Süddeutsche Zeitung

Umsturz in Ägypten:Mehr als 30 Tote bei Protesten

Die einflussreiche salafistische Al-Nur-Partei zieht sich aus den Verhandlungen über eine Übergangsregierung in Ägypten zurück. Dieser Schritt sei eine Reaktion auf das "Massaker" vor dem Sitz der Republikanischen Garde in Kairo. Dort sollen Sicherheitskräfte mit scharfer Munition auf Anhänger des gestürzten Präsidenten Mursi geschossen haben. Über die Ursachen des Vorfalls gibt es widersprüchliche Angaben.

Die Verhandlungen über eine Übergangsregierung in Ägypten geraten ins Stocken: Die Salafisten würden an weiteren Gesprächen nicht mehr teilnehmen - als Reaktion auf das "Massaker" vor dem Sitz der Republikanischen Garde in Kairo, erklärte Parteisprecher Nader Bakkar im Internetdienst Twitter. Die Salafisten "wollten Blutvergießen verhindern und nun fließt das Blut in strömen", fügte er hinzu.

Es kursiert das Gerücht, in dem Gebäude der Republikanischen Garde werde der gestürzte Präsident Mohammed Mursi festgehalten. Bei einer Schießerei waren dort am frühen Morgen nach unterschiedlichen Angaben von Medizinern und Sicherheitskräften zwischen 33 und 35 Menschen ums Leben gekommen. Unter ihnen seien fünf Kinder, sagte der Leiter des Krankenhauses im Vorort Nasr City, Mohammed Zanaty, dem arabischen Nachrichtensender al-Dschasira. Das staatliche ägyptische Fernsehen berichtet von 42 Toten.

Ein Sprecher der Muslimbrüder sagte, die unbewaffneten Anhänger der islamistischen Vereinigung seien erschossen worden, während sie bei einer Sitzblockade ihr Morgengebet ausführten.

Den Muslimbrüdern zufolge wurden zudem 500 Menschen verletzt. Ein Arzt sagte al-Dschasira, dass die "Mehrheit der Verwundeten Schusswunden im Kopf" habe. Die Sicherheitskräfte hätten mit scharfer Munition geschossen und Tränengas eingesetzt, berichtete ein Demonstrant.

Die Armee sprach im staatlichen Fernsehen hingegen vom Angriff einer "terroristischen Gruppe" auf das Gebäude. Dabei seien ein Offizier getötet und 40 Soldaten verwundet worden. Das Militär nahm nach eigenen Angaben etwa 200 Bewaffnete fest, die an dem Angriff auf einen Klub der Republikanischen Garde beteiligt gewesen seien. Die Festgenommenen hätten unter anderem Schusswaffen und Brandsätze bei sich gehabt, hieß es in der Erklärung der Armee weiter.

Al-Din als Regierungschef vorgeschlagen

Der dramatische Vorfall ereignete sich mitten in einer Zeit schwieriger Verhandlungen zur Bildung einer neue Regierung in Ägypten. Die Gruppierungen, die hinter Mohammed Mursis Entmachtung durch das Militär stehen, hätten sich auf Siad Bahaa al-Din als neuen Chef der ägyptischen Übergangsregierung geeinigt, sagte Ahmed al-Muslimani, der Medienberater von Übergangspräsident Mohammed Mansur dem Fernsehsender ONTV.

Der 48-jährige al-Din ist der Sohn eines bekannten Schriftstellers und hat für verschiedene Finanzinstitutionen gearbeitet, unter anderem in Washington. 1997 wurde er Berater im ägyptischen Wirtschaftsministerium. In die aktive Politik trat der verheiratete Vater zweier Kinder aber erst 2011 nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Hosni Mubarak ein.

Zunächst war der frühere Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Mohammed ElBardei, als Übergangsregierungschef gehandelt worden. Das Vorhaben stieß jedoch auf den Widerstand der einflussreichen salafistischen Al-Nur-Partei. "Wir können nicht von nationaler Versöhnung sprechen und dann Mursis ärgsten Gegner zum Ministerpräsidenten machen", sagte der ranghohe Al-Nur-Funktionär Nader Bakkar.

Allerdings meldeten die Salafisten auch gegen al-Din Bedenken an. "Wir haben nichts gegen ihn persönlich, er ist eine wirtschaftliche Stütze", sagte Al-Nur-Funktionär Junis Machjun dem Fernsehsender al-Arabija. Seine Partei lehne al-Dins Kandidatur jedoch ab, weil er ElBaradeis Nationaler Heilsfront angehört habe.

Al-Muslimani hatte gesagt, Mansur werde zwar auf Einwände hören, er könne aber nicht alle mit seiner endgültigen Entscheidung zufriedenstellen. Die Entscheidung über den künftigen Regierungschef soll an diesem Montag bekannt gegeben werden. ElBaradei soll laut al-Muslimani zu Mansurs Stellvertreter ernannt werden.

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