Umstrittener Tiefbahnhof:Grüne boykottieren Grundsteinlegung für Stuttgart 21

Grundsteinlegung Stuttgart 21

Bahnchef Rüdiger Grube in der Baugrube von Stuttgart 21

(Foto: Marijan Murat/dpa)

Auch Verkehrsminister Dobrindt fehlt, als Bahn-Chef Grube den ersten Stein einzementiert. Das zeigt: Für S21 trägt niemand gern Verantwortung.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Winfried Kretschmann mag viele Qualitäten haben, aber eines kann er nicht: schauspielern. Das wurde wieder deutlich, als er Anfang der Woche erklären sollte, warum er nicht an der Grundsteinlegung für den Stuttgarter Tiefbahnhof teilnehmen werde. Kretschmann nannte Terminnöte, verwies auf die kurzfristige Einladung - kam aber nach der ersten Nachfrage sofort auf die lange Geschichte der Kostensteigerungen und Verzögerungen bei Stuttgart 21 zu sprechen.

"Wir", sagte er und meinte die Gegner des Projekts, "haben von Anfang an gesagt, dass es teurer wird." Er selbst habe darauf hingewiesen, dass von dem Bau Biotope berührt sind. Dass die Bahn nun angeblich überzogenen Naturschutz - konkret die Umsiedlung von Eidechsen - verantwortlich mache für immer neue Probleme, ärgert den Grünen. "Man kann nicht so tun", sagte er, "als seien da Eidechsen vom Himmel gefallen."

Nun ist der Grundstein also gelegt. Es klappte am Freitag, unter Federführung von Bahn-Chef Rüdiger Grube und mit Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut als ranghöchster Vertreterin Baden-Württembergs, auch ohne grüne Hilfe.

Ministerpräsident Kretschmann weilte in Berlin, Verkehrsminister Winfried Hermann hielt einen Vortrag in Luzern, Oberbürgermeister Fritz Kuhn saß in der "Eiermann-Jury", die sich um die Zukunft der ehemaligen IBM-Zentrale kümmert, ein wichtiges städtisches Projekt. Die großen drei der Südwest-Grünen signalisierten mit ihrem Boykott: Sie sind nicht bereit, die Verantwortung für zusätzliche Kosten zu übernehmen.

Seitenhiebe auf die Grünen

Sie verpassten deshalb, wie ein halbes Dutzend Festredner von dem Projekt schwärmten. Von kürzeren Fahrzeiten, vom architektonischen Charme des Tiefbahnhofs, von dem neuen Stadtviertel, das entstehen wird, wenn die oberirdischen Gleisanlagen eines Tages abgebaut sind. Von den 30 Hektar zusätzlicher Grünfläche.

Auch der eine oder andere Seitenhieb auf die Grünen wurde geführt. Am deutlichsten äußerte sich Norbert Barthle, Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, der die Grünen mahnte, sie würden Verantwortung für alle Bürger tragen, "nicht nur die eigene Partei-Klientel".

Drei Hammerschläge besiegelten die Zeremonie, begleitet von "Oben-bleiben"-Rufen einiger Hundert Projektgegner. Eingemauert in den Grundstein wurde eine Zeitkapsel als Botschaft für die Nachwelt. Sie enthält nun zwar keine Eidechsen, aber die aktuellen Ausgaben der beiden Stuttgarter Tageszeitungen. Darin ist von der tiefen Krise des VfB Stuttgart zu lesen - und von Spekulationen um neue Kostensteigerungen für S 21, befeuert durch einen Bericht des Bundesrechnungshofs. Der Streit um Stuttgart 21, eine unendliche Geschichte?

Neue Kostenschätzung des Bundesrechtungshofs

Man mag den Boykott der Grünen für wenig souverän halten. Ebenso wenig souverän wirkte allerdings der Auftritt von Bahn-Chef Grube in Stuttgart. Er erweckte den Eindruck, als sei es völlig absurd, an den Kalkulationen der Bahn auch nur den Hauch eines Zweifels zu äußern. Dabei ist es erst wenige Monate her, dass der Vorstand in einer Kostenschätzung zusätzliche Risiken identifiziert und den kompletten Kostenrahmen von 6,5 Milliarden Euro ausgeschöpft hat.

Beim Volksentscheid im Jahr 2011, mit dem die Grünen vergeblich versuchten, das Projekt zu kippen, wurde noch mit 4,5 Milliarden hantiert. Der Bundesrechnungshof hält nun offenbar zehn Milliarden Euro für möglich, exakt die Schätzung der Projektgegner, und rügt Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt wegen mangelnder Kontrolle des Projekts. Schließlich sei der Bund Eigentümer der Bahn und Stuttgart 21 von wesentlicher Bedeutung für das gesamte deutsche Schienennetz. Auch Dobrindt fehlte bei der Grundsteinlegung, was zeigt: Für S 21 trägt niemand gern Verantwortung.

Der Aufsichtsrat der Bahn hat für den 13. Oktober eine Sondersitzung einberufen, um sich mit Stuttgart 21 zu befassen. Dabei soll eine Kostenanalyse der Wirtschaftsprüfer von KPMG vorgestellt werden. Grube gibt sich überzeugt, dass die 6,5 Milliarden das letzte Wort sind, verspricht aber: "Es wird nichts verheimlicht, es kommt alles auf den Tisch." Man wird ihn beim Wort nehmen.

Stuttgart 21, zur Erinnerung, ist ein Teil des Bahnprojekts Stuttgart-Ulm. Der andere Teil, der Neubau der Strecke Wendlingen-Ulm, wird möglicherweise sogar weniger als die veranschlagten 3,26 Milliarden Euro kosten. Die Hälfte der 61 Kilometer ist gegraben, nun aber verzögern Zauneidechsen, die umgesiedelt werden müssen, den Fortgang.

S21-Bau wird immer aufwändiger

Kern des Projekts Stuttgart-Ulm ist die Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart, eben S 21, samt der Vergrabung des Hauptbahnhofs, der vom Kopf- zum Durchgangsbahnhof wird. Ein Drittel der 59 Tunnelkilometer sind gebuddelt, doch der in jeder Hinsicht komplizierte Bau wird immer aufwendiger - nicht nur wegen der Umsiedlung von Eidechsen.

Die Bahn hält am Ziel fest, den Tiefbahnhof 2021 in Betrieb zu nehmen. Geht der Bau aber voran wie bislang geplant, wird es bis 2023 dauern, mindestens. Projektleiter Manfred Leger erinnerte am Freitag daran, alle Beteiligten müssten an einem Strang ziehen, um den Rückstand aufzuholen. Doch das Verhältnis zu den grünen Entscheidungsträgern, seit Legers Amtsübernahme entspannt, scheint wieder gestört zu sein, nachdem Kretschmann und Kollegen von den neuen Kostenrisiken aus der Zeitung erfahren haben statt von der Bahn.

Viele Grüne halten es nach wie vor für verkehrspolitischen Irrsinn, für Milliarden den Bahnhof zu verbuddeln und damit das Stuttgarter Netz für alle Ewigkeit auf das jetzt gebaute Tunnelsystem festzulegen. Kretschmann beharrt aber darauf: Seine Regierung stehe seit dem Volksentscheid zur Verantwortung, S 21 so gut und so schnell wie möglich zu Ende zu führen.

Allerdings werde das Land nicht mehr als die vertraglich vereinbarten 930 Millionen Euro zahlen; so ist das auch im Koalitionsvertrag mit der CDU festgehalten. Die Bahn dagegen beruft sich auf eine im Vertrag fixierte "Sprechklausel". Am Ende wird man sich möglicherweise, statt bei der Grundsteinlegung, vor Gericht treffen.

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