Umwelt:Ohne Kohle

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Nur wenn sich Deutschland von dem fossilen Brennstoff verabschiedet, kann es seine Klimaziele erreichen.

Von Paul Ekins

In den kommenden Monaten wird die Bundesregierung eine für den globalen Klimaschutz richtungweisende Entscheidung treffen. Nach dem jetzigen Stand der Dinge wird Deutschland sein erklärtes Ziel verfehlen, bis 2020 die Emission von Kohlendioxid im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu reduzieren. Das ist ohne Zweifel ein Problem für eine Regierung, die stolz ist auf ihre Führungsrolle in Umweltfragen - und die sich bisher wissenschaftlichen Einsichten auf diesem Gebiet nie verweigert hat.

Die Lösung für das Problem liegt auf der Hand: Sie besteht darin, die Verstromung von Kohle, in erster Linie von Braunkohle, zu reduzieren. Mit dem kürzlich vom Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel präsentierten Vorschlag hält die Regierung bereits eine ebenso glaubwürdige wie sinnvolle Blaupause dafür in den Händen. Die Entscheidung, die Kohlenutzung schrittweise zu reduzieren, wird Deutschlands Führungsrolle in diesem für den Klimaschutz so eminent wichtigen Jahr weiter stärken und weit über Deutschland hinaus Aufmerksamkeit finden. Natürlich gilt es dabei politische Widerstände zu überwinden - aber die Logik für einen Rückzug aus der Kohle ist in Deutschland ebenso wie im Rest der Welt unerbittlich.

Deutschland hat unter der Führung von Angela Merkel eine zentrale Rolle dabei gespielt, alle anderen Regierungen auf das Zwei-Grad-Ziel zu verpflichten. Die Erderwärmung soll danach auf weniger als zwei Grad Celsius begrenzt werden. Unser derzeitiger Emissionspfad führt uns aber bis Ende des Jahrhunderts zu einer Erwärmung von vier bis fünf Grad. Studien zeigen, dass die Welt über dreimal mehr fossile Reserven verfügt, als wir jemals verbrennen dürfen, wenn es uns mit dem Zwei-Grad-Ziel ernst ist. Dieses "Kohlenstoff-Budget" war der Ausgangspunkt für ein Forschungsprojekt, das ich am University College London geleitet habe; es untersucht im Detail, welche Kohle-, Öl- und Gas-Vorkommen im Boden bleiben sollten, und wie diese verteilt sind.

Unsere in der Zeitschrift Nature veröffentlichten Ergebnisse zeigen, dass zur Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels ein Drittel der globalen Ölreserven, die Hälfte der Gasvorkommen und mehr als 80 Prozent der verbliebenen Kohle nicht verbrannt werden dürfen. Dabei gibt es große regionale Unterschiede. Ohne Nutzung der CCS-Technologie - also der Abscheidung und Lagerung von Kohlendioxid in Kraftwerken - sind 90 Prozent der Kohle in Europa "unverbrennbar". Zum Vergleich: Beim deutlich saubereren Erdgas sind es nur sechs Prozent. Damit komme ich zu dem Dilemma, mit dem sich Deutschland derzeit konfrontiert sieht. Deutschland hat von allen europäischen Ländern am meisten in erneuerbare Energien investiert, und nutzt gleichzeitig am stärksten die dreckigste aller Energiequellen, die Kohle. Unsere Ergebnisse zeigen zweifelsfrei, dass ein Weiter-so bei der Kohlenutzung in Deutschland mit dem Zwei-Grad-Ziel nicht vereinbar ist.

Auch die Bundesrepublik hat sich verpflichtet, beim Schutz des Klimas voranzugehen

Das Klima-Aktionsprogramm der Bundesregierung will dieses Problem lösen. Welche Maßnahmen Deutschland letztlich ergreift, wird großen Einfluss darauf haben, ob die Weltgemeinschaft in diesem Jahr auf dem Weg zum globalen Klimaschutz Erfolg haben wird. Eine entschlossene, an wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgerichtete Strategie - die vor allem auf die älteren und schmutzigsten Braunkohlekraftwerke im Land zielt - wird Angela Merkel die Glaubwürdigkeit verleihen, mit der sie als Gastgeberin des G-7-Gipfels im Juni und bei den Klimaverhandlungen in Paris Ende dieses Jahres von anderen höhere Ambitionen beim Klimaschutz einfordern kann. Wir sollten eines nicht vergessen: Bei der Einigung auf einen Weltklimavertrag beim Erdgipfel in Rio de Janeiro 1992 haben sich die industrialisierten Länder verpflichtet, beim Klimaschutz voranzugehen. Diesem Versprechen müssen sie jetzt gerecht werden - nur dann können sie von den weniger entwickelten Ländern einfordern, dass auch diese ihren Beitrag zu einem neuen globalen Klimaschutzabkommen leisten. Es kommt der Zeitpunkt, an dem die Einlösung eines solchen Versprechens harte Entscheidungen erfordert. Deutschland befindet sich jetzt an diesem Punkt.

Wenn Deutschland entschlossen damit beginnt, erste Schritte hin zu einem Ausstieg aus der Kohleverstromung zu gehen, dann sendet das Land ein starkes Signal an den Rest der Welt: Es verweigert sich nicht der Einsicht, dass Emissionsreduktionen bei der Kohleverstromung unabdingbar sind, damit die Welt weiter auf die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels hoffen darf - und dass eine Abkehr von der Kohle möglich ist. Bei jedem Übergang weg von einer veralteten Industrie gibt es Widerstand von den betroffenen Unternehmen, von Bürgerinnen und Bürgern - das wird auch im Fall der Kohle nicht anders sein.

Niemand kann einen ungeordneten Rückzug aus dem Kohlebergbau wie in den 1980ern in Großbritannien wollen. Aber vorausschauende Politik kann Probleme in Chancen verwandeln. Daraus können neue Jobs und neue Möglichkeiten der Qualifizierung entstehen. Gute Politik fördert Investitionen in die betroffenen Regionen und schafft Chancen für Bürger und Unternehmen in den Industrien der Zukunft - Deutschlands eigene Erfahrungen in Teilen des Ruhrgebietes haben das gezeigt.

Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch für viele andere Länder. Deutschland sollte sich bewusst werden, dass es nicht alleine dasteht. In Großbritannien und in einigen anderen EU-Staaten geht der Kohleverbrauch zurück. Unsicherheit über die Zukunft der Kohleindustrie setzt die Börsenkurse der entsprechenden Unternehmen unter Druck. Auch die jüngsten Zahlen der Internationalen Energieagentur (IEA), nach denen 2014 die globalen Emissionen trotz Wirtschaftswachstums nicht gestiegen sind, sind teilweise dem sinkenden Kohleverbrauch zu verdanken. Am bemerkenswertesten ist aber, dass sowohl die Förderung als auch der Verbrauch von Kohle in China zurückgegangen sind, dem wichtigsten Kohleverbraucher der Welt.

Deutschland hat also auch hier die Wahl, ob es beim anstehenden Übergang vorweg schreiten oder ihm hinterher hinken möchte. Deutschlands Regierung und seine Menschen können stolz auf die Energiewende sein, auf ihren Erfolg, eine der größten Volkswirtschaften der Welt umzubauen. Der Stromversorger Eon hat bereits entschieden, ein überkommenes Geschäftsmodell hinter sich zu lassen und sich ganz auf die zukunftsfähige Energieversorgung zu konzentrieren - für Deutschland als Nation steht diese Entscheidung noch aus.

© SZ vom 20.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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