Umbruch in der arabischen Welt:Freiheit, Recht und Revolution

Die westliche Außenpolitik wurde blank erwischt von der Revolution in Ägypten - diese ist nicht steuerbar, sonst wäre es keine Revolution. Aber Außenpolitik lässt sich justieren - all jenen Staaten gegenüber, in denen ein ähnliches Gebräu aus Unterdrückung und Ungerechtigkeit gärt.

Stefan Kornelius

Viele Minuten hatte der Redner schon gesprochen, atemlos lauschte das ausgewählte Publikum den schmeichelnden Worten. Der Mann redete von Amerikas Respekt vor der muslimischen Welt, er erläuterte seine Position zum Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis, zur nuklearen Gefahr, die von Iran ausgeht. Dann endlich, an vierter Stelle, fiel das ersehnte Stichwort: Demokratie. "Ich glaube fest daran, dass sich alle Menschen nach gewissen Dingen sehnen: der Möglichkeit, frei von der Seele zu sprechen und mitzubestimmen, wer regiert; dem Vertrauen in die Kraft des Rechts und die Gleichbehandlung vor dem Gesetz; eine transparente Regierung, die den Menschen nichts stiehlt; so zu leben, wie man es will. Das sind nicht nur amerikanische Ideen, das sind Menschenrechte." Und weiter gab der Redner den Rat: "So viel ist klar: Regierungen, die diese Rechte schützen, sind am Ende stabiler, erfolgreich und sicher."

Barack Obama, Hosni Mubarak

Vor fast zwei Jahren warnte US-Präsident Obama den ägyptischen Staatschef Mubarak davor, die Menschenrechte in seinem Land zu vernachlässigen.

(Foto: AP)

Ein Jahr und neun Monate ist der Ratschlag alt, den Präsident Barack Obama dem Kollegen Hosni Mubarak in der Universität Kairo vor laufenden Kameras mit auf den Weg gab. Allein: Mubarak wollte nicht hören, vielleicht konnte er auch nicht mehr verstehen. Wer 30 Jahre lang die Macht verteidigt, der glaubt vermutlich, keine Ratschläge mehr annehmen zu müssen.

Obamas Kairo-Rede war eines der wenigen Dokumente, das von Amerikas Sorge um den Zustand der Autokratien in der arabischen Welt zeugt. Vor allem aber ging es Obama in dieser Rede darum, Amerikas Glaubwürdigkeit in der Region wiederherzustellen, die nach der IrakInvasion gebrochen war. Die kleine Ermahnung in Sachen Demokratie reduzierte sich zur nebensächlichen Pflichtübung.

Es wirkt wie ein böser Scherz der Geschichte, dass ausgerechnet die USA, die nach dem 11. September Demokratie und Freiheit mit Waffengewalt in die muslimische Welt tragen wollten, von der Urgewalt dieser arabischen Revolution überrascht wurden. Im ewigen Dilemma zwischen Interessen und Werten hatte Obama versucht, im Fall Ägypten einen Mittelweg zu gehen: Das Land ist zu bedeutend, als dass man es als Verbündeten verlieren durfte. Aber die Ungerechtigkeiten waren gleichzeitig zu empörend, als dass man sie hätte verschweigen können. Der amerikanische Präsident, der in seiner großen Rede von Kairo den muslimischen Ländern quasi ihr Selbstbestimmungsrecht zurückgab und die Doktrin seines Vorgängers von einer zutiefst wertegetriebenen Sicherheitspolitik aufhob, dieser Präsident muss nun zusehen, wie sich das ägyptische Volk im Namen der Freiheit und der Gerechtigkeit erhebt.

Revolutionen sind nicht steuerbar

Die westliche Außenpolitik wurde von dieser Revolution blank erwischt. Sie war, man muss es so sagen, nicht vorbereitet. Genauso wenig waren es die Fachleute in den Medien, genauso wenig waren es die Experten der Münchner Sicherheitskonferenz, die sich dem fast schon traditionellen Katalog außenpolitischer Mega-Themen zuwenden wollten: Afghanistan, Nato,Russland, China.

Unruhen in Aegypten

Viele westliche Staaten wurden von der Revolution überrumpelt.

(Foto: dapd)

Dabei hätte man gewarnt sein können. Die Ingredienzien der arabischen Revolution sind den großen Umwälzungen in Osteuropa vor 20 Jahren nicht unähnlich: Unterdrückung, Unfreiheit, ein wachsendes Bewusstsein über diese Zustände dank Fernsehen und anderer Medien, die Nachrichten aus einer besseren Welt zur Verfügung stellten. In Tunesien und Ägypten haben sich Tempo und Techniken geändert - gleich geblieben ist dieser unstillbare Hunger nach Freiheit und Gerechtigkeit. Die Kluft zwischen den Herrschenden und den Beherrschten ist zu groß geworden, die Frivolität im Umgang mit Privilegien, die Korruption, die Brutalität in der Unterdrückung - es reicht.

Staaten mögen es nicht, wenn der sorgsam gepflegte Umgang untereinander erschüttert wird von Kräften, die im diplomatischen Gewese nichts verloren haben. Wikileaks war so ein Phänomen, das wie ein Fass Gülle über die traditionelle Außenpolitik niederprasselte. Revolutionen gehören zu den großen Unwägbarkeiten, die das Geschäft der Staatenwelt aus den Angeln heben - und dies besonders im Fall Ägypten, wo die Funktion des Landes als ausgleichende und friedensstiftende Kraft im Nahen Osten alle anderen Interessen überlagerte. Wie klug wäre es gewesen, hätte man das Land zu einer Öffnung und Liberalisierung bewegen können, ohne die stabilisierende Funktion aufs Spiel zu setzen.

Eine Revolution ist nicht steuerbar, sonst wäre es keine Revolution. Aber Außenpolitik lässt sich justieren - all jenen Staaten gegenüber, in denen ein ähnliches Gebräu aus Unterdrückung und Ungerechtigkeit gärt. Es ist nicht an den westlichen Demokratien, ihre Werte aggressiv und respektlos der Welt aufzuzwingen. Aber die freiheitlichen Demokratien haben allen Grund, selbstbewusst auf die Stärke ihres Systems zu schauen.

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