Umkämpfte Demokratie in Thailand:Überfordert vom Wandel der Gesellschaft

In Thailand prallen zwei politische Welten aufeinander: die alte Ordnung mit ihren mächtigen Eliten und die Massendemokratie. Premierministerin Yingluck Shinawatra ist nicht unschuldig am Zorn der Demonstranten. Doch deren Führer plant nichts anderes als den Umsturz einer mit breiter Mehrheit gewählten Regierung - und damit das Ende der Demokratie.

Ein Kommentar von Arne Perras, Bangkok

Für Sentimentalität ist im tränengasgeschwängerten Chaos von Bangkok in diesen Tagen wenig Platz. Aber im Stillen werden manche vielleicht doch den alten Zeiten nachjammern, als es in Thailand noch eine klare Ordnung gab. Eine Feudalgesellschaft war das früher, mit dem König ganz oben und dem bäuerlichen Volk ganz unten. Doch wie Gesellschaften überall auf der Welt hat sich auch diese einst agrarische Gesellschaft gewandelt und entwickelt - so schnell, dass in Thailand heute nichts mehr so ist, wie es einmal war.

Die Reisbauern und das unantastbare Königtum gibt es noch immer, doch in der Mitte der Gesellschaft haben sich alle möglichen Gruppen herausgebildet. Es gibt Computerspezialisten und Mobilfunktechniker, Lehrer und Designer, eine bunte Mischung von Berufen. Und ebenso groß ist nun die Vielfalt der Wünsche, Sehnsüchte und Erwartungen, welche die Thailänder an ihre Zukunft stellen. Damit ist der Staat überfordert. Die Politik kann den Wandel nicht mehr meistern.

A Buddhist monk wearing a gas mask points towards police positions as they clash with anti-government protesters near the Government House in Bangkok

Bangkok: Ein buddhistischer Mönch trägt eine Gasmaske.

(Foto: REUTERS)

Vereinfacht gesagt, gibt es nun zwei politische Welten, die mit aller Wucht aufeinanderprallen. Auf der einen Seite steht die alte Ordnung mit ihren einst mächtigen Eliten, die nun um ihren Einfluss fürchten. Auf der anderen Seite steht das System der Massendemokratie, in dem sich Politiker die Macht durch Mehrheiten sichern. Zwischen diesen beiden Polen wird Thailand in diesen Tagen zerrieben. Und nichts deutet darauf hin, dass die Akteure in der Lage wären, eine Lösung zu finden, die allen Thailändern gerecht wird, die Brücken baut zwischen den gegnerischen Lagern, die sich immer erbitterter bekämpfen. Was der thailändischen Politik gänzlich fehlt, ist die Fähigkeit zum Kompromiss. So taumelt der Staat in eine ungewisse Zukunft.

Tief verwurzelte Korruption

Der Führer der Demonstranten plant nichts anderes als den Umsturz einer mit großer Mehrheit gewählten Regierung. Das ist, bei allem Verständnis für Sorgen und Ängste der Protestierenden, eine gefährliche Entwicklung. Die Regierung mit ihrer Premierministerin Yingluck Shinawatra, die nun belagert wird, ist daran nicht ganz unschuldig. Denn ihre Verfehlungen heizen den Unfrieden an.

Als sie mit ihrer Partei versuchte, ein umstrittenes Amnestiegesetz zu verabschieden, das dem gestürzten und im Exil lebenden Ex-Premier Thaksin Shinawatra eine Rückkehr nach Thailand ermöglicht hätte, gab sie ihren Gegnern eine Steilvorlage. Fortan war der Widerstand kaum noch zu bremsen. Die Premierministerin ist die jüngere Schwester des Tycoons, der aus der Ferne noch immer Fäden zieht und sich zur Hassfigur der Opposition entwickelt hat. Yingluck Shinawatra schmähen sie als Marionette.

Die Umstürzler sagen, sie wollen das "Regime Thaksin" zerstören. Ihre Glaubwürdigkeit allerdings leidet, weil der Kopf der Revolte, der frühere Vizepremier Suthep Thangsauban, keineswegs eine reine Weste hat. Die Korruption ist tief verwurzelt und weit verbreitet. Hinter Suthep scharen sich mehrere Gruppen, unter ihnen Demonstranten aus der städtischen Mittelschicht in Bangkok, deren Frustration über die grassierende Günstlingswirtschaft kaum gespielt sein dürfte. Doch im Kern stützt sich Suthep auf Royalisten und Kräfte des Südens. Er will mit Unterstützung des alten Establishments an die Macht. Wenn ihm das gelingt, hebelt er damit die Demokratie aus.

Gefühl der Ohnmacht

Der korrupte Tycoon Thaksin, den nun viele zum Sündenbock stempeln, ist keine Lichtgestalt. Doch seit 2001 hat sein Lager jede Wahl gewonnen, und das liegt daran, dass es ihm gelungen ist, die Menschen im Nordosten Thailands, die früher stets benachteiligt waren, für sich zu gewinnen. Er profilierte sich als Patron armer Bauern und der unteren Mittelschicht auf dem Land. Aus diesen Kreisen sind die "Rothemden" hervorgegangen, die Thaksins Lager stützen und ihm in Wahlen eine Mehrheit gaben. Thaksin war der Erste, der sich die Macht weitgehend ohne das Netz der alten Eliten sicherte. Das schürte deren Angst.

Für die Leute im Süden, für das alte Establishment und die korruptionsmüde städtische Mittelschicht führt dies zu einem Gefühl der Ohnmacht. Deshalb wollen die Anführer des Protests den Coup. Doch er wird Thailands Probleme nicht lösen, sondern den Graben noch vertiefen. Nur Dialog kann aus der Krise führen.

So verfahren, wie die Lage ist, hängt nun viel vom Militär ab. Wird es dem Fall der Regierung unter dem Druck der Protestmärsche zusehen und so den Umsturz ermöglichen? Oder stehen die Generäle hinter der Premierministerin? Es scheint, als zögere die Armee, sich auf eine Seite zu schlagen. Bangkok bleibt umkämpft. Und so wird Thailands Zukunft weiterhin zwischen den Fronten zerrieben.

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