Umkämpfte Sondierungsgespräche:Im Dschungelcamp der Politik

Treffen von FDP und Gr¸nen vor der Sondierung

Seit der Bildung der großen Koalition 1966 sind bei Koalitionsgesprächen nicht mehr so verschiedene politische Welten aufeinandergetroffen wie dieses Mal.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Die Unterhändler von CDU/CSU, FDP und Grünen kämpfen sich im Freistil durch die Sondierungsgespräche. Aber der Wähler erwartet Ernsthaftigkeit.

Kommentar von Heribert Prantl

Deutschland ist eine parlamentarische Demokratie; aber alle vier Jahre brechen - ein paar Wochen oder gar Monate lang - anarchische Elemente in sie ein. Das ist nicht gefährlich, aber verwunderlich, weil ansonsten in dieser deutschen Demokratie fast alles geregelt ist. Für die Sondierungs- und die Koalitionsgespräche indes gibt es keine gesetzlichen Regeln, keinen Rahmen, keine Vorgaben. Die Zeit der Regierungsbildung ist eine regellose Zeit. Sie ist die fünfte Jahreszeit der Demokratie; es ist dabei fast alles erlaubt, aber nicht alles tunlich.

Man kann lange blättern und findet - kein Wort: Das Grundgesetz, das ja auch eine Art Hausordnung ist für die deutsche Demokratie, enthält keine Vorgaben, keine Angaben, keine Leitlinien. Für die Vor- und die Hauptverhandlungen potenzieller Koalitionspartner gibt es keine festgelegten Abläufe, nicht einmal einen klaren Zeithorizont; es sind dies also Freistil-Verhandlungen. Deswegen ist auch die Aufteilung in Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen, wie sie derzeit gerade wieder betont wird, eher willkürlich. Die Grünen wollen, das unter anderem führt zu dieser Einteilung, ihrem Parteitag Eckpunkte aus den Sondierungsverhandlungen vorlegen, bevor dieser Parteitag dann über den Einstieg in offizielle Koalitionsverhandlungen entscheidet.

Die Verhandlerei ist von Anfang bis Ende ein Tänzeln und Abtasten, bei dem die Intensität des Tastens im Lauf der Zeit zunimmt; es wird von allerlei Lockungen und Drohungen begleitet; und es wird schließlich, wenn nicht einer der Verhandler vorher entnervt aussteigt, zum kräftigen Zupacken - spätestens dann, wenn es um die Verteilung von Ämtern geht. Es gab Zeiten, da war das Tasten überflüssig, weil die Partner schon wussten, was sie wollten; 2009 war das so, als CDU/CSU und FDP nach der Wahl sofort in Koalitionsverhandlungen einstiegen. Eine Garantie für eine erfolgreiche Regierungszeit ist, wie sich zeigte, solche Zielstrebigkeit nicht. Die Jahre, die der Regierungsbildung folgten, waren die furchtbarsten der Ära Merkel. Das heißt: Schnelle Koalitionsgespräche sind kein Indikator für die Güte der Regierungszeit.

Seit 1966, seit der Bildung der ersten großen Koalition mit Ex-NSDAP-Mitglied Kiesinger als Kanzler und dem früheren Widerstandskämpfer Brandt als Vizekanzler, mit gegensätzlichen Persönlichkeiten wie Wehner und Strauß, sind bei Koalitionsgesprächen nicht mehr so verschiedene politische Welten aufeinandergeprallt wie diesmal; zwischen CSU und Grünen, den Grünen und der FDP klaffen Kluften. Es gibt aber einen großen Unterschied zwischen 1966 und 2017: Damals wollten die Verhandler unbedingt Brücken schlagen. Das ist nun anders: Die CDU will unbedingt, die Grünen wollen auch eher unbedingt, die FDP ziert sich divenartig, und die CSU weiß nicht, was sie wollen soll. Ihre Verhandler verhalten sich so, wie dies einst Franz Josef Strauß am Beispiel eines älteren Herrn und seinen fünf Dackeln beim Spaziergang beschrieben hat.

Die Sondierungsgespräche 2017 sind ein Dschungelcamp der Demokratie, mit viel gschaftlhuberisch-eitlem Getue. Der Wähler hat die vier Parteien zusammengesperrt. Er erwartet Ernsthaftigkeit. Es gewinnt hier nicht der, der den größten Klamauk macht.

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