Umsturz in Libyen:Phantom Gaddafi, loyale Tuareg - und ein Verdacht

Mehrere Konvois libyscher Militärfahrzeuge haben die Grenze zu Niger passiert, Gaddafis Sicherheitschef soll inzwischen in der nigrischen Hauptstadt Niamey eingetroffen sein. Jetzt spekulieren Beobachter, der libysche Despot könnte sich mit Hilfe führender Tuareg-Kämpfer ins Nachbarland absetzen - oder Zuflucht bei einem anderen alten Bekannten suchen.

Kathrin Haimerl

Der Despot ist zum Phantom geworden. Seit die Rebellen seine Residenz in Tripolis gestürmt haben, ist über den Verbleib des gefallenen Machthabers viel spekuliert worden, aber wenig Konkretes bekanntgeworden. Einzig über seinen Sprecher Mussa Ibrahim meldet sich Gaddafi noch zu Wort. "Wir sind noch immer mächtig", ließ er erst am Montagabend mitteilen. Gaddafi befinde sich bei "bester Gesundheit" und organisiere derzeit die Verteidigung Libyens.

Life inches back to normal in Tripoli

Ein Bewohner von Tripolis zerstört ein Bild des gestürzten Machthabers Gaddafi: Von dem fehlt noch immer jede Spur.

(Foto: dpa)

Nun gibt es neue Spekulationen: Augenzeugen berichten, sie hätten einen Militärkonvoi regimetreuer libyscher Truppen im nigrischen Grenzgebiet gesichtet. Die Angaben über die Größe des schwerbewaffneten Trupps widersprechen sich. Die Augenzeugen geben mehrere Dutzend Fahrzeuge an, in einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters hingegen ist die Rede von 200 bis 250 Fahrzeugen. Dem arabischen TV-Sender al-Arabija zufolge soll der Konvoi am Montagabend die nigrische Wüstenstadt Agadez im Norden des Landes erreicht haben.

Der libysche Übergangsrat erklärte, dass noch ein zweiter Konvoi, der aus etwa zehn Fahrzeugen bestand, Montagnacht die Grenze zum Niger überquert haben soll. Die Fahrzeuge seien mit Gold, Euro und Dollar beladen gewesen. Die Gaddafi-Kämpfer hätten das Geld aus einer Filiale der libyschen Zentralbank in Sirte mitgenommen.

Das Außenministerium in Niger hat inzwischen die Einreise solcher Konvois bestätigt, allerdings Spekulationen zurückgewiesen, wonach sich Gaddafi oder einer seiner Söhne in einem der Fahrzeuge befinden könnten. "Das ist nicht wahr", sagte der nigrische Außenminister Mohamed Bazoum der Nachrichtenagentur AFP. Es seien "einige Persönlichkeiten mehr oder weniger wichtigen Ranges im Niger eingetroffen, das ist alles". Es sei aber niemand "aus der ersten Reihe" dabei, "am wenigsten Muammar al-Gaddafi und einer seiner Söhne". Auch der malische Abgeordnete Assarid Ag Imbarcaouane erklärte, Gaddafi sei nicht in dem Konvoi, wohl aber Personen aus dem inneren Machtzirkel des Despoten.

Mehrere Augenzeugen berichteten, dass sie an der Spitze eines der Konvois den nigrischen Rebellenführer Rhissa Ag Boula gesichtet hätten. Der frühere Tourismusminister hatte vor zehn Jahren einen Unabhängigkeitskrieg der Tuareg-Nomaden angeführt, ehe er in Libyen Zuflucht suchte. Er gilt als Vertrauter Gaddafis.

Gaddafi hatte die Tuareg-Rebellen bei ihrem Kampf gegen Unterdrückung und Ausgrenzung in den nördlichen Landesteilen von Niger in den Jahren 1990 bis 1995 mit Geld und Waffen versorgt. Er erfreut sich deshalb in Städten wie Agadez nach wie vor großer Beliebtheit.

Der Großteil der Bevölkerung der Wüstenstadt in der Sahara gehört den Tuareg-Nomaden an. In Niger stellen sie etwa neun Prozent der fast 13 Millionen Einwohner, ihr Siedlungsgebiet und ihre Wanderungsbewegungen liegen in der Sahara über nationalstaatliche Grenzen hinweg. Sie fordern seit Jahren von der Regierungen in Niger und Mali die Anerkennung ihrer kulturellen Identität und eine stärkere politische Eingliederung.

Gaddafis Sicherheitschef in Niger eingetroffen

Gaddafi hatte stets offen seine Sympathien für die Autonomiewünsche der Tuareg bekundet - auch gegenüber der nigrischen Regierung, die die Rebellenbewegung nicht anerkennt.

Erst am Sonntag hatte ein anderer Konvoi mit mehreren Personen aus dem Umkreis Gaddafis die Grenze von Niger überquert, darunter auch Mansour Daw, der Kommandant von Gaddafis Sicherheitsbrigaden. Sie sollen von dem Tuareg-Kämpfer Agaly Alambo begleitet worden sein, dem Führer der Nigrischen Bewegung für Gerechtigkeit. Inzwischen sei der Sicherheitschef sowie zwölf weitere Regimevertreter in der nigrischen Hauptstadt Niamey eingetroffen, angeblich erneut in Begleitung von Tuareg-Kämpfern, erklärte ein Vertreter der nigrischen Zollbehörde.

Wie aber konnten die Militärkonvois unbemerkt die libysche Grenze überqueren, ohne von Nato-Kampfflugzeugen entdeckt zu werden, die regelmäßig die Wüstengebiete nach auffälligen Fahrzeugkolonnen absuchen? In Agenturberichten wird darüber spekuliert, dass Frankreich möglicherweise mit den libyschen Rebellen und Gaddafi einen Deal ausgehandelt haben könnte, um den ehemaligen Diktator ins Exil zu bringen. Dazu würde passen, dass die Wüstenstadt Bani Walid, die seit Tagen von den Rebellen umzingelt wird und als eine der letzten verbliebenen Hochburgen des Diktators gilt, offenbar kurz vor der Übergabe stehe. Diese Spekulationen wurden nun von offizieller Seite zurückgewiesen. Das französische Außenministerium teilte mit, man wolle nicht zulassen, dass Gaddafi entkommen könne.

Auch die US-Regierung hat nach eigenen Angaben keine Erkenntnisse über eine Flucht des libyschen Machthabers nach Niger: "Wir haben keine Beweise, dass Gaddafi zur Zeit irgendwo anders ist als in Libyen", sagte eine Sprecherin des US-Außenministeriums in Washington.

Gaddafis Despoten-Schule bei Bengasi

Sollte Gaddafi tatsächlich mit dem Konvoi reisen, könnte es sich um einen Versuch des früheren Machthabers handeln, ins Exil nach Burkina Faso zu gehen. Blaise Compaoré, der Präsident von Burkina Faso, galt lange Zeit als einer der engsten Verbündeten Gaddafis, er gehörte zu den Absolventen des "World Revolution Centers", Gaddafis "Revolutionären Weltzentrums" nahe Bengasi.

Dort wurden einige berüchtigte afrikanische Tyrannen ausgebildet, darunter etwa auch Idriss Déby, der Präsident des Tschad. Sie erhielten dort Training im Umgang mit Waffen, gepaart mit einer ideologischen Ausbildung, die auf Gaddafis Grünem Buch basierte. Die Absolventen pflegen bis heute ein gut funktionierendes Netzwerk.

Burkina Faso, ehemals französische Kolonie, hatte Gaddafi Asyl angeboten. Außenminister Yipene Djibril Bassolet erklärte, dass seine Regierung den libyschen Despoten aufnehme, auch wenn das Land zu den Unterzeichnerstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs gehöre. Jetzt lässt die Regierung die Berichte allerdings dementieren: Ein Informant aus der Umgebung des Präsidenten erklärte, ihm sei keine Vereinbarung bekannt.

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