Umstrittene Pläne im Balkangebirge:Schnelles Geld auf der Piste

In den Bergen zwischen Serbien und Bulgarien soll ein gigantisches Winterresort entstehen - zu Lasten der noch unberührten Umwelt. Sieger-Reportage des Wettbewerbs für Balkan-Journalisten.

Aleksandra Stankovic

Aleksandra Stankovic schreibt über die bislang weitgehend unberührte Bergwelt zwischen Serbien und Bulgarien, die nun durch Pläne für ein großes Wintersport-Resort bedroht ist. Die Journalistin aus Serbien, dort Korrespondentin für die populäre TV-Station B92, hat mit diesem Text ein Stipendium für junge Balkan-Journalisten gewonnen (Balkan Fellowship for Journalistic Excellence), das von der deutschen Bosch-Stiftung und der österreichischen ERSTE Stiftung getragen wird. Medien-Partner dieses zum zweiten Mal ausgetragenen Wettbewerbs sind die "Süddeutsche Zeitung" und "Der Standard" in Wien.

Umstrittene Pläne im Balkangebirge: Ein gigantisches Winterresort für 40.000 Besucher ist in den idyllischen Bergen zwischen Bulgarien  und Serbien geplant.

Ein gigantisches Winterresort für 40.000 Besucher ist in den idyllischen Bergen zwischen Bulgarien und Serbien geplant.

(Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de veröffentlicht an dieser Stelle die Reportage von Aleksandra Stankovic, die damit den zweiten Platz belegte. Den ersten Platz des Wettbewerbs belegte Lavdim Hamidis, der in Pristina für die Zeitung "Zeri" arbeitet. Auf den dritten Platz wählte die Journalisten-Jury Mirsad Bajtarevic aus Bosnien.

Zehn junge Journalisten hatten dabei nach einer Vorauswahl die Möglichkeit, sowohl in ihrer Heimat, wie in einem oder mehreren Ländern Europas zu recherchieren. Dabei machten sie überraschende Erfahrungen. So bat eine Journalistin aus Belgrad einen Europaabgeordneten um ein Interview. "Kommen Sie doch morgen vorbei", sagte der Politiker. Da musste die Serbin ihrem Gesprächspartner erst klar machen, dass sie für ein EU-Land leider ein Visum brauche und dies für sie allenfalls in mehreren Wochen, aber niemals in 24 Stunden zu bekommen sei.

Von der Terrasse der Hütte Mihajlo Djordjevics im Dorf Ragodesh hat man einen wunderbaren Blick auf das Balkangebirge Stara Planina in Südostserbien. Selbst im Juni ist der höchste Gipfel, der 2169 Meter hohe Mizdor, schneebedeckt und glitzert in der Sonne.

Mihajlo blickt auf die Felder unterhalb des Mizdor, wo er sein ganzes Leben verbracht hat. Im Spätsommer kommen die Stadtbewohner, um wilde Heidelbeeren, Himbeeren und Brombeeren zu pflücken. Die Einheimischen sagen, der beste Weg, um die Fülle der heimischen Kräuter zu erleben, sei der Genuss von Schafsmilch, aus der der harte Kackaval-Käse hergestellt wird.

Das Wasser von den Gipfeln ist so klar, dass es direkt aus den Flüssen getrunken werden kann, in denen auch eine seltene Forellenart lebt. Das Wasser fließt in den See Zavoj, der groß genug ist, um die Wasserversorgung von gut einem Viertel der 7,5 Millionen Serben sicherzustellen. Wegen seines Naturreichtums wurde das Balkangebirge zum Landschaftsschutzgebiet erklärt, dem größten in Serbien.

Aber diese Gipfelwelt zwischen Serbien und Bulgarien ist längst nicht mehr wirklich heil, weder auf der einen noch auf der anderen Seite der Grenze. Im Zuge der Industrialisierung der beiden kommunistischen Länder nach dem Zweiten Weltkrieg wanderten die meisten Menschen aus und ließen die pittoresken Dörfer menschenleer zurück. Doch all dies soll sich nun ändern.

Große Krater auf der Piste

Serbiens neue pro-westliche Regierung ist entschlossen, das Balkangebirge wiederzubeleben, allerdings nicht durch die einst weitbekannten Erzeugnisse aus Heimarbeit wie Viehzucht, Milchprodukte und Teppichweberei.

Stattdessen hat sie eine Ausschreibung zur Errichtung eines großen Winterresorts angekündigt, das bis zu 40.000 Besucher beherbergen soll. Umweltschützer befürchten, dass die meisten Skipisten in Gegenden liegen werden, die als Lebensraum seltener und gefährdeter Tier- und Pflanzenarten gesetzlich geschützt sind. Sie glauben auch, dass Belgrad trotz der Warnung des staatlichen Umweltschutzinstituts, das Bauvorhaben werde sechs Gesetze zum Schutz seltener Arten, Hölzer und Wasserwege verletzen, entschlossen ist, das Projekt fortzuführen.

Goran Milic aus dem Dorf Topli Do ist davon unbeeindruckt. "Welches Touristenzentrum?" fragt er. "Dafür ist es jetzt zu spät. Hier sind keine Leute mehr!" Andere Dorfbewohner schütteln den Kopf und fragen sich, wie ein Skiresort ihre sterbende Gemeinde wiederbeleben soll. "In unseren Dörfern gibt es nichts, was Touristen anlocken könnte." Ihre größte Sorge ist die Zukunft ihrer Bergquellen.

Im Dorf Balta Berilovac auf der anderen Seite des als Babin Zub bekannten Berggipfels, wo das Skizentrum gebaut werden soll, besitzen die Dorfbewohner viele Hektar Land, die bis jetzt wertlos waren. Nun schießen die Grundstückspreise in die Höhe, da Gerüchte kursieren, Großindustrielle wollten ganze Landstriche in der Gegend aufkaufen. Dunavka Bozinovic, eine Polizistin aus der Gegend, sähe es am liebsten, wenn das Gebirge unberührt bliebe. Aber nun verkauft sie ihre 18 Hektar Land, um eine Wohnung im nahegelegenen Nis zu erwerben, wo ihre Kinder studieren. "Wenn das Balkangebirge zerstört wird, wird das geschehen, weil wir so arm sind", so Bozinovic.

Das Ministerium für Wirtschaft und regionale Entwicklung hat zugesichert, die Gesetze zu achten und die Umwelt zu schützen. Doch im September 2006 eröffneten mehrere Minister, darunter Wirtschaftsminister Mladjan Dinkic, ein passionierter Skifahrer, die Baustelle für die neue Piste unterhalb des Babin Zub. Während der ersten Bauarbeiten wurden bereits weite Waldstriche zerstört, wodurch im darauf folgenden Frühling die Gebirgsbäche den Boden erodieren konnten und große Krater hinterließen. Die Mikroumwelt wurde empfindlich beeinträchtigt und zumindest eine gefährdete Art, die Campanula calycialata, oder geflügelte Glockenblume, gilt nun als gefährdet.

Schnelles Geld auf der Piste

Regierungsvertreter verteidigen das Anlegen der Skipiste als ersten Schritt zu einem wirtschaftlichen Wiederaufschwung. "Das Balkangebirgsresort ist ein Projekt von nationalem Interesse und diese Piste ist als Wegbereiter für künftige Investitionen geplant", sagt Serbiens Tourismusexperte Goran Petkovic. Er beharrt darauf, die zuständigen Beamten hätten während der Planungsphase ein Umweltinstitut zu Rate gezogen und alle seine Auflagen erfüllt. Der geplante Bau des Resorts stößt auch auf Zustimmung der hiesigen Gemeinde. Gradimir Zivkovic, der Bürgermeister von Knjazevac, sagt, Umweltschutzbedenken dürften dem Wachstum nicht im Weg stehen. "Man muss einen Mittelweg zwischen Mensch und Natur finden. Wenn es das höchste Ziel einiger Leute ist, die Natur ohne jede Entwicklung zu bewahren, dann sollten wir alle in Belgrader Hochhäuser ziehen und die Wissenschaftler ihre Schoßtiere und Lieblingspflanzen im Freien untersuchen lassen."

Umstrittene Pläne im Balkangebirge: Die Autorin des Textes Aleksandra Stankovic. Sie belegte mit ihrer Reportage den zweiten Platz des Journalisten-Wettbewerbs.

Die Autorin des Textes Aleksandra Stankovic. Sie belegte mit ihrer Reportage den zweiten Platz des Journalisten-Wettbewerbs.

(Foto: Foto: oh)

Umweltexpertin: "Schlicht illegal"

Doch Lidija Amidzic, die Direktorin des Serbischen Instituts für Umweltschutz, ist anderer Meinung und weist die Darstellung, die Regierung habe wichtige Experten zu Rate gezogen, zurück. "Die Art und Weise, in der die Entwicklung der touristischen Infrastruktur derzeit geplant wird, ist schlicht illegal", so Amidzic.

Gegner des Plans glauben, größere Investitionen in den Wintertourismus seien unklug, weil der Klimawandel zu geringerem Schneefall in den Bergen führen werde. Sie weisen darauf hin, dass Skizentren in den Alpen, die wesentlich höher und weiter nördlich als das Balkangebirge liegen, sich bereits Schwierigkeiten gegenüber sehen.

Michael Reischer, ein für die Tiroler Landesregierung in Österreich tätiger Wasserexperte, erklärt, dass die zur Erzeugung künstlichen Schnees in den österreichischen Alpen benötigte Wassermenge dem Verbrauch einer halben Million Haushalte entspreche. "Und mit dem weiteren Ausbau der touristischen Infrastruktur, steigt auch der Energie- und Wasserbedarf."

Darüberhinaus glauben Umweltschützer, dass Beschneiungsanlagen den Grundwasserspiegel beeinträchtigen und das Ökosystem schädigen. Kunstschnee bleibt länger liegen als Naturschnee und bringt den Vegetationskreislauf durcheinander. So wächst in manchen Alpengegenden bis in den Sommer kein Gras auf den Hängen.

Zum Schützen wird nichts übrig bleiben...

Das abschließende Urteil über die Umweltverträglichkeit des Resorts im Balkangebirge wird im Umweltministerium fallen. Der stellvertretende Umweltminister Dusan Pajkic gesteht: "Unsere Umwelt ist im Großen und Ganzen auf sich allein gestellt. Vielleicht sollte ein Teil der Gewinne aus dem Tourismus in den Umweltschutz fließen."

Aber Umweltschützer sagen, es werde nichts zum Schützen übrig bleiben, sollten die Bauträger das Projekt fertigstellen dürfen. Sie verweisen auf das Beispiel Kopaoniks, des größten Skizentrums Serbiens, wo in den achtziger Jahren nahe den Gipfeln Hotelkomplexe gebaut wurden. Die Einheimischen profitierten davon wenig, da die Eigentümer aus der Stadt kamen und nur wenige Leute aus den Dörfern beschäftigten. Da es keine Kläranlage gab, wurde der größte Gebirgsfluss der Gegend verschmutzt.

Schnelles Geld auf der Piste

Serbiens Staatspräsident Boris Tadic Reuters

Serbiens Staatspräsident Boris Tadic: Die neue pro-westliche Regierung ist entschlossen, das Balkangebirge wiederzubeleben - zu Lasten der Umwelt.

(Foto: Foto: Reuters)

Umweltaktivisten glauben, das Resort im Balkangebirge werde das Wasser im Zavojreservoir ganz ähnlich gefährden. Dieses wird bereits durch Motorboote und Abwässer aus illegal errichteten Ferienhäusern belastet.

EU weist Bulgarien in die Schranken

Bulgarien, eines der jüngsten Mitglieder der EU, gilt weithin als idealer Ort für Investitionen in den Tourismus. Im ganzen Land findet man neue Baustellen, von den Bergen bis zum Schwarzen Meer. Aber viele dieser Skipisten und Hotels sind ohne Genehmigung errichtet worden und haben so auch den von der Unesco als Weltkulturerbe anerkannten Nationalpark im Pirin-Gebirge in Mitleidenschaft gezogen.

"Natura 2000", das Umweltschutzprogramm der Europäischen Kommission, schreibt vor, den Lebensraum seltener Arten streng zu schützen. Doch Bulgarien zierte sich bisher, diese Vorgabe zu befolgen. So schlossen die Behörden beispielsweise einen Landstrich um den Rila-Nationalpark vom Geltungsbereich des "Natura 2000"-Programms aus, um so den Fortgang mehrerer Bauprojekte zu ermöglichen. Im Juni 2008 verwarnte die Europäische Kommission Bulgarien, weil es die Vogel-Richtlinie verletzt hatte. Diese verpflichtet die Mitgliedsstaaten, für wilde Vogelarten gesonderte Schutzgebiete einzurichten.

Die bulgarische Seite des Balkangebirges ist ebenso verlassen wie die serbische und ist ebenfalls Ziel von Bauunternehmen. Die kleine, an den Berghängen gelegene Gemeinde Berkovica sieht ihre Rettung in Skiresorts. Vom Fenster seines nüchtern eingerichteten Büros weist der stellvertretende Bürgermeister Ivan Ivanov hoffnungsvoll auf den Gipfel des Berges Kom, seine Trumpfkarte im Spiel um die Wintertourismusprojekte.

Doch Bulgariens Beitritt zur EU hat die Angelegenheit kompliziert. "Natura 2000 hat uns die Hände gebunden", beschwert sich Ivanov. "Wir hätten letztes Jahr mit den Bauarbeiten anfangen sollen, aber alles ist zum Erliegen gekommen."

"Ein Teil des Gebietes ist wegen der Bären geschützt, aber wir haben hier seit Jahrzehnten keine Bären gesehen. Ein anderes Gebiet steht wegen seltener Vögel unter Schutz. Den Bauern ist es verboten, Landwirtschaftsmaschinen einzusetzen, da diese die Vögel stören könnten. Doch viele Vögel sterben durch Stromschläge an den Überlandleitungen!"

Petar Pencev, der Vorsitzende des Verbandes bulgarischer Umweltschutzorganisationen, sagt, die Gemeinden benähmen sich wie feudale Herzogtümer und verführen mit dem Gemeindeland, wie es ihnen beliebt. "Sie erlauben Investoren, in Landschaftsschutzgebieten und Nationalparks zu bauen und korrupte Beamte ignorieren das wissentlich."

Und wenn kein Schnee mehr fällt...

Der österreichische Alpenverein mit Sitz in Innsbruck hat sich seit seiner Gründung im Jahr 1862 die Bewahrung einer ursprünglichen Umwelt zum Ziel gesetzt. "Die Politiker mögen uns nicht, weil sie glauben, wir seien gegen jede Art von Bauvorhaben", sagt das Vereinsmitglied Peter Hasslacher. "Tatsächlich befürworten wir Entwicklungsprojekte, aber nicht auf Kosten der Natur."

Stolz verweist er auf Millionen Euro an Zuschüssen des österreichischen Umweltministeriums und der EU, um den örtlichen Tourismus, das Bergsteigen, Trekking und die Landwirtschaft zu fördern. "Warum sollte man in den Skitourismus investieren, wenn jedes Jahr weniger Schnee fällt?" fragt Hasslacher.

Die Belastung der Alpen ist aber nicht verschwunden. Der zunehmende Schneemangel führt dazu, dass Investoren verstärkt Druck auf Tirol ausüben, um Genehmigungen zum Bau von Hotels in größerer Höhe und auf Gletschern zu erhalten, die durch österreichische und europäische Bestimmungen geschützt sind.

Die Umweltschützer schlagen deshalb auch in Brüssel Alarm, wenn sie glauben, dass sich die lokalen Politiker nicht an die Regeln halten. Michael Reischer von der Tiroler Regierung sagt, dass immer erst ein Expertengutachten einer angesehenen unabhängigen Institution eingeholt werde, bevor ein Infrastrukturprojekt genehmigt wird. Die Regierung, so Reischer, sei zudem bemüht, die Auswirkungen solcher Projekte auf die Natur auszugleichen. "Wenn die Natur gefährdet wird, verpflichten wir den Investor, ein Projekt zu unterstützen, das der Natur an einem anderen Ort zu Gute kommt, um so eine Balance zu erreichen."

Druck auf Belgrad ist gefragt

Während die Natur im Balkangebirge durch ehrgeizige Pläne, die in klarem Widerspruch zu besehenden Gesetzen stehen, gefährdet wird, droht die EU in Bulgarien damit, bereits vorgesehene Fördermittel zurückzuhalten. Brüssel erzielt damit durchaus Erfolge. Die einzige Chance für das Balkangebirge ist deshalb europäischer Druck auch auf das neue pro-europäische Serbien. Wenn die EU wartet, bis das Land eines Tages selbst Mitglied der Gemeinschaft wird, dann könnte es für das Balkangebirge schon zu spät sein.

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