Ungeachtet der Warnungen aus den USA hat die UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Unesco) Palästina als Vollmitglied aufgenommen. In der Generalkonferenz in Paris votierten 107 Mitgliedstaaten dafür. 14 Länder stimmten dagegen, darunter auch Deutschland. 53 Staaten enthielten sich nach Unesco-Angaben. Palästina ist der 195. Mitgliedstaat. Damit die Mitgliedschaft wirksam wird, müssen die Palästinenser die Unesco-Verfassung noch ratifizieren.
Die USA haben inzwischen ihre Drohungen wahr gemacht - und die Beitragszahlungen an die Unesco ausgesetzt. Nach Angaben des Außenministeriums sollen 60 Millionen Dollar (42 Millionen Euro), die im November fällig werden, nicht mehr an die UN-Organisation überwiesen werden.
Mit den USA verliert die Organisation ihren größten Geldgeber: Die Amerikaner steuern 22 Prozent zum Haushalt der Organisation bei - mehr als Japan und Deutschland. US-Außenministerin Hillary Clinton zufolge ist es der US-Regierung gesetzlich verboten, Organisationen zu finanzieren, die die Palästinenser als Mitglied akzeptieren.
Der aktuelle Zweijahreshaushalt der Organisation beläuft sich ohne extrabudgetäre Mittel auf 653 Millionen US-Dollar. Israel will sich nach Angaben seines Vertreters bei der Generalkonferenz, Nimrod Barkan, dem Schritt der USA anschließen und kein Geld mehr an die Unesco überweisen. Insgesamt könnte die in Paris ansässige UN-Kulturorganisation damit ein Viertel ihres Etats einbüßen.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon appellierte an die internationale Gemeinschaft, sicherzustellen, dass die Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen politisch und finanziell funktionieren. "Deshalb müssen wir an praktischen Lösungen arbeiten, um den Haushalt der Unesco zu sichern." Der Nahostkonflikt solle vor allem durch Bemühungen in der Region selbst gelöst werden. "Wir müssen alle härter für eine Lösung arbeiten."
"Verfrüht" und "kontraproduktiv"
Die US-Regierung kritisierte die Aufnahme der Palästinenser als "verfrüht" und "kontraproduktiv" hinsichtlich des Friedensprozesses im Nahen Osten. Diese lenke vom "gemeinsamen Ziel direkter Verhandlungen" zwischen Israel und den Palästinensern ab, sagte Regierungssprecher Jay Carney in Washington.
Israel wertete den Vorstoß der Palästinenser bei der Unesco sowie anderer UN-Organisationen mit "einer Ablehnung der Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, den Friedensprozess voranzubringen". Der israelische Außenamtssprecher Jigal Palmor schrieb in einer Mitteilung: "Dies ist ein einseitiges palästinensisches Manöver, das keine Veränderung vor Ort bringen wird, aber die Möglichkeit einer Friedensvereinbarung in weitere Ferne rücken lässt."
"Israel lehnt die Entscheidung der Generalversammlung der Unesco ab", hieß es weiter. Die Entscheidung mache "die palästinensische Führung nicht zu einem wirklichen Staat". Es sei enttäuschend, dass es der Europäischen Union nicht gelungen sei, die Unesco-Entscheidung zu verhindern.
Der israelische UN-Botschafter Nimrod Barkan warnte, diejenigen Staaten, die dem Antrag der Palästinenser zugestimmt hätten, könnten ihren Einfluss auf die israelische Politik verlieren. Vor allem könne dies eine Zusammenarbeit bei Friedensverhandlungen betreffen. Die Unesco solle sich mit Wissenschaft, "mit Science statt Science-Fiction" befassen, sagte Barkan.
Auf Seiten der Palästinenser wurde das Abstimmungsergebnis hingegen mit Jubel aufgenommen. "Lang lebe Palästina!", rief ein Delegierter während der Sitzung, die Berichten zufolge ungewöhnlich angespannt verlaufen war. Begeistert äußerte sich auch die palästinensische Politikerin Hanan Aschrawi: "Wir sind sehr aufgeregt und glücklich", sagte sie.
"Dies ist eine klare Botschaft, dass es eine deutliche Mehrheit auf der Welt gibt, die die Palästinenser nicht zum Opfer machen und sie nicht aus der Völkergemeinschaft ausschließen will", sagte Aschrawi, die auch Mitglied des Unesco-Exekutivrats ist. "Die Minderheit, die dagegen gestimmt hat, vor allem die USA, wird sich isoliert auf der falschen Seite der Gerechtigkeit wiederfinden."
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas bezeichnete die Aufnahme als "Sieg des Rechts, der Gerechtigkeit und der Freiheit". Ein Berater des sprach von einem "historischen Tag für die Palästinenser". Die Entscheidung sei eine weitere "politische Säule" im Kampf um palästinensische Selbstbestimmung. "Wir sind näher an der Unabhängigkeit als je zuvor."
"Fiasko für die Europäer"
In Deutschland stieß das ablehnende Votum der Bundesregierung auf scharfe Kritik aus der Opposition: SPD, Linke und Grüne werteten das deutsche Nein zur Aufnahme der Palästinenser als blamabel und beklagten eine Spaltung Europas in der Frage. Deutschland stehe mit seinem Nein "weltweit ziemlich isoliert" da, sagte SPD-Fraktionsvize Gernot Erler. Statt sich gemeinsam der Stimme zu enthalten, hätten insbesondere Deutschland und die Niederlande mit ihrer Ablehnung maßgeblich dazu beigetragen, "dass Europa wieder einmal ein Bild der Zerrissenheit in einer wichtigen außenpolitischen Frage abgibt".
Die Abstimmung sei ein "Fiasko für die Europäer". Auch die außenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Kerstin Müller, sprach von einem "beklagenswerten Bild der Uneinigkeit" innerhalb der EU. "Die Bundesregierung trägt die Hauptverantwortung dafür", kritisierte sie. " Der Außenexperte der Linksfraktion, Wolfgang Gehrcke, sagte: "Die Nahostpolitik der Bundesregierung wird immer verworrener."
Die Bundesregierung hingegen verteidigte ihre Haltung: Zwar unterstütze Deutschland "nachdrücklich" das palästinensische Anliegen auf einen eigenen Staat, erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Man sei jedoch der Auffassung, dass der Unesco-Antrag das Verfahren auf Annahme in die Vereinten Nationen, das derzeit im UN-Sicherheitsrat läuft, "nicht beeinträchtigen und auch nicht präjudizieren sollte". Zudem sehe Deutschland die Gefahr, dass die jüngst wieder aufgenommenen Friedensgespräche unter Vermittlung das Nahost-Quartetts "zusätzlich belastet werden".
Ein Aufnahmeantrag Palästinas auf Vollmitgliedschaft - und damit Anerkennung - bei den UN wird derzeit noch vom UN-Sicherheitsrat geprüft. Dort werden den Palästinensern aber keine Chancen eingeräumt, weil die USA von ihrem Vetorecht Gebrauch machen wollen. In der Unesco gibt es dagegen keine Möglichkeit, Aufnahmen neuer Länder per Veto zu verhindern, sofern die Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht wird.