Umweltpolitik:Der Klimawandel bedroht alle - und die Politik sieht zu

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Schwere Verwüstungen hinterließ im vergangenen Sommer der Hurrikan Irma in der Karibik. Er erreichte eine für 37 Stunden andauernde Windgeschwindigkeit von 297 km/h. (Foto: AFP)

Es fehlt nicht an Wissen und nicht an Instrumenten. Es fehlt nur an der Mobilisierung der politischen Eliten, um der ökologischen Katastrophe etwas entgegenzusetzen.

Von Carolin Emcke

Zu den Ritualen, mit denen mein Vater beim Abendessen sich selbst zu amüsieren pflegte, gehörte das Gedankenspiel vom Auswandern. Nicht immer wurden ausgiebig die Gründe erläutert, warum wir auswandern sollten. Als verstünde sich das von selbst. Als wären die Zeichen der Zeit auch für Kinder nicht schwer zu dechiffrieren. Es bestand nie ein Zweifel daran, dass es sich um ein Emigrieren aus Not handelte, eine Flucht vor Gewalt oder Zerstörung, die denen drohte, die zurückblieben. Sie war angsterfüllt und vorausschauend zugleich, diese imaginäre Planung. Das Ziel, das Aufnahme und ein neues Zuhause versprach, war nie umstritten. Es war immer Argentinien, das Land, in das meine Großeltern vor dem Krieg ausgewandert waren und in dem meine Mutter aufgewachsen war. Argentinien war der ewig-hoffnungsvolle Horizont, der Ort, an dem wir sicher und beschützt wären - ganz gleich wie konfliktreich und beschwerlich die realen Zustände dort auch sein mochten.

Warum sich mein Vater die Reise dorthin nicht auf einem Schiff, sondern ausschließlich auf einem U-Boot vorstellen konnte, vermag ich nicht zu sagen. Flugzeuge tauchten als Fluchthelfer schon gleich gar nicht auf. Vielleicht hatte es mit "On the Beach" zu tun, jenem Film von Stanley Kramer aus dem Jahr 1959 über eine Gruppe von Menschen, die in einem U-Boot einen Atomkrieg überlebt haben. Vielleicht entsprang es auch tieferen Erinnerungsschichten aus seiner Kindheit. Das weiß ich nicht. Das Unerfreuliche an dem Spiel meines Vaters bestand in der endlos sich hinziehenden Erörterung der Frage, wer "nützlich" genug wäre, um für einen Platz auf dem rettenden Boot ausgewählt zu werden. Ich weiß nicht, wie alt ich war, als ich das erste Mal mit dieser Vision konfrontiert wurde, aber definitiv zu jung, um daraufhin zu reflektieren, aus welchem Trauma des Krieges sie wohl ihre Dringlichkeit zog. Wie sehr ich diese Fantasie von der Flucht auch hasste, so sehr gehörte sie doch zum normalen Repertoire des Nachdenkens über Gegenwart und Zukunft.

Das ist vorbei. Die semi-beruhigende Perspektive eines Orts der Zuflucht, eines Kontinents, eines Lands, einer Zone, die verschont wäre, beruhigt niemanden mehr. Diese Idee taugt noch für jene Sorte Gefahr, die von repressiven Regimen ausgeht, von menschenverachtenden Ideologien, von radikalen, autoritären Bewegungen, die die Räume, in denen sich frei denken, glauben, lieben lässt, verkleinern. Die Sehnsucht des Aufbruchs taugt noch, solange es ein regional begrenzter Konflikt, Notstand oder Krieg ist, vor dem es zu flüchten gilt. Aber das Versprechen des Auswanderns bekommt etwas Geisterhaftes, wenn es gar kein Außen mehr gibt, wenn kein Ort mehr jenseits der existenziellen Verwundbarkeit liegt.

In diesem Sommer der extremen Hitze und Dürre, in dem die nördliche Hemisphäre unter der schlimmsten Trockenheit seit 2003 leidet, in dem riesige Flächen Wälder in Flammen stehen, nicht nur in Griechenland und Kalifornien, sondern auch in Brandenburg, in dem der Blick in den "Wildfire-Tracker", auf dem sich die Feuer in unterschiedlichen Regionen verfolgen lassen, schon zur normalen Urlaubsvorbereitung zählt, in diesem Sommer ist spürbar, was das Anthropozän heißt: Es gibt keine unberührte Natur mehr, es gibt keine Gegenden mehr, in denen die physikalischen Spuren des Menschen nicht lesbar wären, die immer schnellere Erderwärmung, die Übersäuerung der Ozeane, das Abschmelzen der arktischen Eisschilde, das massive Artensterben zeigen sich weltweit und lokal zugleich. Da hilft kein Eskapismus, denn es gibt kein territoriales Außen des Klimawandels.

Die ökologische Katastrophe gefährdet alle

Es gibt nicht einmal ein temporales Jenseits: Die ökologische Katastrophe hat nichts bloß Prognostisches mehr, nichts, das in unbestimmter zeitlicher Entfernung läge, sondern sie entfaltet sich in der Gegenwart, vor unseren Augen. Sie wird nicht mehr nur von uns verursacht und betrifft andere, spätere Generationen oder Menschen im globalen Süden, denen sich gleichgültig gegenüberstehen ließe, sondern sie betrifft schon uns in Jetztzeit. Die ökologische Katastrophe bedroht nicht nur eine soziale Schicht, nicht nur eine politische Klasse oder nur eine Nation oder Kultur. Sie gefährdet alle.

Selbst Egoisten muss diese Dynamik missfallen. Bislang war es die verzögerte Zeitlichkeit des Klimawandels, aus der heraus sich die unverantwortliche Lethargie der politischen Akteure erklärte. Wer im vierjährigen Turnus von Wahlkämpfen denkt, dem lässt sich die Dringlichkeit einer Problemstellung, deren Auswirkungen in Jahrzehnten kalkuliert werden, nur schwer vermitteln. Doch die Verwüstungen, die zu beobachten sind, sie bedrängen nicht mehr zukünftige Regierungen, sondern sie stellen sich als unaufschiebbare Aufgabe den jetzigen.

Es fehlt nicht an Wissen, es fehlt nicht an Instrumenten - es fehlt nur an Mobilisierung der politischen Eliten. Das ist insofern erstaunlich, als das Nachdenken über die Folgen des Klimawandels längst den Alltag unterschiedlichster Gruppen und Milieus durchzieht. Das Bewusstsein für die ökologische Bedrohung ist in Schulen und Arztpraxen so präsent wie in Reisebüros und Versicherungen, es beschäftigt Architektinnen und Stadtplaner sowie Nomaden und Bäuerinnen. Sie alle können es sich nicht leisten, die Anzeichen der globalen Veränderung zu leugnen.

Die Frage ist nur, ob sie es schaffen, den Druck auf ihre Regierungen so massiv zu erhöhen, ob sie die Mittel des zivilen Protests und der unternehmerischen Kreativität so wirkungsvoll einsetzen, dass die politische Zunft sich ihre Passivität nicht mehr leisten kann. Damit das Wissen endlich auch in Maßnahmen für den Klimaschutz mündet. Damit endlich etwas im Innen, im Hier und Jetzt der einen Welt geschieht. Die ritualisierte Hoffnung auf Flucht ist keine mehr.

© SZ vom 04.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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