Süddeutsche Zeitung

Umgang mit Ankara:Wie europäische Staaten zu Auftritten türkischer Politiker stehen

Die Niederlande lassen türkische Minister nicht ins Land, Österreich fordert ein EU-weites Verbot solcher Wahlkampfauftritte und die Schweiz findet eine typisch schweizerische Lösung. Ein Überblick.

Von den SZ-Korrespondenten

Niederlande

Um die Wahlkampagne des türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu zu verhindern, berief sich die niederländische Regierung auf eine mögliche Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Die Parteien in Den Haag begrüßten den Schritt überwiegend, doch es gab auch Kritik. Im Prinzip steht es den Niederlanden als souveränem Staat zu, jeglichen ausländischen Besucher, selbst Minister, abzuweisen. Sogar ohne Angabe eines Grundes. So steht es im Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen.

Allerdings sei das ein extremes Mittel, sagte der Jurist Geert-Jan Knoops dem Sender BNR. Es sei für Fälle von Spionage oder anderen schweren Vergehen gedacht. Um eine Ansprache zu verhindern, sei es seines Wissens noch nie eingesetzt worden. Den Haag sei damit ein enormes rechtliches Risiko eingegangen und könnte juristisch leicht unterliegen, falls die Türkei vor Gericht ziehe. Thomas Kirchner

Schweiz

Am Schluss stand eine typisch schweizerische Lösung: Der türkische Außenminister verschob seinen für Sonntag geplanten Besuch in Zürich , ohne dass der Bundesrat die Veranstaltung verbieten musste. Im Gegenteil: Als der Kanton Zürich dies "aus Sicherheitsgründen" hatte tun wollen, schritt Bern ein. Hursit Yıldırım, ein zweiter AKP-Vertreter, der am Freitag von der Polizei Aargau des Kantons verwiesen worden war, warb indes beim türkischen Unternehmerverband Müsiad Schweiz für Erdoğans Verfassungsreform. Die Zeitung Blick protestierte am Montag in einer komplett auf Türkisch gehaltenen Ausgabe gegen Erdoğan - während sich die Schweizer Behörden nun mit vielen Asylgesuchen aus der Türkei befassen müssen. Selbst Diplomaten baten um Schutz. Charlotte Theile

Dänemark

Der türkische Ministerpräsident sei willkommen, nur jetzt gerade nicht - das war am Sonntag die Botschaft von Lars Løkke Rasmussen. Der dänische Premier hat Binali Yıldırım gebeten, den für Sonntag und Montag geplanten Besuch zu verschieben. "Unter normalen Umständen wäre es ein Vergnügen, den türkischen Ministerpräsidenten Yıldırım zu begrüßen", ließ Rasmussen mitteilen. Doch nun gab es diesen "Angriff der Türkei auf Holland", er könne Yıldırıim nicht losgelöst davon treffen. Präsident Erdoğan hatte die Niederländer als "Nazi-Nachkommen" bezeichnet.

Der türkische Premier wollte die Reise nach Kopenhagen vermutlich nutzen, um an einer Versammlung türkischer Bürger teilzunehmen, berichtete die Zeitung Politiken. In Dänemark leben 32 000 türkische Bürger, die über die Verfassung abstimmen könnten. Kristian Thulesen Dahl, Chef der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei, nutzte die Debatte und forderte, die Möglichkeit zur doppelten Staatsbürgerschaft abzuschaffen. Silke Bigalke

Österreich

In Österreich hat die Debatte über Aufritte türkischer Politiker einen massiven innenpolitischen Streit ausgelöst, obwohl sich prinzipiell alle Parteien einig sind, Besuche aus Ankara zu Wahlkampfzwecken abzulehnen. Zuletzt tourten nur wenig bedeutende AKP-Politiker und Ex-Minister durch das Land, die ihre Veranstaltungen allerdings in Lokalen türkischer Kulturvereine abhalten mussten, weil Hotels und Hallen absagten. Gleichwohl legte Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) ein Gesetz vor, mit dem Auftritte ausländischer Politiker untersagt werden können. Das könnte auch Einreiseverbote umfassen.

Der Koalitionspartner SPÖ hatte zwar auch kundgetan, dass Wahlkampfauftritte von türkischen Politikern unerwünscht seien, trotzdem bezeichnete Kanzleramtsminister Thomas Drozda den Vorstoß von Sobotka als "untauglich". Der Kollege habe gleich weitere Verschärfungen des Versammlungsrechts mit in die Novelle eingebaut. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) sprach sich für ein EU-weites Verbot von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker aus. So solle verhindert werden, dass Länder, in denen Auftritte untersagt werden, unter Druck der Türkei geraten. Cathrin Kahlweit

Frankreich

In Frankreich haben Versammlungs- und Redefreiheit Tradition. Das mag erklären, weshalb Paris nie erwog, den Auftritt des türkischen Außenministers am Sonntag in Metz zu untersagen. Außenminister Jean-Marc Ayrault sagte, der türkische Besuch stelle "weder eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung noch eine Einmischung in die französische Politik" dar. Vergeblich rief Ayrault seinen Kollegen Çavuşoğlu auf, "Exzesse und Provokationen" zu unterlassen. Vor etwa tausend Landsleuten polterte der Gast, die Niederlande seien "die Hauptstadt des Faschismus". Auch deshalb steht nun die sozialistische Regierung in der Kritik.

Die rechtsradikale Marine Le Pen warf ihr Schwäche vor. Und der Republikaner François Fillon sowie der sozialliberale Kandidat Emmanuel Macron bemängelten, die Regierung hätte "aus Solidarität mit Frankreichs EU-Partnern" den Auftritt stoppen müssen. Christian Wernicke

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SZ vom 14.03.2017/dayk
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