Umwelt:Wie Klimawandel und Kinderarbeit zusammenhängen

Umwelt: In vielen Entwicklungsländern müssen Kinder Geld für die Familie verdienen. Im UN-Camp in Wau, Südsudan, helfen sie nur beim Wassertragen.

In vielen Entwicklungsländern müssen Kinder Geld für die Familie verdienen. Im UN-Camp in Wau, Südsudan, helfen sie nur beim Wassertragen.

(Foto: AP)
  • Der Klimawandel und die weltweite Umweltzerstörung verstärken weltweit die Arbeit von Kindern.
  • In Entwicklungsländern wie Indien, Burkina Faso, Nicaragua und Nepal sind die Jüngsten gezwungen, Geld für ihre Familien zu verdienen.
  • Dadurch werden Kinder im Schulalter von staatlichen Programmen nicht erreicht - und bleiben ohne Bildung in der Armut gefangen.

Von Ulrike Heidenreich

Es ist ein Zusammenhang, der auf den ersten Blick verblüfft: Wegen des Klimawandels und der Umweltzerstörung müssen Kinder weltweit häufiger und härter arbeiten. Die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft nimmt zu, gleichzeitig bleibt die Bildung auf der Strecke. Es ist ein weitgehend unerforschtes Feld, dem sich die Hilfsorganisation Terre des Hommes (TdH) in ihrem neuen Kinderarbeitsreport widmet. Beispiele aus fünf Ländern belegen aber, dass etwa die Auslaugung der Böden Bauernfamilien dazu zwingt, nach anderen Geldquellen zu suchen. Ihre Kinder müssen in Goldminen schuften. Auch die Verschiebung der Regenzeiten wirkt sich negativ aus, Familien müssen länger als früher auf Wanderschaft gehen und ihre Kinder arbeiten dann, anstatt die Schule zu besuchen.

Vor allem gesundheitliche Folgen des Klimawandels wurden bislang untersucht

"Kinder leiden besonders unter sich verschlechternden Umweltbedingungen", sagt Jörg Angerstein von Terre des Hommes. Im Kinderarbeitsreport 2017, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, haben die TdH-Mitarbeiter die Situation in Nepal, Indien, Burkina Faso, Peru und Nicaragua exemplarisch untersucht. "Das Ergebnis zeigt, dass der Klimawandel die Ausbeutung von Kindern verschärft. Statt einer Klimapolitik à la US-Präsident Trump brauchen wir eine Umkehr in Richtung Ressourcenschutz", sagt Vorstand Angerstein.

Die Folgen von Dürren, Umweltzerstörung und extremen Wetterphänomenen wurden bislang hauptsächlich in Bezug auf die Gesundheit von Kindern erforscht. So leben weltweit mehr als eine halbe Milliarde Kinder in Regionen mit großer Hochwassergefahr, knapp 160 Millionen Kinder in Gebieten mit starker Trockenheit. Gut ein Viertel der 6,6 Millionen Sterbefälle bei Kindern unter fünf Jahren führt die Weltgesundheitsorganisation WHO mittlerweile auf Umweltursachen zurück. Das Büro zur Katastrophenvorsorge der Vereinten Nationen fand im Rahmen einer über zehn Jahre dauernden Untersuchung heraus, dass 87 Prozent aller Naturkatastrophen einen Zusammenhang mit dem Klima aufwiesen. Insbesondere die Menschen in den Entwicklungsländern sind betroffen und müssen sich damit arrangieren, dass das Ökosystem um sie herum kollabiert.

Kinderarbeit

Welche Formen von Kinderarbeit als Zwangsarbeit bezeichnet werden können, ist schwer abzugrenzen. Neben den ganz offensichtlichen Formen wie Sklaverei oder Kinderprostitution gibt es eine große Grauzone, in der aus - in der Regel verbotener - Kinderarbeit ebenfalls Zwangsarbeit wird. Zwangsarbeit ist weltweit illegal. Diese Gesetze gelten für Erwachsene und Kinder. Dennoch sind laut Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO rund 21 Millionen Menschen Opfer von Zwangsarbeit. 5,5 Millionen von ihnen sind Kinder. Die in vielen Ländern gängige Praxis, Kinder zum Beispiel als Haushaltshilfen zu Verwandten in städtische Zentren zu schicken, birgt mitunter hohe Risiken für diese Kinder, vor allem, wenn sie dort keinerlei Kontakt zu anderen Menschen haben und manchmal bewusst isoliert werden. Ihnen drohen häufig Misshandlung und Missbrauch. Auch Heimarbeit kann Zwangsarbeit sein. Familien, die durch eine Katastrophe oder extreme Armut in die Abhängigkeit eines Kreditwucherers geraten, sind ihm hilflos ausgeliefert. Arbeits- und Entlohnungsbedingungen kann dieser dann alleine bestimmen. Eine Schuldknechtschaft betrifft immer die ganze Familie. Vor allem bei syrischen Flüchtlingskindern hat die Kinderarbeit zugenommen. Sie müssen sich auf Großbaustellen in Städten verdingen, auf Baumwoll- und Orangenplantagen. Dies geschieht in Ländern wie Jordanien, Libanon, Irak und der Türkei. Ulrike Heidenreich

Die Familien ziehen in Städte, dort wächst der Druck

"Länderübergreifend die häufigste Strategie der Familien dagegen scheint die saisonale oder permanente Migration zu sein", heißt es im Bericht. Wenn also alle Versuche nicht mehr fruchten, sich mit den Erträgen aus eigenem Ackerbau zu ernähren, weil der Boden vertrocknet, vergiftet oder überschwemmt ist, kommt es zur Landflucht. Die Familien ziehen in Städte, dort wächst der Druck. "In den meisten von uns untersuchten Fällen führt das dazu, dass die Kinder in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen landen", so Angerstein.

Seit Jahrzehnten versuchen TdH und andere Organisationen, die schlimmsten Formen von Kinderarbeit abzuschaffen oder die Bedingungen von Kindern bei leichten Arbeiten zumindest zu verbessern. Nun scheint es zum Rollback zu kommen: Egal, ob es an der Erschöpfung von Rohstoffen liegt, der Entsorgung von Giftmüll, der Ausbreitung von Krankheiten oder der Zerstörung von Ökosystemen - Umweltfaktoren haben zunehmend Einfluss darauf, dass Kinder arbeiten müssen, so die Analyse. Fünf Länder, fünf Beispiele:

In Indien wird die saisonale Migration vieler Menschen vom Klima vorgegeben. Für die Landwirtschaft spielt der Monsun eine wichtige Rolle, die Öfen der Ziegeleien wiederum können während der Regenzeit nicht betrieben werden. Eltern ziehen mit ihren Kindern dorthin, wo sie gerade arbeiten können. Die Dauer dieser Wanderschaft hat sich aufgrund des Klimawandels verlängert - von drei auf sechs Monate. Wann der Monsun kommt, ist unberechenbar geworden. Die Migrantenkinder fallen durch jedes Raster, werden kaum von Regierungsprogrammen erreicht. Sie ziehen in Gegenden, in denen eine andere Sprache gesprochen wird, sie können dem Unterricht in der Schule nicht mehr folgen.

In Burkina Faso hat der Klimawandel in der Sahelzone zu unberechenbarem Wetter und einer Auslaugung der Böden geführt. Eltern können nicht anders, als auch ihre Kinder zur Arbeit zu schicken. "Die Kombination aus ärmlichen Lebensverhältnissen, geringer Bildung und dem jüngsten Goldrausch führt dazu, dass immer mehr Kinder und Jugendliche unter gefährlichen Bedingungen in Goldminen arbeiten müssen", sagt TdH-Kinderrechtsexpertin Antje Ruhmann.

In Nicaragua sind durch die Umweltzerstörung neue Arbeitsmöglichkeiten entstanden, mit fatalen Folgen. Große Mülldeponien stellen plötzlich eine lukrative Einkommensquelle für Erwachsene wie Kinder dar. Viele Familien haben wegen der extremen Witterung die Landwirtschaft aufgegeben und sind in städtische Umgebungen gezogen. Kinder verdingen sich als Müllsucher. Manche lernen immerhin noch vor oder nach der Arbeit, andere arbeiten laut TdH-Recherchen auch in den Schulferien, um die Familie über die Runden zu bringen.

In Nepal haben das Erdbeben im Jahr 2015 und beginnende Klimaveränderungen zur Folge, dass landwirtschaftliche Flächen in dramatischem Ausmaß zerstört wurden. Um beispielsweise Kredite für den Wiederaufbau ihrer Häuser zurückzahlen zu können, verdingen sich ganze Familien in Ziegeleien. Auch Kinder sind dort Saisonarbeitskräfte, Schule fällt aus.

In Peru haben regelmäßige Unwetter die Ernten zerstört, die Armut nimmt zu. Bauern wandern in Städte ab, wo sie ihre Kinder arbeiten lassen müssen, häufig in Ziegeleien. Die Kinder sind nicht bei den örtlichen Behörden gemeldet, haben keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung oder zu Schulen. Sie werden ihr Leben lang als ungelernte Arbeitskräfte arbeiten müssen, immer auf der Flucht vor dem Klimawandel.

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