zum Weltprogramm.

Die Regierung kontrolliere nicht, ob Subventionen auch nachhaltig seien, lautet ein Vorwurf

Auch Deutschland machte mit. 2017 setzte die Bundesregierung die Agenda in einem 260-seitigen Programm für Deutschland um und legte fest, was hier dringend nachhaltiger werden muss. Für die 17 Bereiche wurden 67 Ziele beschlossen.

Etwa, dass es 2030 nur noch die Hälfte der Luftschadstoffe geben solle, dass 30 Prozent der Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen Frauen sein sollen, endlich die Grenzwerte für die Düngung mit Nitrat eingehalten werden, 20 Prozent der Fläche durch Bio-Landwirte bewirtschaftet werden und die Lebenserwartung der Deutschen verbessert wird. "Dieser Erfolg steht für sich", lobte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die UN-Agenda und mahnte: Aber sie wirke nur, wenn man sich den Zielen auch wirklich nähere.

Genau daran allerdings gibt es nun erhebliche Zweifel. Denn in einem vertraulichen Bericht, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, hat der Bundesrechnungshof das deutsche Programm geprüft und übt darin harte Kritik an seiner Umsetzung. Im Behördendeutsch verpasst der Rechnungshof der Regierung gar eine schallende Ohrfeige: Es fehle nicht nur an Priorisierung und Abstimmung, sondern auch an einer "angemessenen Erfolgskontrolle" und einer "zielgerichteten Steuerung". Die Kontrolleure kommen zum Schluss, dass die Ziele zwar gut klingen, aber in vielen Fällen kaum erreicht werden können.

Die Bundesregierung habe "bislang versäumt", die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Verantwortlich für die Umsetzung seien die Ministerien. Weil das Kanzleramt aber nie Indikatoren für das Erreichen der Ziele konkretisiert habe, seien sie für die Ministerien "wenig handhabbar". Sie würden sich nicht abstimmen, hätten teils gar keine eigene Strategie.

Die Prüfer werfen der Regierung unter anderem vor, dass sie zwar Möglichkeiten zum Umsteuern in eine nachhaltigere Gesellschaft geschaffen habe, sie aber nicht nutze. So habe sich die Regierung schon 2015 verpflichtet, Subventionen regelmäßig auf ihre Nachhaltigkeit hin zu untersuchen, tue das aber nicht. Die Vorschriften der Regierung machten das den Ministerien leicht. So falle etwa das von Umweltschützern hart kritisierte Dieselprivileg - die niedrigere Besteuerung von Dieselkraftstoffen - nicht unter den strengen Subventionsbegriff der Regierung und damit durch das Raster der Prüfung.

Auch bei neuen Gesetzen würden die Folgen für die Nachhaltigkeit kaum geprüft. Eigentlich müssten die Ministerien darstellen, ob sie einer nachhaltigen Entwicklung entsprechen. Auch dieses Instrument werde "jedoch nicht konsequent genutzt". So habe die Regierung trotz Milliardenbelastung ohne Folgenabschätzung 2018 das Baukindergeld beschlossen. Dabei habe das Umweltbundesamt mit der Eigenheimzulage eine ähnliche Förderung schon vor Jahren als umweltschädliche Subvention eingestuft. Sie sei mit der "Erhöhung der Flächeninanspruchnahme im ländlichen Raum und verkehrsbedingten Umweltbelastungen durch Pendlerverkehr" einhergegangen. Diese Erkenntnisse hätten berücksichtigt werden müssen, rügt der Rechnungshof.

Auch an der mangelnden Gewichtung der Ziele übt der Rechnungshof Kritik. Denn die 67 nationalen Ziele der Agenda stünden unabhängig von ihrer Bedeutung auf der gleichen Stufe. So stünden Ziele und Indikatoren für ein längeres Leben der Deutschen auf gleicher Stufe mit dem Ziel, den Anteil des Ökopapiers in der Bundesverwaltung deutlich zu erhöhen. "Einen systematischen Prozess, der dies sicherstellt, und in dem Ziele und Prioritäten ganzheitlich abgewogen und in Einklang gebracht werden, haben wir nicht vorgefunden", heißt es in dem Bericht weiter.

Noch immer sind viele Ziele nicht erreicht. Die Opposition fordert deshalb ein Umsteuern von der Regierung. "Wir brauchen verbindliche und sanktionierbare Sektorenziele, die von den zuständigen Ministerien ohne Wenn und Aber eingehalten werden müssen", verlangt Sven-Christian Kindler, Grünen-Sprecher für Haushaltspolitik. Ressorts, die im Klimaschutz versagten, müssten bislang keinerlei Konsequenzen oder Sanktionen befürchten. "Das ist inakzeptabel", rügt Kindler. Notwendig sei zudem bei allen Gesetzesvorhaben ein verbindlicher Klimavorbehalt, um sicherzustellen, dass kein Gesetz mehr das 1,5-Grad-Ziel bricht." Auch umweltschädliche Subventionen wie das Dieselprivileg müssten endlich gestrichen werden, sagt der Grünen-Politiker.

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SZ vom 09.07.2020/fie
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