Süddeutsche Zeitung

Umweltschutz:Mehr Meer

Die Ozeane sind bedroht von der Klimaerwärmung, vom Müll, von Überfischung und Raubbau. Das Bewusstsein für diese Zerstörung wächst viel zu langsam. Doch noch ließe sich etwas retten.

Von Marlene Weiss

Unser Ozean" heißt die internationale Konferenzreihe zum Meeresschutz; gerade findet sie zum vierten Mal statt, diesmal auf Einladung der EU. Der Name ist sicher gut gemeint, aber eigentlich steckt dahinter ein absurder Besitzanspruch. Der Ozean war lange vor dem Menschen auf der Erde und wird noch lange nach ihm da sein. Wer sagt, dass der Mensch ihn als sein Eigentum betrachten kann, eines gar, das er nach Belieben aufteilen, ausbeuten, zumüllen, aufheizen und versauern lassen darf?

Aber genau das tut der Mensch, und der Raubbau geht täglich weiter. Ein Bewusstsein dafür fehlt indes völlig. Noch scheint ja auch alles in Ordnung zu sein: Das Wasser am Ferienstrand ist blau, der Alaska-Seelachs liegt wie immer im Tiefkühlregal (der Aal nur noch selten, weil er vom Aussterben bedroht ist; aber wer mag schon Aal?). Wie dramatisch die Situation im Jahr 2017 ist, das würde man erst merken, wenn man unter die Wasseroberfläche schauen würde.

400 Kilo Plastikmüll müssen die Ozeane schlucken - pro Sekunde

Zerstörte Korallenriffe könnte man dort sehen, seit das Klimaphänomen El Niño von 2015 und 2016 das ohnehin viel zu warme Wasser weiter aufgeheizt hat. Wo früher das Leben wuselte, sind heute oft modrige, algenbewachsene Todeszonen zu sehen, Unterwasser-Friedhöfe der traurigsten Art. Fast 30 Prozent der Korallen am Great Barrier Reef vor Australien sind bereits tot oder schwer geschädigt. Wenn Forscher befürchten, dass es zur nächsten Jahrhundertwende so gut wie keine Korallen mehr gibt, dann ist das keine Schwarzmalerei, sondern ein Szenario, das durchaus eintreffen könnte. Korallen können mit den Temperaturen und dem Säuregehalt einer um mehrere Grad wärmeren Wasserwelt kaum leben. Das ist nicht nur ein ästhetisches Problem für Schnorchler und Taucher, sondern ein grundsätzliches für den gesamten Ozean: Intakte Korallenriffe sind die Kinderstube für zahllose Fischarten und Lebensraum für viele andere Meeresbewohner. Von ihnen hängt der Fisch- und Artenreichtum der Meere ab.

Nun ist die Natur bemerkenswert anpassungsfähig, vielleicht kämen die Meere mit dem Klimawandel noch irgendwie zurecht. Leider sollen sie sich auch noch mit bis zu 400 Kilogramm Plastikmüll arrangieren, der pro Sekunde in sie hineingekippt wird. Und mit Fischtrawlern, die viel zu viele Fische aus dem Meer holen, oft mit brutalen Methoden, die am Meeresboden große Zerstörung hinterlassen. Manche Fischer ernten Tiefseebestände ab, denen die Evolution nie beigebracht hat, sich mit der Fortpflanzung etwas zu beeilen. Wenn sie sich überhaupt erholen, dann vergehen Jahrzehnte, und das empfindliche Nahrungsnetz im Meer gerät durcheinander. Es sind zu viele Belastungen auf einmal, und alle hat der Mensch verursacht.

Es gibt keine einfache Lösung - aber das heißt nicht, dass man nichts tun könnte. Der Klimawandel wird den Meeren nicht erspart bleiben, aber ob es zwei, drei oder gar vier Grad werden, lässt sich noch steuern. Bei der Fischerei hat sich schon einiges getan, jetzt wäre es an der Zeit, Subventionen für viel zu große Flotten und schädliche Fangmethoden abzubauen. Den Plastikmüll wird man wohl kaum komplett aus dem Meer fischen können, wie es etwa die Initiative The Ocean Cleanup verspricht, aber man kann Recycling und Kreislaufwirtschaft vorantreiben, gerade auch in ärmeren Ländern.

Jüngste Erfolge zeigen, dass Veränderung möglich ist. Nie war der Meeresschutz international so präsent wie heute, dazu haben auch Konferenzen wie "Our Ocean" beigetragen, auch wenn es dort bislang vor allem freiwillige Absichtserklärungen gibt. Noch vor wenigen Jahren schien das UN-Ziel, bis 2020 zehn Prozent der Meeresfläche unter Schutz zu stellen, vollkommen illusorisch. Aber dann folgte Schutzgebiet auf Schutzgebiet in den Hoheitsgewässern der Meeresanrainer. Inzwischen sind es bereits rund sechs Prozent. Wenn es so weitergeht, wird das Ziel leicht erreicht. Zugleich wird über ein erstes Hochsee-Abkommen verhandelt, das es ermöglichen würde, auch die internationalen Meere zu schützen; es wäre ein historischer Schritt.

Ohne strenge Vorschriften, Kontrollen und Transparenz taugt ein Schutzgebiet allerdings nicht viel, das haben die Erfahrungen an Land gezeigt. Auch werden Schutzzonen allein die Meere nicht retten, wenn ringsum weiter aus Profitinteresse gewütet wird. Besser wäre ein globales Abkommen ähnlich dem Pariser Klimavertrag, das alle Staaten auf klare Ziele zur Rettung der Meere verpflichtet. Aber immerhin, es passiert etwas. Einfach so weiterzumachen, ist jedenfalls keine vernünftige Option. Dafür ist der Mensch viel zu sehr darauf angewiesen, dass sein Ozean am Leben bleibt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3695485
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.10.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.