Süddeutsche Zeitung

Umweltschutz:Blockade unterm "Rettungsschirm"

Klimaaktivisten protestieren gegen das Kohleausstiegsgesetz der Bundesregierung.

Von Philipp Bovermann, Berlin

Bei der SPD scheine man noch im Home-Office zu sein, vermutet eine Aktivistin. Sie steht im Regenmantel und mit Mundschutz da und blickt auf das Willy-Brandt-Haus, wo sich nichts rührt hinter den Fenstern. Dafür ist draußen umso mehr los. Rund 200 Klimaaktivisten der Gruppen Ende Gelände, Extinction Rebellion, Anti Kohle Kidz und Interventionistische Linke haben am Mittwoch die SPD-Parteizentrale blockiert, um gegen das geplante Kohleausstiegsgesetz zu protestieren. Polizisten hielten sie mit Gittern vom Gebäude fern, also setzten sich die Blockierer auf die Straße; als es gegen Mittag zu regnen begann, spannten sie "Klimarettungsschirme" auf.

Am selben Morgen kletterten Aktivisten von Greenpeace auf das Dach des Konrad-Adenauer-Hauses und umhüllten es mit schwarzem Stoff, um es symbolisch in ein dunkles Hinterzimmer zu verwandeln. Dort, so die gemeinsame Kritik der Klimaschützer, sei das "Kohlegesetz", wie sie es nennen, ausgehandelt worden.

In der vorigen Woche hat sich die Bundesregierung bei den zuletzt noch umstrittenen Entschädigungszahlungen für Steinkohlekraftwerke geeinigt. Mit den Betreibern von Braunkohlekraftwerken und Tagebauen hatte die Regierung bereits öffentlich-rechtliche Verträge ausgearbeitet und Entschädigungen von insgesamt 4,3 Milliarden Euro darin festgeschrieben, weitere Hunderte Millionen könnten für die Steinkohle dazukommen. Die Verträge sollen in Kraft treten, nachdem das Gesetz an diesem Freitag den Bundestag und anschließend den Bundesrat passiert hat. Das wollen die Klimaaktivisten in letzter Sekunde verhindern, auch weil 2038 ein viel zu spätes Ausstiegsdatum aus der Kohle sei.

Ronja Weil, Sprecherin von Ende Gelände, sprach von "Milliardengeschenken für Kohlekonzerne". Annemarie Botzki von Extinction Rebellion forderte die SPD auf, "endlich für Klimaschutz einzutreten" und doch noch gegen das Gesetz zu stimmen. Quang Paasch von Fridays for Future sagte, die "Große Kohle-Koalition" mache mit diesem Gesetz ihrem Namen alle Ehre.

Während die Aktivisten das verwaiste Willy-Brandt-Haus blockierten, erschien eine Studie des Freiburger Öko-Instituts. Laut deren Autoren stünden dem Unternehmen Leag statt 1,77 nur 0,77 Milliarden Euro zu, der Energiekonzern RWE habe Anspruch auf 1,66 bis 2,66 Milliarden Euro. Eine zuvor veröffentlichte Analyse der Denkfabrik E3G verweist auf die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage für Energie aus Braunkohle, wegen steigender Emissionskosten, dem niedrigen Preis für Erdgas und der zunehmenden Einspeisung von Strom aus regenerativen Quellen. Der Kohleausstieg würde demzufolge weitgehend auch über Marktmechanismen passieren, ohne zusätzliche Entschädigungen für die Betreiber.

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SZ vom 02.07.2020
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