Ukraines Premier Jazenjuk:"Unsere Zeit ist abgelaufen"

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Besuch des ukrainischen Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk in Berlin am 1.4.2015: Die Ukraine ist für Putin ein "Aufmarschgebiet", um "weiter gegen den Westen zu kämpfen". (Foto: Getty/Dean Mouhtaropoulos)
  • Ukraines Premier Jazenjuk erwartet keine rasche Lösung des Ukraine-Konflikts.
  • Der Regierungschef in Kiew erwartet, dass Russlands Präsident Putin den Osten als "Faustpfand" behält.
  • Distanzierung von Oligarchen wie Dmitro Firtasch und Ihor Kolomojskij.
  • Jazenjuk äußerte sich äußerst skeptisch über das Zeitfenster, das seinem Land für die begonnen, radikalen Reformen bleibe.

Von Cathrin Kahlweit

Der ukrainische Ministerpräsident gilt als kompromissloser Gegner Moskaus und als westorientierter Reformer. Aber der Krieg im Osten und der Kampf gegen den Staatsbankrott haben Spuren hinterlassen: Arsenij Jazenjuk über ein Land am Abgrund.

SZ: Als Sie vor mehr als einem Jahr ins Amt kamen, sprachen Sie von einem Himmelfahrtskommando. Ihr Kabinett begrüßten Sie mit den Worten: Willkommen in der Hölle. Wie ist es gelaufen? Noch schlechter?

Arsenij Jazenjuk: Die gute Nachricht ist, dass wir überlebt haben. Die schlechte Nachricht für unsere Gegner lautet: Wir werden nicht untergehen und nicht aufgeben. Das ist jedenfalls mein Motto - und etwas anderes bleibt ja auch nicht.

Wen sehen Sie denn als Ihre politischen Gegner, außer mutmaßlich die Russen?

Die Russen sind nicht unsere politischen Gegner. Russland hat sich vom Nachbarn in einen Aggressor verwandelt. Nein, ich meine das, was man auch in Deutschland unter politischem Gegner begreift. Bei Ihnen geht es nur bisweilen nicht so existenziell zu.

Sie müssen in kürzester Zeit ein Land und eine Gesellschaft umbauen, die teilweise noch in postsowjetischen Strukturen verharrt. Andere Nachbarstaaten hatten dafür viele Jahre Zeit, diese Chance wurde in der Ukraine nach der Unabhängigkeit vertan. Wie viel Zeit hat Ihr Land noch?

Unsere Zeit ist schon abgelaufen. Manchmal ist es sehr schwer, den Leuten zu erklären, warum wir so viele schmerzhafte Reformen gleichzeitig durchziehen. Polen war vor 20 Jahren ärmer als wir, heute ist es eine starke Wirtschaftsmaschine und ein starker EU-Staat. Uns aber bleiben keine 20 Jahre. Uns bleiben vielleicht zwei.

Zwei Jahre - das ist Ihr window of opportunity? Auch das existiert wahrscheinlich nur deshalb, weil die Ukrainer im Krieg gegen die Separatisten einen großen Patriotismus entwickelt haben. Wann kippt das, weil die Lage im Osten instabil und frustrierend bleibt - und folgt dann ein sozialer Aufstand?

Die Reformen sind unausweichlich. Eingefrorene Löhne und Gehälter, neue Steuern, ein extremer Anstieg der kommunalen Tarife, Währungsverfall, 30 Prozent Inflation, wir haben Steuerlöcher geschlossen - unter anderem für jene Oligarchen, die private Medien besitzen. Aber: Das ist der einzige Weg, unsere Wirtschaft zu retten. Und ja, viele Menschen sind enttäuscht, müde, kriegsmüde.

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IWF und EU sagen trotzdem, es geht nicht schnell genug.

Ich kann man mir keinen Staat vorstellen, der das unter den gegebenen Bedingungen noch schneller schaffen würde: konfrontiert mit einem russischen Aggressor, mit Nuklearwaffen gerüstet bis an die Zähne, dazu Milliarden Dollar, die von der alten Regierung gestohlen wurden, mit einer sehr schwachen Verwaltung und hohen Schulden.

Fühlen Sie sich falsch behandelt von Ihren Partnern im Westen? Die Unzufriedenheit mit der Umsetzung der Reformen wächst in der EU, viel Rhetorik bei zu wenig Ergebnissen, heißt es.

Ja, es gibt Druck. Und der hängt von der Wahrnehmung ab. Es geht hier weniger um Fakten. Wir tun alles, was wir können, und wir versuchen auch, obendrein das richtige Image dazuzuliefern - damit niemand eine Ausrede hat.

Das richtige Image liefern - das klingt zynisch.

Damit meine ich: die Wahrheit sagen. Das ist unsere einzige Möglichkeit. Wir müssen in jede EU-Hauptstadt gehen und zeigen: Wir lügen nicht.

Gehört es zu dieser Reform- plus Image-Kampagne , dass hohe Beamte vor laufenden Kameras mitten in Kabinettssitzungen wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet werden? Ist das eine Machtdemonstration?

Wir waren nicht die ersten, die so etwas gemacht haben. Auch in Rumänien oder Georgien wurde schon so eine öffentliche Geste gesetzt. Und ja, es ist das Signal, dass wir sehr entschieden sind, Korruption zu bekämpfen.

Die in der Ukraine immer noch endemisch und alltäglich ist. Sollen öffentliche Verhaftungen Angst verbreiten?

Wir setzen darauf, dass sich das rumspricht. Heute hat jeder Angst, heute weiß jeder: Früher wurden nur kleine Ganoven verhaftet, heute kann es auch einen korrupten Minister und seinen Stellvertreter treffen. Das ist keine Show mit Einmaleffekt.

Wer sind die Gegner im Inneren?

Ich habe viele "Freunde".... Der Mittelbau in der Verwaltung, Staatskonzerne, korrupte Staatsanwälte, korrupte Richter, die frühere politische Elite - und die neue politische Elite, die sich nur neu nennt, aber schon vorher die Strippen zog. Alle die sind unsere Gegner.

War der jüngste Kampf gegen den Einfluss, den etwa der Oligarch und Ex-Gouverneur Ihor Kolomojskij in Staatskonzernen hatte, eine solche Machtdemonstration gegen einen Feind - oder doch gegen einen Partner?

Wir wollten und mussten die Kontrolle über Staatsunternehmen in der Energiebranche zurückgewinnen; nach einem längeren Ringen hat auch das Parlament dieses Gesetz unterstützt. Was Kokomosjkij angeht: Ich würde sagen, es war der richtige Zeitpunkt für Herrn Kolomosjkij, zurückzutreten.

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Das heißt?

Er hat seinen Job gemacht.

Was war sein Job?

Russische Terroristen daran zu hindern, Dnjepropetrowsk zu erobern.

Derzeit hegen viele Beobachter in Kiew Befürchtungen, dass sich der Oligarch für seine Teil-Entmachtung und vielleicht auch Demütigung rächen könnte. Ist das gerechtfertigt?

Ich denke, er wird vorsichtig und rational handeln.

Das Asow-Bataillon, das von ihm co-finanziert wird, soll aber derzeit im Süden des Kampfgebietes bei Mariupol bisweilen die Gegenseite provozieren und damit den Waffenstillstand unterlaufen.

Nein. Damit hat er nichts zu tun.

Ihre Regierung hat den Kampf gegen das Oligarchentum ausgerufen. Aber Sie brauchen diese Leute, ihr Geld, ihre Investitionen doch auch.

Ja, aber nicht an der Macht. Was bedeutet denn Oligarch: es bedeutet nicht "Wirtschaftsboss", sondern "Wirtschaftsboss, der in der Regierung repräsentiert ist".

Und Sie wollen, dass sie nur noch Geschäfte machen, aber keine Politik mehr?

Genau.

Das ist unrealistisch. Nehmen wir den Fall des Oligarchen Dmitro Firtasch. Derzeit sitzt er in Wien fest und wartet wegen eines Strafverfahrens in den USA auf seine Auslieferung, die er unbedingt verhindern will. Derweil finanziert er eine "Modernisierungsagentur für die Ukraine" mit Unterstützung westlicher Politiker, die man getrost auch als PR-Maschine für Firtasch bezeichnen kann. Tut er das mit Ihrer Billigung?

Das FBI ermittelt gegen ihn. Er ist ein enger Alliierter des früheren Stabschefs von Ex-Präsident Viktor Janukowisch, er ist Mitbesitzer eines der größten ukrainischen Fernsehsender. Seit dem vergangenen Jahr wird wegen der Vermögenswerte ermittelt, die Alliierte des früheren Präsidenten angehäuft haben - darunter fallen auch Herr Firtschasch und sein Partner, Ex-Stabschef Lowotschkin. Diese Ermittlungen laufen.

Gleichwohl mischt dieser Oligarch heftig in der ukrainischen Innenpolitik mit und ist noch immer Chef des Arbeitgeberverbandes.

Wer das Gesetz bricht, muss dafür zur Verantwortung gezogen werden.

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Die Grywna ist verfallen, das Bruttosozialprodukt ist abgesackt, die Exportquote auch. Der IWF hat nun erneut einen hohen Kredit ausgereicht, EU-Staaten wie Deutschland geben Wiederaufbauhilfe, demnächst steht eine Geber-Konferenz an. Wieviele Milliarden braucht die Ukraine denn kurz- und mittelfristig?

Wir haben 17,5 Milliarden vom IWF bekommen, und 15 Milliarden für Umschuldungen. Wir brauchen mehr.

George Soros verspricht, 50 Milliarden an Investitionen zu organisieren. Wie konkret ist das?

Wir sollten die Hoffnungen nicht all zu sehr auf eine Geberkonferenz fokussieren. Wir erwarten nicht, mehr zu bekommen als das, was der Währungsfonds errechnet hat. Die geschätzte Lücke liegt bei 40 Milliarden, obwohl wir wissen, dass das nicht reichen wird. Aber 40 Milliarden - das ist eine große Hilfe und eine große Geste.

Reden wir vom Krieg im Osten. Funktioniert Minsk II?

Es ist in einem Schwebezustand. Das Abkommen existiert, mehr nicht.

Aber ist es realistisch? Oder werden die nächsten Monate eine neue Offensive bringen - und wenn, von wem?

Wir hatten nur zwei Optionen: schlecht oder schlechter. Also haben wir uns für Minsk II und damit für die schlechte entschieden. Obwohl wir wissen, dass Russland dieses Papier nie umsetzen wird. Wir sind dankbar für die Bemühungen von Kanzlerin Merkel und Präsident Hollande, Bewegung in die Sache zu bringen. Aber Russland will diese Vereinbarung weder implementieren noch umsetzen.

Aber zur Zeit lauten die Vorwürfe eher, dass sich auch die Ukraine nicht an den Deal hält. Der Donbass wurde zum besetzten Gebiet erklärt, demnach sollen Wahlen erst nach einer Befreiung stattfinden.

Man sollte mit Fakten, nicht mit russischer Propaganda argumentieren. Der Minsk-Deal legt als erstes Ziel einen kompletten Waffenstillstand fest. Haben wir den? Nein. Zweitens: Abzug schwerer Waffen. Sind die alle weg? Nein. Drittens. Die OSZE muss beides überwachen, das gelingt ihr nicht. Russland soll seine Truppen zurückziehen. Hat es das? Nein. Dann soll es freie und faire Wahlen geben. Ich kann mir schwer vorstellen, wie man freie Wahlen und faire Wahlen in einer Gegend durchführen will, wo an jeder Urne ein Russe mit einer Kalaschnikow steht. Wer also soll diese Wahlen überwachen? Die OSZE? Die können das nicht allein. Ich würde diese Wahlen sofort gern abhalten lassen und möchte von der OSZE hören, dass sie berei ist. Ich habe es immer wieder gesagt: Wir sind bereit, jeden Buchstaben von Minsk II umzusetzen, wir werden niemandem die Gelegenheit geben, uns vorzuwerfen, wir würden den Vertrag unterlaufen.

Minsk II mag unrealistisch sein, aber was folgt daraus? Sie schreiben die Region ab und entfremden die dortige Bevölkerung mit Ihrer Politik, indem Sie hochkomplizierte Zugangsregeln erfinden, die Verwaltung abziehen?

Das ist nicht wahr. Das verstehe ich nicht unter entfremden. Es geht darum, die Trennlinie zu sichern. Es geht hier um die Sicherheit der Ukraine.

Und die macht es nötig, dass Menschen aus Donezk über diese Trenn- oder Grenzlinie fahren müssen, um eine Genehmigung zu bekommen, dass sie genau das dürfen?

Immerhin gibt es schon 1,2 Millionen Vertriebene aus dem Osten des Landes. Wir zahlen Löhne, Pensionen, Gehälter für 900 000 Menschen.

Was wird aus der Region, wenn die Separatisten nicht freiwillig gehen? Ein vergessenes Stück Land hinter einer gut gesicherten Trennlinie?

Die ultimative Frage ist doch. Welches Ziel hat Putin? Was hat er vor? Deeskalation? Will er der Ukraine eine Chance geben und es zulassen, dass sie eines Tages der EU beitritt? Nein. Er wird definitiv weiter daran arbeiten, die Lage zu eskalieren und den Osten als Faustpfand für weitere Angriffe auf die Ukraine zu verwenden. Er wird weiter gegen den Westen kämpfen - und die Ukraine ist sein Aufmarschgebiet.

Was ist das Gegenmittel? Die Befreiung der besetzten Gebiete?

Wir müssen diese Grenzlinie stärken und sichern. Die Durchhaltekraft der ukrainischen Armee erhöhen. Den Russen nicht erlauben, weiter nach Westen vorzurücken. Und alle politischen, ökonomischen, militärischen und diplomatischen Mittel nutzen, um den Konflikt einzuhegen. Ich will das offen sagen: Wir können das nicht schnell lösen. Ich erwarte, dass die Chancen gering, sehr gering sind, diesen Konflikt in einer kurzen Frist zu lösen.

Was ist die Konsequenz?

Aufhalten, die Grenze sichern. Und das Land reformieren, aus der Ukraine eine Erfolgsgeschichte machen.

Heißt das, dass ein Teil des Landes zum Appendix wird, während man den großen Rest zu stärken versucht?

Während man versucht, den Rest nicht noch mehr zu schwächen.

Amerikanische Waffen würden dabei helfen?

Unbedingt. Wir brauchen defensive Militärausrüstung. Was passiert denn im Westen? Russland hat Hunderte Panzer, Raketenwerfer herangeschafft.

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Brauchen Sie mehr Waffen, um die restliche Ukraine zu verteidigen oder um den Donbass zu befreien?

Wir reden ganz klar nur über Verteidigung.

Gibt es - jenseits offizieller Formate - derzeit eine Kommunikation zwischen der Ukraine und Russland? Telefoniert Präsident Poroschenko immer noch ab und zu mit Präsident Putin?

Ich bin nicht der beste Kommunikator, was die Russen angeht. Der Präsident hatte aber, soweit ich weiß, eine Reihe von Telefongesprächen mit Putin.

Sie sprechen in der Vergangenheitsform?

Ich kann das nicht kommentieren. Ich weiß nur, dass das beste Format das Genfer Format ist. Und was direkte Gespräche mit Russland angeht: Putin wird immer versuchen, zu schummeln und zu tricksen. Da ist es immer besser, wenn es Zeugen gibt

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