Umstrittenes Bahnprojekt "Stuttgart 21":Heiner Geißler stoppt die Bagger

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Die Protestbewegung feiert einen Etappensieg: Während der Vermittlungsgespräche zu Stuttgart 21 ruhen die Bauarbeiten am Bahnhof. Schlichter Geißler betont, die Gespräche müssten "ergebnisoffen" geführt werden - und schließt einen Ende des Bauprojektes nicht aus.

Dagmar Deckstein und Martin Kotynek

Schon am ersten Tag, nachdem Heiner Geißler als Mediator im Streit um das Milliardenprojekt Stuttgart 21 gerufen wurde, hat der frühere CDU-Generalsekretär einen Baustopp erwirkt. Geißler sagte am Donnerstagabend, er habe bereits mit Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) gesprochen und mit Bahn-Chef Rüdiger Grube telefoniert, und beide seien mit seiner Vorbedingung einverstanden gewesen. Die bereits begonnen Arbeiten am Stuttgarter Kopfbahnhof werden mit Beginn der Gespräche eingestellt.

Kaum hat er die Aufgabe als Vermittler zwischen Protestbewegung, Bahn und Landesregierung angenommen, kündigt er einen Baustopp für die Zeit der Gespräche an: CDU-Veteran Heiner Geißler. (Foto: dpa)

Nach ersten Sondierungen mit Vertretern der Gegner und Befürworter ist Geißler zuversichtlich, das die Verhandlungen am runden Tisch unter seiner Vermittlung schon in der kommenden Woche beginnen könnten. Geißler schlägt dafür den baden-württembergischen Landtag als neutralen Ort vor.

Im Gegensatz zu den Bauarbeiten dürften jedoch die Demonstrationen weitergehen, nur müssten die "absolut friedlich und ohne jegliche Verbalinjurien" vonstatten gehen. "Wenn sich jemand dennoch dazu hinreißen lässt, wird er von mir in den Senkel gestellt", mahnte Geißler. Er betonte zudem, die Verhandlungen dürften sich nicht "bis zum Sankt Nimmerleinstag" hinziehen. Der Schlichter hält eine Lösung bis Jahresende für realistisch.

An den Gesprächen, so Geißler weiter, sollten Vertreter der Bahn, des Bundes, der Grünen im Stuttgarter Landtag sowie des "Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21" teilnehmen. Mit letzteren wollte er noch am Donnerstagabend die ersten Sondierungsgespräche aufnehmen, nachdem er tagsüber bereits mit Mappus, Grube und dem Fraktionschef der Landtagsgrünen, Winfried Kretschmann, gesprochen hatte.

"Habe sehr viel guten Willen erlebt"

Sowohl die Gegner - als auch die Befürworterseite sollen Geißler ihren Katalog der Sachpunkte vorlegen, die nach ihrer Ansicht verhandelt werden sollten. Dazu sollten auch die jeweiligen Experten zu den Gesprächen geladen werden. Als Resümee seines ersten Schlichtertages in Stuttgart zog Geißler den Eindruck, "dass ich sehr viel guten Willen in den letzten Stunden erlebt habe."

Er betonte, dass er sich nicht selbst für die Mittlerarbeit angeboten habe, sondern gebeten worden sei. Indessen fühle er sich Stuttgart engstens verbunden und nehme die Aufgabe "aus Sympathie und Heimatliebe" an. "In der Welt draußen soll nicht der Eindruck entstehen, in Stuttgart gehe es zu wie in der Hamburger Hafenstraße", fügte Geißler hinzu. Als Ziel der Schlichtungsgespräche nannte Geißler, dass die Bürger - für welche Lösung man sich auch immer entscheide- den Eindruck von Transparenz und Glaubwürdigkeit gewönnen.

Unterdessen kam der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages zu dem Schluss, dass eine landesweite Volksabstimmung über Stuttgart 21 zulässig sei. Weder Bundesgesetze, noch das Haushaltsrecht des Landes oder Entschließungen des Landtags würden das Land dazu verpflichten, an dem Projekt festzuhalten. Auch aus dem Finanzierungsvertrag könnte das Land aussteigen, "um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen".

Land könnte Finanzierungsvertrag kündigen

Das sei der Fall, wenn "die breite Mehrheit der Bevölkerung das Projekt in einem Ausmaß ablehnt, dass ein Festhalten an den Planungen den Frieden in der Region nachhaltig stören würde", heißt es in dem Gutachten. Sofern das Bauvorhaben nur mit massiver Gewalt gegen große Teile der Bevölkerung durchzusetzen wäre, könnte das Land den Finanzierungsvertrag kündigen.

Ein dafür nötiges Gesetz zum Ausstieg aus dem Milliardenprojekt könnte durch eine Volksabstimmung beschlossen werden, heißt es in dem Gutachten, das der baden-württembergische SPD-Generalsekretär Peter Friedrich in Auftrag gegeben hatte. Dieses Gesetz müsste auch die Frage der Entschädigung der anderen Vertragspartner regeln.

Nicht nur auf Landes-, sondern gleich auf Bundesebene will der Umweltverband BUND das Bahnprojekt stoppen. In einem offenen Brief fordert die Organisation Bundeskanzlerin Angela Merkel und Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) auf, die "Fehlentscheidung pro Stuttgart 21" zu korrigieren. Deutschland brauche Investitionen in die Ertüchtigung der Bahn und keinen überteuerten unterirdischen Bahnhof in Stuttgart.

© SZ vom 08.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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