Umgang mit Pegida:Der sächsische Irrweg

Stanislaw Tillich

Findet, dass der Islam nicht zu Sachsen gehört: Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich.

(Foto: Getty Images)
  • Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich macht gern Politik. Darüber reden mag er nicht.
  • Auf den islamfeindlichen Pegida-Kundgebungen ist Tillich nie aufgetreten. Man sah ihn aber auch auf keiner Gegendemo.
  • Statt die Sorgen der Islamkritiker zu zerstreuen, sieht Tillich in seinem jüngsten Interview die Muslime in der Bringschuld.

Von Ulrike Nimz, Dresden

Stanislaw Tillich ist kein Mann großer Worte. Den Wahlkampf um das Amt des sächsischen Ministerpräsidenten bestritt er 2009 mit dem schlichten Motto: "Der Sachse". Nach den West-Regenten Kurt Biedenkopf und Georg Milbradt endlich einer von hier, so die Botschaft. Seitdem ist Tillich kaum durch kontroverse Redebeiträge aufgefallen.

Jetzt spricht Tillich, und nicht nur die Kanzlerin wird sich wünschen, er hätte geschwiegen. "Der Islam gehört nicht zu Sachsen", sagte Tillich in einem Interview mit der Zeitung Welt am Sonntag. Dieser Satz ist ihm nicht einfach so herausgerutscht. So ein Satz, wird er wissen, löst auf einer Pegida-Kundgebung Beifall aus und Unverständnis im Rest von Deutschland. Stanislaw Tillich ist Sorbe. Deren Anteil an der sächsischen Gesamtbevölkerung macht etwa 0,9 Prozent aus. Nüchtern betrachtet, hat da also der Angehörige einer Minderheit einer Weltreligion die Zugehörigkeit zu Deutschland abgesprochen. Was ist da los im Freistaat?

Tillich, 55, ist ein Mann, der Politik machen mag. Darüber reden mag er nicht. Als in Sachsen Schüler unvollständige Zeugnisse bekamen, weil wegen des Lehrermangels zu viel Unterricht ausgefallen war, dauerte es Wochen bis sich Tillich äußerte. Als klar war, dass Rechtsterroristen über Jahre unbehelligt in Sachsen leben konnten, sprach Tillich vom "Thüringer Trio".

Tillich lud zum Bürgerforum - Muslime sah man keine

Auch in Bezug auf Pegida herrschte lange Sprachlosigkeit. Tillich weigerte sich zwar, als Redner auf deren "Montagsspaziergang" aufzutreten. Man sah ihn aber auch auf keiner Gegenveranstaltung. Als die islamfeindlichen Proteste es schließlich in die Tagesschau geschafft hatten, lud der Ministerpräsident zu einem Bürgerforum, deren Teilnehmer ausgelost wurden. Dort saß dann am Ende auch ein NPD-Kreischef aus dem Erzgebirge, der zuletzt dadurch aufgefallen war, dass er Fackelmärsche gegen das örtliche Asylbewerberheim initiierte.

Die Zahl derer, die in Dresden allwöchentlich gegen eine vermeintliche Islamisierung auf die Straße gehen, ist längst zu groß, um ignoriert zu werden. Zu groß auch, um sie zu kritisieren? Am Montag hat sich Innenminister Markus Ulbig mit Pegida-Sprecherin Kathrin Oertel zusammengesetzt. Das Treffen, ließ das Innenministerium auf Twitter wissen, sei mit der Staatskanzlei "auf geeignet vertrauliche Weise" abgestimmt gewesen. Am 7. Juni ist Oberbürgermeisterwahl in Dresden. Kandidat der CDU ist Markus Ulbig, jener Mann also, der ankündigte, eine Sondereinheit gegen straffällig gewordene Asylbewerber ins Leben rufen zu wollen. Bei 44 politisch motivierten Übergriffen auf Asylbewerberunterkünfte in Sachsen allein im Jahr 2014 ein eigenwilliger Schwerpunkt.

Ein gewisses Maß an Realitätsverweigerung hat Tradition in Sachsen. Kurt Biedenkopf ließ sich im Jahr 2000 gegenüber der Sächsischen Zeitung zur Behauptung hinreißen, die sächsische Bevölkerung sei immun gegen rechtsradikale Versuchungen - so als hätte es die Angriffe auf das Asylbewerberheim in Hoyerswerda nie gegeben. Mehr noch: So ein Satz offenbart ein politisches Selbstverständnis, in dem Debatte und Dissens nicht vorkommen. 2004 zog die NPD das erste Mal in den Sächsischen Landtag ein - mit 9,2 Prozent.

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