Die Landwirtin Monika Wartenweiler sitzt in der Küche auf ihrem Hof bei Winterthur. Vom Fenster aus geht der Blick weit über Wiesen, Ackerflächen und Obstbäume. Es gibt selbst gemachten Apfelsaft. „Es passiert zu wenig“, sagt sie. „Wir haben all diese Umweltziele, die aber nie erreicht werden. Es wäre schon gut, wenn sich wenigstens 40 Prozent für die Initiative aussprechen und der politische Druck etwas höher wird.“
Auf der Straße vor dem Hof hat jemand ein Schild von der FDP aufgestellt: „NEIN zur Preisexplosion. Verarmungsinitiative NEIN!“ Von Monika Wartenweiler ist es nicht. Sie hat nur eine Fahne für Biodiversität rausgehängt. „Ich habe ja gestimmt“, sagt die 32 Jahre alte Umweltingenieurin. „Wir haben als wohlhabendes Land in Zentraleuropa die Verantwortung und wir haben die finanziellen Möglichkeiten.“
In der Schweiz stellen sie sich gerade eine der ganz großen Fragen: Soll unser Heimatplanet auch in Zukunft noch die Grundlagen für Leben bieten? Das ist leicht zugespitzt und in der tatsächlichen Abstimmung natürlich anders formuliert. „Wollen Sie die Volksinitiative ‚Für eine verantwortungsvolle Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen (Umweltverantwortungsinitiative)‘ annehmen?“, steht auf dem Stimmzettel.
„Ich finde es schöner, wenn das Rindfleisch von hier kommt“
Letztlich läuft es aber auf diese Frage hinaus: Sollen wir so weitermachen wie bisher und trotz aller Warnungen aus der Wissenschaft das Beste hoffen? Oder ändern wir unseren Lebensstil so, dass er mit dem, was unser Planet zu bieten hat, langfristig kompatibel ist? Die Schweizer haben bis zu diesem Sonntag die Möglichkeit, über diese Frage abzustimmen.
Theoretisch würde eine Zustimmung zu der Initiative massive Eingriffe in die Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft bedeuten. Denn wie viele andere westliche Länder auch, verbrauchen die Eidgenossen weit mehr Ressourcen, als die Erde langfristig zur Verfügung stellen kann. Welche Einschränkungen genau nötig wären, um innerhalb der planetaren Grenzen zu leben und wirtschaften, hängt von der konkreten Umsetzung ab.
Klar ist aber, dass sich die Mobilität stark verändern würde. Flüge und Autofahrten mit Verbrennern müssten eingeschränkt und die Wirtschaft massiv umgebaut werden. Im Supermarkt würden viele Produkte deutlich teurer, als sie in der Schweiz ohnehin schon sind. Manche tierischen Produkte wie Fleisch könnten zum Luxusgut werden.
Auch auf Monika Wartenweilers Hof wird Rindfleisch produziert. 22 Kühe plus Kälber leben dort, jetzt im Winter sind sie im Stall, der eigentlich für 25 Tiere ausgelegt ist, im Sommer sind sie auf der Weide. „Ich finde es schöner, wenn das Rindfleisch von hier kommt“, sagt die Bäuerin. „Es wird doch trotzdem konsumiert und dann ist das hier sicher die ökologischere Variante, als wenn es aus Uruguay oder sonst woher importiert wird.“
Muss man bei der Konsumentin oder der Landwirtin ansetzen?
Die Tierschutzstandards sind in der Schweiz bereits sehr hoch. Die CO₂-Bilanz von Rindfleisch ist aber sehr schlecht. Möglichen Einschränkungen durch die Initiative sieht Wartenweiler entspannt entgegen. „Ich habe die CO₂-Bilanz nie durchgerechnet“, sagt sie. Aber mit der Gülle und dem Mist aus dem Stall könnten sie einen großen Teil des Nährstoffbedarfs für die Ackerkulturen und Wiesen abdecken. „Durch die Tiere kann ich deshalb viel im Kreislauf halten.“
Grundsätzlich sieht sie auch beim Einzelnen eine große Verantwortung für Klima- und Umweltschutz: „Es bringt ja nichts, wenn wir jetzt dreimal mehr Kartoffeln produzieren, im Laden wollen sie aber Rindfleisch. Wo muss man also ansetzen? Bei der Landwirtin? Oder bei der Konsumentin? Wenn der Punkt erreicht ist, dass es den Markt für Rindfleisch nicht mehr gibt, dann mache ich eben etwas anderes.“
Im Dezember hatte die von den Jungen Grünen eingebrachte Initiative in Umfragen noch gute Zustimmungswerte. Das Gesicht der Befürworter ist Magdalena Erni, eine der beiden Vorsitzenden der Jungen Grünen, die in sozialen Medien und Talkshows für ihre Sache wirbt. Sie sieht vor allem die Unternehmen, die für viele Umweltschäden verantwortlich sind, in der Pflicht, durch Abgaben die größten Zumutungen für die Bevölkerung abzufedern. Sie war sich aber auch nicht zu schade, nackt vor dem Werk eines Baustoffherstellers zu posieren, um auf die „nackte Wahrheit“ ihres Anliegens aufmerksam zu machen.

Gegen sich hat sie nicht nur Albert Rösti, von der rechtskonservativen SVP, der behauptet, die Schweiz würde durch die Initiative auf das Niveau von Ländern wie Afghanistan heruntergestuft. Denn dort werden die planetaren Grenzen eingehalten. Auch der Bundesrat, die Schweizer Regierung, rät von einer Zustimmung der Initiative ab, mit dem Hinweis, den er immer gibt, wenn es um Umwelt- und Klimaschutz geht: Man tue schon genug.
Tatsächlich hat die Schweiz schon 2023 ein weitreichendes Umweltschutzgesetz beschlossen. Nur wirklich umgesetzt ist das bis heute nicht. Auch eine erfolgreiche Klage der Aktivistengruppe „Klimaseniorinnen“ vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ließ die Schweizer Regierung im vergangenen Jahr einfach an sich abperlen. Und es droht bereits die nächste Klage: Unterstützt von Greenpeace wollen Anwohner gegen eine Verlängerung der Laufzeit des Kernkraftwerks Leibstadt vor Gericht ziehen.
Inzwischen ist in den Umfragen zwar auch die Zustimmung für die Umweltverantwortungsinitiative wieder deutlich gesunken, wahrscheinlich wird sie nicht angenommen. Ein Signal gesendet und ein Thema gesetzt hat sie aber bereits. Und das Gesamtbild aus Klagen und Initiativen erweckt den Eindruck, dass die Schweizer Regierung den Wunsch der Bevölkerung nach mehr Umweltschutz etwas unterschätzt. Nicht nur auf ökologisch ausgerichteten Bauernhöfen wie dem von Monika Wartenweiler.
„Wir achten auf die Biodiversität“, sagt die Landwirtin. „Wir setzen keine Pflanzenschutzmittel ein. Wir versuchen, die Ökologie auch mitzudenken.“ Dabei ist ihr Hof noch gar nicht biozertifiziert, das ist erst für das kommende Jahr geplant. Nachhaltigkeit ist für sie trotzdem selbstverständlich – auch aus wirtschaftlichen Gründen. „Ich will meine Böden erhalten, damit ich möglichst lange produzieren kann. Deshalb gehe ich eben nicht auf Maximalertrag. Dafür brauche ich auch keine Pflanzenschutzmittel und Dünger ohne Ende, die keine Ahnung wo produziert werden. Ich arbeite mit dem Hofdünger, den ich habe, und ergänze punktuell mit Kunstdünger. Das Ziel ist, die Biodiversität so zu erhalten, dass der Hof bestehen kann.“
Längst merkt man die Auswirkungen des Klimawandels und anderer Umweltbelastungen auch in der Schweiz. Überschwemmungen haben in den vergangenen Jahren ganze Straßen weggespült. Wegen tauender Gletscher zerbröseln die Berge, manche Dörfer werden von gigantischen Gerölllawinen bedroht. Und auf Monika Wartenweilers Hof sind die fehlenden Bienen ein Problem. „Wir haben 150 Obstbäume, wir brauchen Bestäuber. Es gibt Honigbienen auf dem Hof, aber die schaffen das nicht allein.“
Von den Angstszenarien einer angeblichen Afghanisierung der Schweiz oder einer Reduzierung des Lebensstandards hält sie nichts. „Ich finde es wichtig, dass wir in der Schweiz eine hohe Selbstversorgung haben. Aber nicht auf Kosten der Ökologie und des Klimas. Es gibt nicht die eine Lösung. Wir können nicht alle Klimaziele erreichen und einen hohen Selbstversorgungsgrad haben und die Ökologie fördern und die Biodiversität erhalten und dabei unseren jetzigen Lebensstil bewahren. Am Schluss wird wahrscheinlich ein gut schweizerischer Kompromiss stehen, der einfach überall ein paar Abstriche macht.“