Umzug Bonn - Berlin:"Rechnerisch eine Entscheidung von drei Minuten"

Die Debatte über einen Umzug aller in Bonn verbliebenen Ministerien nach Berlin beschäftigt heute den Haushaltsausschuss des Bundestages. Nach Kostenschätzungen dürfte eine Entscheidung nicht schwerfallen: Der Umzug rechnet sich nicht. Doch Kritiker halten diese Bewertungen für fehlerhaft.

Thorsten Denkler, Berlin

Norbert Röttgen war gestern richtig dankbar für diese "sehr gute Frage". Die lautete, wann sich denn wohl ein Komplett-Umzug der Regierung von Bonn nach Berlin amortisieren würde. "Da werden Sie Dekaden brauchen", antwortete er.

Nun muss man wissen: Die Heimat des parlamentarischen Geschäftsführers der Unionsfraktion ist der Rhein-Sieg-Kreis, der Bonner Speckgürtel, wenn man so will. Dennoch: Wenn die bisherigen Kostenschätzungen stimmen, können die Mitglieder des Haushaltsauschusses ihren heutigen Tagesordnungspunkt Bonn-Berlin-Umzug schnell beenden. "Rein fiskalisch gesehen ist die Entscheidung eine Sache von drei Minuten", sagt Röttgen.

Dem pflichtet auch Otto Fricke (FDP) im Interview mit sueddeutsche.de bei. In "gut 200 Jahren" hätte sich der Umzug gerechnet, sagte der Chef des Haushaltsauschusses. Auch er übrigens ein Rheinländer.

Wenigstens fünf Milliarden Euro würde es kosten, die Ministerien komplett von Bonn nach Berlin zu verlagern, hat der Bundesrechnungshof im Jahr 2002 Jahren verlautbart. Dem gegenüber schlug der doppelte Dienstsitz mit jährlich zehn Millionen Euro zu Buche. Mit weiteren 15 Millionen Euro werden die Effizienzverluste beziffert.

Dem einzelnen Beamte dürften die Kosten dagegen ziemlich egal sein. Er spürt nur den tagtäglich Irrsinn doppelter Regierungsstrukturen.. Nicht selten kommen sie nur nach Berlin, um in einer Ausschusssitzung ihre Fachmeinung abzugeben und fliegen dann wieder zurück - wenn sie denn überhaupt drankommen. Verschiebt sich der Zeitplan im Ausschuss, können sie bei nächsten Mal wieder antreten. Dann erneut mit der Unsicherheit, nicht gehört zu werden.

Das Bundesinnenministerium hat die Haushaltspolitiker im Bundestag jüngst auf den neuesten Stand des Wahnsinns gebracht. Laut einem Bericht, den die Haushälter heute beraten werden, sind die Bundesbediensteten im vergangenen Jahr 132.000 Mal zwischen ihrem ersten und dem zweiten Dienstsitz hin und her geflogen. Das sind 360 Flüge pro Tag.

Betroffene wie der Staatsekretär Erich Stather aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, stöhnen inzwischen öffentlich über die tägliche Tortur. Im ZDF-Magazin Frontal 21 schilderte er vergangene Woche ausführlich seinen Alltag: Montags vormittags in Bonn, Mittags nach Berlin, Freitag früh wieder nach Bonn. "In der Regel kommt dann noch mindestens einmal Pendeln hin und her dazu."

Vor allem in der Opposition wird jetzt der Ruf nach einem Komplett-Umzug immer lauter. Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt von den Grünen etwa sprach von einer "in Institutionen gegossenen Ineffizienz". Der Links-Politiker Michael Leunert bezweifelt die bisherige Kostenschätzung. Auf eine Anfrage an das Bundesbauministerium erhielt er zur Antwort, "dass eine belastbare Berechnung der Kosten für einen Komplettumzug bislang nicht vorgenommen worden ist". Er glaubt nicht, dass Umzugskosten die Pendler-Kosten übersteigen.

Wahrscheinlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis in Bonn der Letzte das Licht ausmacht. Nach dem Bericht des Innenministeriums, den die Haushälter heute beraten, ist die Zahl der Regierungsmitarbeiter in Berlin zwischen 2000 und 2006 um etwa 1000 auf 8700 gestiegen. Bonn dagegen verlor in dieser Zeit über 2000 Regierungsmitarbeiter. Dort arbeiten heute noch knapp 9000 Menschen für die Bundesregierung. Geht das so weiter, könnte der schleichende Umzug in 27 Jahren abgeschlossen sein.

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