Umgang mit Russland:Strategisch falsches Verständnis

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Sieht sich Wladimir Putin nicht längst als Erbauer eines neuen, völkischen Russlands? (Foto: AFP)

Russlands Annexion der Krim hat gezeigt, dass sich Präsident Putin für die Rolle des Blut-und-Boden-Präsidenten entschieden hat. Doch wie sieht eine angemessene politische Reaktion des Westens auf dieses Verhalten aus? Eines steht fest: Die Demutsbezeugungen der Industrie in Richtung Moskau sind beschämend.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Jetzt ist alles Abwägung: Wie viel Druck ist hilfreich, und wann löst er einen ungewollten Gegendruck aus? Wie viel Diplomatie ist überhaupt möglich in diesem Konflikt, oder läuft alles nach einem fixen, militärischen Plan? Wie sehr sorgt sich einer wie der russische Präsident um das Wohlwollen des Westens, oder hat Wladimir Putin nicht längst seine Lebensrolle gefunden als Erbauer eines neuen, völkischen Russlands?

Wenn die Nato nun über eine angemessene bündnispolitische und damit auch militärische Antwort auf die russische Aggression nachsinnt, wenn Verhandlungen mit den USA beginnen, dann ist eine Deutungskunst gefragt, die seit vielen Jahren vernachlässigt wurde. Dabei wiederholt sich doch nur das ewig gleiche Muster: Es geht um eine glaubwürdige politische (und wirtschaftliche) Abschreckung, damit die russische Landnahme gestoppt wird; es geht um eine Rückversicherung für die exponierten Bündnismitglieder etwa im Baltikum, die nicht nur für ihre innenpolitische Stabilität eine Demonstration von Partnerschaft verdient haben; und es geht um das bisschen Rest-Vertrauen, das man gegenüber einem wie Putin aufbringen kann.

Wenn nun Russland mit den USA und den europäischen Bündnissen verhandeln will - was kann das Ziel sein? Wie belastbar ist ein Abkommen? Kann man Russland trauen, das einst den Rückzug aus Südossetien versprach, aber nicht vollzog?

Zu Misstrauen besteht größter Anlass, vor allem weil Putin kein Michail Gorbatschow ist, der einst am Ende des Kalten Krieges den Vertrauensvorschuss verdiente. Putin hat ungezählte Male gezeigt, dass er nur in Kategorien von Stärke denkt. Dem Präsidenten geht es nach 13 Jahren an der Spitze Russlands nicht um die Steigerung des Lebensstandards um ein paar Prozent, er findet seine Erfüllung nicht als Modernisierer. Putin hat sich offenbar für die Rolle als Blut-und-Boden-Präsident entschieden, der Zehntausende Soldaten an der Grenze versammelt und Landkarten neu zeichnet. Hier weht sein Mantel im Wind der Geschichte. Hier vergrößert er in zaristischer Art sein Reich und lässt dabei ein völkisches Motiv erklingen, das gerade in Deutschland alle gesunden Reflexe mobilisieren sollte.

Demutsbezeugungen der Industrie gen Moskau

Umso schockierender, dass sich gerade hierzulande so viele Unterstützer für diese Logik der Einflusssphären und der autoritären Amtsführung finden. Die Demutsbezeugungen der Industrie gen Moskau sind beschämend. Nicht nur in Polen, aber ganz besonders dort, werden die heftigen Ausschläge der deutschen Debatte unruhig beobachtet. Das untergräbt auch die Glaubwürdigkeit des Westens in den Verhandlungen mit Moskau. Das böse Wort von Winston Churchill über die Deutschen macht wieder die Runde: Entweder du hast sie an der Kehle, oder sie lecken dir die Stiefel.

Verständnis für Putin ist der schlechteste aller Ratgeber für Verhandlungen. Aber ebenso ist politische Verbohrtheit wenig hilfreich. Klug wäre es, jenes Verhandlungsmotiv aufzurufen, das in den Assoziationsgesprächen der EU mit der Ukraine besonders vernachlässigt wurde. Hier hat die EU etwas gutzumachen. Gibt es also für die Ukraine ein föderales System? Ist ein Modell abgestufter Verantwortung bei weitreichender Autonomie denkbar, freilich in unverrückbaren Grenzen?

Europa lebt dieses föderale Modell, die hoch entwickelte EU ist ein föderaler Staatenbund, der stets um das rechte Maß an Zuständigkeiten und Autonomien seiner Regionen ringt - ohne dabei die Truppen marschieren zu lassen. Europa und die USA müssen Putin diese Erwartungshaltung klarmachen. Ein modernes politisches Modell für die Ukraine kommt auch Russlands Interessen entgegen - für die Annektierung der Krim gibt es darin keinen Platz.

© SZ vom 31.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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