Süddeutsche Zeitung

Umstrittene Asylpolitik:Warum Israel insgesamt 38 000 Flüchtlinge aus Afrika abschieben will

  • Israel plant, 38 000 afrikanische Flüchtlinge abzuschieben.
  • Sie sollen nicht in ihre Heimatländer zurück, sondern in afrikanische Staaten, die dafür Geld bekommen. Israelische Politiker sprechen von "Eindringlingen".
  • Immer mehr Israelis verurteilen die Politik und erinnern dabei an die Geschichte ihres eigenen Volkes.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Weil er sich gegen Eritreas Präsident Isaias Afewerki engagierte, musste Bluts Iyassu Zeru sein Heimatland verlassen. Der Geografielehrer verbrachte vier Jahre im Sudan, ehe er mithilfe von Schmugglern im Juni 2010 über den Sinai nach Israel kam, wo schon ein Cousin von ihm lebte. Ein Jahr lang wurde er im Internierungslager für Flüchtlinge in Holot in der Wüste Negev festgehalten. Heute arbeitet er in einem Spielzeuggeschäft in Raanana und kommt jedes Wochenende in das etwa 20 Kilometer entfernte Tel Aviv, um bei seinen Landsleuten um Unterstützung für die Widerstandsgruppe Eritreas Vereinigung für Gerechtigkeit zu werben.

Asyl hat er keines erhalten, die Anerkennungsrate liegt bei rund einem Prozent. Iyassu Zeru ist einer von 38 000 Flüchtlingen, die nun abgeschoben werden sollen, israelische Politiker sprechen von "Eindringlingen". Spätestens im April soll mit ihrer Massenabschiebung begonnen werden. Der Großteil, rund 72 Prozent, stammt aus Eritrea, 20 Prozent sind Sudanesen. Aber egal, woher sie kommen - gebracht werden sollen sie nach Ruanda. Wer sich weigert, wird inhaftiert.

Ruanda und Uganda haben bereits etwa 4000 Flüchtlinge aufgenommen, die Israel angeblich freiwillig verlassen haben. Jeder Rückkehrer erhält umgerechnet 2815 Euro, Ruanda pro aufgenommenem Flüchtling dem Vernehmen nach umgerechnet 4000 Euro. Knapp 70 Millionen Euro hat Israels Immigrationsbehörde für die Abschiebeaktion eingeplant. In der Gesamtsumme enthalten sind auch die Kosten für hundert sogenannte Inspektoren, die seit vergangenem Sonntag für einen bis zu zweijährigen Einsatz gesucht werden. Sie sollen bei der Ergreifung derer helfen, die abgeschoben werden sollen, es locken Prämien von bis zu 7000 Euro. Bewerber sollten möglichst Erfahrung im Sicherheitsbereich oder Kampferfahrung mitbringen, heißt es in den Ausschreibungen.

Seit Israel 2013 einen Zaun an der Grenze zu Ägypten errichtet hat, kommen ohnehin kaum mehr Menschen auf diesem Weg ins Land. Im Vorjahr wurden elf Menschen bei dem Versuch festgenommen. Und auch Iyassu Zeru will nur so lange in Israel bleiben, bis sich die Situation in seiner Heimat verändert hat. "Wir sind jetzt Flüchtlinge, aber wir wollen zurück", versichert er und ruft die Israelis dazu auf, sich an die "Geschichte der Großeltern" zu erinnern.

In einem Brief an den Premier bitten Holocaust-Überlebende: "Stoppen Sie diesen Prozess."

Genau das tun immer mehr israelische Bürger, der Widerstand gegen die geplante Massenabschiebung wächst täglich. Ärzte, Rechtsanwälte, Universitätsprofessoren, Studenten, Sozialarbeiter, Schriftsteller und Filmemacher haben bereits dagegen protestiert. Piloten der israelischen Fluglinie El Al erklärten, sie würden sich weigern, Passagiere, die abgeschoben werden, auf ihren Flügen mitzunehmen. Sie riefen Piloten anderer Fluglinien auf, es ihnen gleichzutun.

Großes Aufsehen erregte ein offener Brief, den 36 Holocaust-Überlebende an Premierminister Benjamin Netanjahu geschrieben haben. "Der Staat Israel hat sich das Ziel gesetzt, die Welt an den Holocaust zu erinnern. Deshalb bitten wir: Stoppen Sie diesen Prozess." Als Flüchtlinge könnten sie nicht verstehen, wie der jüdische Staat andere Flüchtlinge zurück auf eine Reise der Schmerzen, des Leidens und des Todes schicken könne, schrieben sie. Kontrovers - auch unter Holocaust-Überlebenden - wird ein Vorschlag der Rabbinerin Susan Silverman diskutiert, Flüchtlinge zu verstecken; sie verweist auf das Schicksal der Anne Frank. Auch in den USA haben sich Rabbis dem Protest angeschlossen.

Netanjahu zeigt sich bisher unbeeindruckt, ebenso die Bewohner der heruntergekommenen Gegend rund um den zentralen Busbahnhof in Tel Aviv, wo viele Flüchtlinge gestrandet sind und die Bewohner über steigende Kriminalität klagen. "Ich bin wirklich froh, wenn die Abschiebungen endlich beginnen", sagt Sheffi Paz, eine der Wortführerinnen einer Nachbarschaftsinitiative.

Iyassu Zeru kann den Ärger verstehen, verweist aber darauf, dass es bisher keine Verteilung der Flüchtlinge im Land gegeben habe. Was er selbst tun würde: zurückkehren oder ins Gefängnis gehen? Er sei sich sicher, dass wegen seiner Widerstandsarbeit in Israel und seiner Gespräche mit ausländischen Medien sein Leben bedroht sei, wenn er in ein afrikanisches Land zurückkehre, meint er. "Deshalb würde ich das Gefängnis wählen."

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SZ vom 02.02.2018/jael
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