Umgang mit Putin-Gegnern:Russische Opposition auf der Anklagebank

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Nach dem Urteil gegen die drei Sängerinnen der Punkband Pussy Riot steht nun Oppositionsführer Garri Kasparow vor einer erneuten Anklage. Weil er einen Polizisten in die Hand gebissen haben soll, drohen ihm fünf Jahre Lagerhaft. Doch er ist nicht der einzige Kreml-Gegner, der mithilfe der Justiz mundtot gemacht werden soll. Die Zukunft der russischen Opposition entscheidet sich derzeit vor Gericht.

Antonie Rietzschel

Gerade hat Garri Kasparow noch in die Mikrofone der Journalisten gesprochen, da drängen sich plötzlich Polizisten zu ihm durch, packen ihn und zerren ihn zu einen Bus. Brutal wird er in das Innere bugsiert und die Türen schließen sich - dann ist Kasparow auf dem Video, das seine Verhaftung dokumentiert nicht mehr zu sehen.

Garri Kasparow wurde vor einer Woche verhaftet weil er gegen den Pussy-Riot-Prozess protestiert hatte. (Foto: dpa)

Der ehemalige Schachweltmeister hatte sich unter die Demonstranten vor dem Chamowniki-Gericht in Moskau gemischt, um gegen den Pussy-Riot-Prozess zu protestieren. Am Freitag stand er selbst vor Gericht, weil er gegen Bestimmungen bei der Organisation der Demonstration verstoßen haben soll. Dafür sind bis zu 15 Tage Haft vorgesehen.

Dieses Mal ist Kasparow freigesprochen worden. Ein Moskauer Gericht sah nicht genügend Beweise für einen Verstoß gegen das Demonstrationsrecht. Es sei "historisch", dass ein russischer Richter der Darstellung der "uniformierten" Polizei widerspreche, erklärte Kasparow nach Prozessende.

Allerdings droht dem ehemaligen Schachweltmeister noch immer eine zweite Anklage. Bei seiner Festnahme soll Kasparow in die Hand eines Polizisten gebissen haben: "Es tut mir leid, wenn der Polizist sich die Hand verletzt hat, als er mir auf den Kopf geschlagen hat", schreibt er ironisch beim Kurznachrichtendienst Twitter. Sollte er dafür ebenfalls angeklagt werden, drohen ihm fünf Jahre Lagerhaft. Die Moskauer Polizei übergab den Fall an das mächtige Ermittlungskomitee. Dieses ermittelt bereits gegen den Oppositionsführer Alexander Nawalny und andere prominente Putin-Kritiker.

Keine Proteste wie bei Pussy Riot

Abgesehen davon, dass nicht bewiesen ist, ob Kasparow den Polizisten wirklich verletzt hat, erscheint das Verhältnis von Tat und Strafe ähnlich absurd wie bei Pussy Riot. Die drei Aktivistinnen waren vergangene Woche wegen "Rowdytums" zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Sie hatten im Februar in der Moskauer Christi-Erlöser-Kathedrale mit einem sogenannten Punk-Gebet gegen den damaligen Regierungschef und jetzigen Präsidenten Wladimir Putin sowie die engen Verflechtungen zwischen Staat und Kirche protestiert. Der Prozess hat eine internationalle Protestwelle ausgelöst. Bei Kasparow gibt es die nicht, kein Politiker außerhalb Russland prangert das Vorgehen der Justiz an.

Dabei ist Kasparow, anders als die drei Frauen von Pussy Riot, von denen bis zum Gerichtsprozess innerhalb und außerhalb Russlands nur wenige gehört hatten, kein Unbekannter. Seit seinem Rückzug aus der Schachwelt 2005 engagiert er sich gegen Putin. Als Vorsitzender der Bewegung Solidarnost gehört er zu den Oppositionsführern.

Fünf Monate ist es her, dass Russland die größten Demonstrationen seit Ende der Sowjetunion erlebte. Selbst Menschen, die bis dahin nie politisch aktiv waren, gingen angesichts des offensichtlichen Betrugs bei der Präsidentenwahl auf die Straße. Zehntausende zogen durch Moskau. Monatelang. Was sie bis heute eint, ist der Protest gegen Putin.

Kurz nachdem er trotz der Demonstrationen wieder als Präsident die Führung im Land übernahm, erhöhte er massiv den Druck auf seine Gegner: Im Juni stimmte er der Verschärfung des Versammlungsgesetzes zu, so dass bei Verstößen drakonische Geldstrafen verhängt werden können.Teilnehmer von Demonstrationen müssen umgerechnet bis zu 7100 Euro zahlen, Veranstalter mehr als 25.000 Euro. Kurz darauf verabschiedete der Kreml ein Gesetz, demzufolge sich Nichtregierungsorganisationen, die aus dem Ausland Geld erhalten, speziell registrieren lassen müssen und als "Agenten" eingestuft werden.

Auf einen Streich die schärfsten Kritiker kaltstellen

Wie geht es nun mit der Opposition weiter? Das wird auch der Prozess um den "Bolotnaja-Fall" zeigen. Am Tag vor der Amtseinführung Putins am 7. Mai, versammelten sich auf dem Bolotnaja-Platz in Moskau zahlreiche Demonstranten zu Massenprotesten, die schließlich eskalierten. Polizisten hätten wahllos auf Demonstranten eingeprügelt, sagen die einen. Die Staatsmacht spricht hingegen von Steine- und Flaschenwürfen von Putin-Gegnern.

Nun stehen 16 Angeklagte vor Gericht. Die Vorwürfe wiegen schwer: Teilnahme an Massenunruhen und Gewalt gegen Beamte. Die mutmaßlichen Täter kommen fast alle aus der radikalen Szene, sitzen in Untersuchungshaft oder stehen unter Hausarrest: Anarchisten, Linksextreme, auch Ultranationalisten. Doch für Experten gelten sie nur als Mittel zum Zweck. Ziel der staatlichen Übergriffe seien die Anführer, die Gesichter der Massenproteste gegen Putin, meinen Kommentatoren.

Auf einen Streich könnte die Moskauer Justiz einige der schärfsten Kritiker kaltstellen: "Falls das Gericht feststellt, dass es auf dem Bolotnaja-Platz Massenunruhen gab, können auch die Veranstalter der Kundgebung verfolgt werden", meint Sergej Udalzow von der Linken Front, einer der Oppositionsführer. Auch ihm droht dann eine Anklage wegen "Anstiftung zu Massenunruhen".

Auch der Blogger Alexej Nawalny, TV-Moderatorin Xenia Sobtschak und ihr Freund Ilja Jaschin von der Bewegung Solidarnost wären betroffen. Bereits im Juni hatten schwer bewaffnete und maskierte Spezialeinheiten ihre Wohnungen durchsucht.

Noch gelten die Oppositionsführer im "Bolotnaja-Fall" nur als Zeugen. Doch längst stehen sie im Visier: Udalzow, der ebenfalls vergangenen Freitag bei der Solidaritätskundgebung für Pussy Riot festgenommen wurde, verurteilte ein Moskauer Gericht zu 240 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Nawalny darf seinen Wohnort nicht verlassen und musste deshalb einen Familienurlaub absagen - ihm drohen wegen alter Vorwürfe bis zu zehn Jahre Haft wegen Veruntreuung. Bei Sobtschak fanden die Beamten 1,5 Millionen Euro in bar - nun ermitteln die Behörden wegen Steuerhinterziehung.

Mit Material von dpa und AFP

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