Eigentlich ist die Stuttgarter Innenstadt schon seit Juni für Diesel mit der Abgasnorm Euro 5 tabu - das Land hat damals nach langem Zögern und nach einer weiteren gerichtlichen Niederlage die Fahrverbote auf diese Dieselmodelle ausgeweitet. Trotzdem streitet die grün-schwarze Landesregierung weiter. Denn bisher gilt die neue Fahrverbotszone nur auf dem Papier, erst von Oktober an sollen die Vorschriften tatsächlich durchgesetzt werden.
Die Konfliktlinien sind bekannt: Die CDU will die zusätzlichen Einschränkungen verhindern, die grüne Basis beharrt darauf, dass geltendes Recht umgesetzt werden muss, und macht ihren Vertretern im Kabinett Druck. Ministerpräsident Winfried Kretschmanns (Grüne) Rolle ist es, wieder mal einen Kompromiss zu finden. Er hat ankündigt, dass er mit einem Eilantrag gegen das Fahrverbot vorgehen werde, falls ein Gutachten Ende September belegen kann, dass die Grenzwerte in den Jahren 2020 und 2021 auch anders eingehalten werden können. Wann das zuständige Verwaltungsgericht über den Einspruch entscheiden würde, ist dabei genauso offen wie die Frage, wie viele Autobesitzer dann überhaupt noch davon profitieren würden. Wer regelmäßig in die Innenstadt fahren muss, hat sich sehr wahrscheinlich schon von seinem Euro-5-Diesel verabschiedet oder technisch nachgerüstet.
Von Autofahrern ist diesmal jedenfalls wenig Protest zu vernehmen - anders als im Jahr 2019, als Stuttgart als erste deutsche Stadt ein flächendeckendes Fahrverbot für Euro-4-Diesel einführte und sich Hunderte Autobesitzer zu wütenden Demonstrationen auf die Straße stellten. Selbst der ADAC in Baden-Württemberg sieht jetzt keinen Anlass zum Widerspruch. "Wir haben eine grundlegende gerichtliche Entscheidung, und die ist jetzt erst mal umzusetzen", sagt der Vorsitzende Dieter Roßkopf. "Die Gesundheit der Menschen steht im Vordergrund."
Nach einer Klage der Umwelthilfe war das Land 2017 verpflichtet worden, Fahrverbote für Euro-5-Diesel in den Luftreinhalteplan für Stuttgart aufzunehmen, wenn die Grenzwerte anders nicht eingehalten werden können. Das Land setzte auf andere Maßnahmen zur Schadstoffsenkung und wartete, bis im Mai 2020 auch eine letzte Beschwerde abgelehnt wurde. Nun kann man sich mit Blick nach München fragen, ob sich so ein Urteil nicht weiter ignorieren ließe. Auch Bayern war dazu verpflichtet worden, Dieselfahrverbote vorzubereiten und musste Zwangsgeld zahlen. 2019 schrieb das Land dann in den neuen Luftreinhalteplan für München, dass Fahrverbote aus seiner Sicht nicht verhältnismäßig seien. Die Umwelthilfe hält das für rechtswidrig, doch je länger der Konflikt dauert, desto größer ist die Chance, dass sich die Sache von selbst erledigt, weil alte Autos von der Straße verschwinden.
Inzwischen hat München Stuttgart als Stadt mit den schlechtesten Messwerten abgelöst. Der von der EU definierte Grenzwert liegt bei 40 Mikrogramm im Jahresmittel. An der viel befahrenen Landshuter Allee in München wurden 2019 im Jahresmittel 63 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft gemessen. In Stuttgart lag die höchste Belastung mit 58 Mikrogramm an der Pragstraße, einer verkehrsreichen Zufahrt in den Talkessel. In beide Städten sind die Werte 2020 deutlich gesunken - wegen der Corona-Krise ist dieser Rückgang aber nicht aussagekräftig.
Aus Sicht von Baden-Württembergs grünem Verkehrsminister Winfried Hermann hätten die Fahrverbote verhindert werden können, wenn die Autoindustrie alte Dieselmotoren frühzeitig nachgerüstet hätte. Die habe aber mehr Interesse daran gehabt, alte Autos in Zahlung zu nehmen und neue zu verkaufen, kritisiert der ADAC-Vorsitzende Roßkopf: "Das Problem war, dass nicht alle an einem Strang gezogen haben." Hermanns Verkehrsministerium und der ADAC haben ein Pilotprojekt finanziert, um Nachrüstpakete für Dieselmodelle zu entwickeln. Erst danach erklärten sich einige Fahrzeughersteller zur Zusammenarbeit mit den Herstellern dieser Pakete bereit. Ohne Fahrverbote wäre es dazu wohl gar nicht gekommen.