Umbruch in der arabischen Welt:Israelische Ängste

Israel beobachtet die Entwicklungen in Ägypten mit Sorge: Ministerpräsident Netanjahu warnt vor einer radikal-islamischen Machtergreifung, der Zentralrat der Juden vor einem Gottesstaat. Dabei wäre dies der Moment, die Araber für sich zu gewinnen.

Sonja Zekri

Ja, es gibt anti-israelische Plakate auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Eines zeigt den verhassten ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak mit einem Davidstern. Ein anderes fordert einen Exportstopp für ägyptisches Gas nach Israel - ein Reizthema für viele Ägypter, weil Gas in Ägypten oft knapp ist und Israel ägyptisches Gas unter Weltmarktpreisen bekam.

Umbruch in der arabischen Welt: Muslimische Kleriker nehmen an den Protesten in Kairo teil - die Demonstranten kommen aus allen Bevölkerungsschichten. Israel sorgt sich trotzdem um einen Machtzuwachs radikaler Islamisten.

Muslimische Kleriker nehmen an den Protesten in Kairo teil - die Demonstranten kommen aus allen Bevölkerungsschichten. Israel sorgt sich trotzdem um einen Machtzuwachs radikaler Islamisten.

(Foto: AFP)

Es gibt Davidsterne auf ausgebrannten Autos in Kairo. Und ja, man sah Muslimbrüder unter den Demonstranten, auch Hardcore-Islamisten im langen Hemd und schmalen Hosen, Vollverschleierte. Bärtige. Inzwischen mehr als am Anfang. Aber den Charakter einer islamischen oder anti-israelischen Revolution trägt die Revolte nicht.

Insofern wirkt es etwas voreilig, wenn Israel den Ruf nach einem Ende des Mubarak-Regimes bereits als Dammbruch für einen islamischen Gottesstaat sieht. Nicht nur Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu warnte vor einer radikal-islamischen Machtergreifung in Ägypten, auch der Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, entwarf ein Szenario wie in Iran, wo die demokratischen Kräfte der Revolution von 1979 durch eine Theokratie verdrängt wurden.

Jeder Israeli weiß, dass die freien Wahlen im Gaza-Streifen die radikale Hamas an die Regierung gebracht haben. Und so sah der israelische Ex-Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser nach einem Sturz Mubaraks bereits die gesamte Region in den Händen der Islamisten. Amerika, so seine Kritik, habe dies durch sein Wohlwollen gegenüber dem Aufstand noch gefördert und den Nahen Osten "ins Unglück gestürzt". Von der Möglichkeit, ja auch nur der Berechtigung einer ägyptischen Demokratie ist nicht die Rede.

Hosni Mubarak hat sich über Jahrzehnte als Garant für Stabilität in der Region und für die Einhaltung des ägyptisch-israelischen Friedensvertrages inszeniert. Aber abgesehen von der Frage, ob ein Land für seine eigene Sicherheit von einem anderen Volk verlangen kann, ein folterndes, korruptes Regime zu erdulden, wirken die israelischen Äußerungen vor allem politisch unklug.

Israel war stets und zurecht stolz darauf, dass es in einem Meer aus Despotien die einzige nennenswerte Demokratie des Nahen Ostens ist. Dass nun ausgerechnet dieser Staat die Menschen auf dem Tahrir-Platz in Kairo als naive Türöffner für einen Gottesstaat denunziert, wirkt mehr als kurzsichtig.

Verpasst Israel eine historische Chance?

Denn während der Funke des Aufstandes ein arabisches Land nach dem anderen ansteckt und die Menschen für ein menschenwürdiges Dasein, freie Wahlen und bessere Jobs marschieren, verpasst Israel eine historische Chance. Bei aller Sorge um einen Machtzuwachs islamischer Kräfte - den es bei freien Wahlen zweifellos geben würde - wäre dies der Moment, die Stimmung vieler Araber für sich zu gewinnen. Und sei es nur für kurze Zeit.

Russland hat das jahrhundertealte Misstrauen der Polen für einen kurzen Augenblick durchbrechen können, als es nach dem Tod Präsident Lech Kaczynskis und fast 100 Vertretern aus Politik und Militär bei einem Flugzeugabsturz in Smolensk Anteilnahme und Solidarität zeigte. Inzwischen sind die alten Ressentiments zurückgekehrt, aber das nimmt dieser Annäherung nicht ihren Präzedenzcharakter.

Was hätte es Israel gekostet, sich nach dem "Marsch der Million", vielleicht nach dem Überfall auf die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz als Partner eines freien Ägyptens anzubieten, eines Ägyptens, das den Friedensvertrag mit Israel und demokratische Standards gleichermaßen achtet? Man muss den Muslimbrüdern, Ägyptens stärkster organisierter Oppositionskraft, nicht vertrauen. Noch aber haben selbst sie die Einhaltung internationaler Verträge gelobt.

Der Oppositionspolitiker und Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei hat das israelische Verständnis von Sicherheit und der Freiheit der anderen einfach umgekehrt: Israel solle begreifen, dass ein demokratisches Ägypten in seinem "langfristigen" Interesse liege. Nur: Für Israel geht es nicht nur um den wichtigsten Bündnispartner in der Region, es geht auch um das Westjordanland, das die Palästinensische Autonomiebehörde zwar regiert, aber Tel Aviv de facto kontrolliert. Was, wenn sich die Palästinenser erheben - gegen Israel -, um endlich einen eigenen Staat durchzusetzen?

Inzwischen scheint man auch in Tel Aviv zu ahnen, dass die Denunzierung des ägyptischen Aufstands möglicherweise eben jene aufgeklärten, demokratischen, modernen Menschen gegen Israel aufbringt, mit denen sich ein stabiler Frieden machen ließe. In einer vorsichtigen Erklärung mahnte Netanjahu, dass der Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten eingehalten werden müsse, dass er aber zudem "Fortschritt für freie und demokratische Werte im Nahen Osten" begrüße. Dann fügte hinzu: "Noch aber sind wir nicht so weit".

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