Umstrittenes Cover des "Time Magazine":Das neue Gesicht Afghanistans

Nach den Wikileaks-Enthüllungen heizt ein einzelnes Bild derzeit in den USA die Debatte um den Krieg in Afghanistan an: Das "Time Magazine" macht mit dem verstümmelten Gesicht einer Afghanin auf. Schonungslose Aufklärung oder Kriegspornographie?

Das Bild erinnert nicht zufällig an das berühmte Bild "Afghan Girl" des Fotografen Steve McCurry. Dessen Foto eines afghanischen Mädchens mit Kopftuch und geweiteten Augen zierte 1985 den Titel des US-Magazins National Geographic - und wurde damit Symbol für den grausamen Krieg der Sowjetunion am Hindukusch.

Mädchen

Sharbat Gula - das afghanische Mädchen von 1985.

(Foto: AP)

Inzwischen sind es die Amerikaner selbst, die dort Krieg führen und das neue afghanische Mädchen ist nicht nur schön und verängstigt - inmitten ihres Gesichtes klafft ein tiefes Loch anstelle ihrer Nase. Daneben druckte das Time Magazine die Überschrift: "Was passiert, wenn wir Afghanistan verlassen."

Die heute 19-jährige Bibi Aisha (Name vom Time Magazine geändert) wurde von ihrer Familie verkauft und von ihren neuen Angehörigen derart geschlagen und misshandelt, dass sie schließlich flüchtete. Doch ihr Ehemann fand sie wieder - und ein Talibangericht urteilte, dass er ihr zur Strafe die Nase und die Ohren abschneiden dürfe. Blutend ließ er seine Frau zum Sterben zurück. Wie Aisha überlebte, weiß sie selbst nicht mehr.

Jetzt ist die Afghanin auf jeden Fall mit Hilfe der Organisation "Women for Afghan Women" auf dem Weg in die USA, um durch eine plastische Operation ihre Nase wiederzubekommen - und Amerika diskutiert heftig. Über das Bild, über Frauen und über den Krieg. Befürworter finden, dass das Foto ein mächtiges Argument für nachhaltiges Engagement in Afghanistan ist und gegen den für 2011 geplanten Beginn des Abzugs der US-Armee. Gegner werfen dem Time Magazine "Kriegspornographie" vor, die linke Website Bagnews spricht von "emotionaler Erpressung".

So hoch schwappen die Emotionen, dass sich Richard Stengel, der Chefredakteur der Zeitschrift, zu einer Stellungnahme veranlasst sah. "Das Bild zeigt uns die Realität, mit der wir es zu tun bekommen, wenn die internationalen Truppen abziehen", schreibt Stengel. Er habe lange mit sich gerungen, bevor er das Bild auf den Titel genommen habe, sei jedoch der Meinung: "Es ist unsere Aufgabe, auch über schlimme und schreckliche Dinge zu informieren und aufzuklären. Wir veröffentlichen diese Geschichte und dieses Bild nicht, um den US-Einsatz in Afghanistan zu unterstützen."

Besonders letztere Behauptung nimmt ihm kaum jemand ab in der amerikanischen Medienlandschaft und Blogosphäre. Tom Scocca, Redakteur des Politmagazins Slate, kritisiert vor allem die Überschrift neben dem emotionalen Bild, die lautet: "Was passiert, wenn wir Afghanistan verlassen." Kein Fragezeichen, keine Relativierung, sondern eine Tatsachenbehauptung.

Das sei ja herzzerreißend, schreibt Scocca - und komplett falsch. "Wir sind 2001 in Afghanistan einmarschiert. Die Nase der jungen Frau wurden 2009 von den Taliban abgeschnitten." Korrekter wäre seiner Meinung nach: "Was noch immer in Afghanistan passiert, obwohl wir dort sind."

Frauenrechte als "Feigenblatt"

Vor allem Bloggerinnen kritisieren, dass durch das Foto die Situation der Frauen in Afghanistan als Kriegsrechtfertigung missbraucht werde. Kavita Ramdas, Chefin des "Global Funds for Women", schreibt, Gesichter wie das von Bibi Aisha könne man auf der ganzen Welt sehen - auch in den USA. "Ich halte diese fadenscheinige Rechtfertigung für noch mehr Krieg, noch mehr Besetzung und noch mehr Militarisierung nicht aus", so Ramdas. Waffen, Soldaten und Militärpräsenz hätten die Sicherheit für Frauen noch nirgends erhöht, im Gegenteil. Krieg führe immer zu weniger Freiheit für Frauen und Mädchen.

Umstrittenes Cover des "Time Magazine": Dieses Bild von Bibi Aisha erhitzt derzeit die Gemüter.

Dieses Bild von Bibi Aisha erhitzt derzeit die Gemüter.

(Foto: AP Photo/Time Inc.)

Auch die politische Analystin Kirsten Powers beklagt in ihrem Blog Daily Beast die Instrumentalisierung von Frauenrechten. Darum sei es am Hindukusch noch nie gegangen, die Begründung des Krieges mit der Situation der Frauen sei ein "Feigenblatt", so Powers, die auch für Fox News und die New York Post arbeitet.

Anderer Meinung ist Manizha Naderi, Vorsitzende der Organisation "Women for Afghan Women", die sich derzeit im Bibi Aisha kümmert. "Die Menschen müssen sehen und hören, was passiert, wenn wir dieses Land sich selbst überlassen", sagte Naderi der New York Times. Die Situation der Frauen und Mädchen in Afghanistan sei besser geworden, seitdem die internationalen Truppen im Land sind. Tausende Mädchenschulen seien gebaut worden, afghanische Frauen sitzen im Parlament, es gäbe Gleichstellungsprogramme, erläutert Naderi.

Mit alledem ist es sicherlich zu Ende, wenn die Taliban wieder mehr Macht bekommen. Bibi Aisha war nicht bewusst, was ihr Gesicht auf dem Cover des Time Magazins auslösen würde. Sie kannte die Zeitschrift bislang nicht einmal. Der New York Times sagte sie, sie wisse nicht, ob ihr Fall anderen Frauen helfe oder nicht. "Ich möchte nur meine Nase zurück."

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