Ukrainische Halbinsel Krim:Russlands umkämpfte Riviera

Der Krimkrieg - 1853 bis 1856,  | The Crimean War - 1853 to1856

Links russische, rechts britische Soldaten: Szene aus dem Krimkrieg, der von 1853 bis 1856 tobt

(Foto: Sueddeutsche Zeitung Photo)

An den Ufern Tauriens: Seit der Antike prallen auf der Krim die Kulturen aufeinander - manchmal friedlich, meist mit Gewalt. Ein Überblick über die Geschichte der umkämpften Halbinsel.

Von Thomas Urban

In den Andenkenläden auf Jalta und Feodossija, den beliebten Badeorten, gab es schon lange Porträts nicht nur der Literaturgiganten Alexander Puschkin und Leo Tolstoi, die über die Krim geschrieben haben, sondern auch Wladimir Putins, mal im Ikonenstil, mal als kleinen Wandteppich. Daneben Büsten und Herrscherbilder der Zarin Katharina der Großen. Die Botschaft: Die Krim ist russisch.

Tolstois literarische Karriere nahm hier ihren Anfang. Seine "Sewastopoler Erzählungen" machten den damals 26-Jährigen auf einen Schlag bekannt, denn abweichend vom offiziellen Hurrapatriotismus schildert er darin die Schrecken des Krimkrieges 1854/55, in dem er als Artillerieoffizier diente. Damals wollten Briten und Franzosen im Bund mit dem von Moskau bedrängten Osmanischen Reich verhindern, dass das Zarenreich den Bosporus unter Kontrolle nehme.

Eine Generation vor Tolstoi hatte Puschkin die Krim in die russische Literatur eingeführt: Nach einer Rundreise über die Halbinsel 1820 schrieb er den Gedichtzyklus "Taurisches" (russisch: Tawrida); in seinem Versroman "Eugen Onegin" rühmt er die "wunderschönen Ufer Tauriens".

"Tauris" ist der altgriechische Name der Krim, unter dem sie auch in die Kulturgeschichte eingegangen ist. Johann Wolfgang von Goethe und Christoph Willibald Gluck widmeten sich dem Schicksal der "Iphigenie auf Tauris". Die Tochter des Königs Agamemnon erwähnte bereits Homer, sie musste dort in einem Tempel dienen. Der Geschichtsschreiber Herodot schildert die Taurer als räuberisches Kriegervolk; Iphigenie musste helfen, den Gefangenen die Häupter abzuschlagen.

Die Krim ist seit jeher eine umkämpfte Region. Die Taurer wurden laut Herodot von den Skythen unterworfen, einem Reitervolk aus den Steppen nördlich des Schwarzen Meeres. Die Skythen mussten sich wiederum den iranischen Sarmaten beugen. Schon damals trieben die Griechen mit beiden Völkern regen Handel; sie gründeten an der Krimküste Niederlassungen.

Manchmal friedlich, oft im Krieg

Diese Kolonialstädte schlossen sich zum Bosporanischen Reich zusammen, das den Seehandel vom Bosporus bis zur Nordküste des Schwarzen Meeres kontrollierte. Doch auf der Südseite in der heutigen Türkei erwuchs ihnen ein starker Gegner, das ebenfalls griechische Königreich Pontus. Schließlich annektierten die Ponter das Reich ihrer Handelskonkurrenten.

Im ersten vorchristlichen Jahrhundert unterlagen die Ponter in drei Kriegen gegen die Militärmaschine Roms. Ihr König Mithridates floh auf die Krim. Sein Kampf gegen die Römer bildet den Hintergrund der Oper "Mitridate", mit der der 14-jährige Wolfgang Amadeus Mozart in Wien Aufsehen erregte. Die Legende berichtet, der auf Rache sinnende Mithridates habe in seinem Exil vergiftet werden sollen, doch sei er durch jahrelange Einnahme kleiner Dosen der Giftstoffe immun gewesen.

Die Krim blieb, was sie unter den Griechen gewesen war: ein Ort, an dem Europa und Asien, die Kulturen der Städte und der Steppe aufeinandertrafen, manchmal friedlich, oft im Krieg. Die Römer beschränkten sich darauf, den Küstenstreifen um die heutige Stadt Jalta in Besitz zu nehmen. Über das Krimgebirge im Norden kamen sie nicht hinaus. In diesem Gebiet ließen sich im Zuge der Völkerwanderung vom dritten Jahrhundert an ostgermanische Goten nieder. Allerdings wurden die gotischen Siedlungen bei jedem der folgenden Herrschaftswechsel dezimiert, kein anderes Gebiet in Europa erlebte so viele Umbrüche wie die Krim.

Mit der Teilung des römischen Imperiums fiel die Krim an Konstantinopel, auch Byzanz genannt. Mehrmals geriet sie als Außenposten nun in den Fokus der großen Politik: Erst wurde der abgesetzte Papst Martin I. dorthin verbannt, in dem Kirchenstreit darüber, ob Jesus nur einen göttlichen oder auch zusätzlich einen menschlichen Willen habe, war er unterlegen. Zuerst wurde er wegen Irrlehre zum Tode verurteilt, dann aber nur ausgepeitscht und deportiert. Er starb 655 auf der Krim.

Genau vier Jahrzehnte später musste der oströmische Kaiser Justinian II. nach einer Palastintrige denselben Weg gehen, nachdem ihm seine Gegner die Nase hatten abschneiden lassen. Doch Justinian fand Verbündete in den Chasaren, einem Turkvolk mit jüdischer Oberschicht, das den Norden der Halbinsel kontrollierte. Er heiratete eine chasarische Prinzessin, fand außerdem Unterstützung bei den Bulgaren am Westufer des Schwarzen Meeres und fiel mit einer gemischten Streitmacht in Byzanz ein.

Unter seinen Gegnern nahm er schreckliche Rache, es gab Massenhinrichtungen, der Patriarch wurde geblendet. Doch dieser Terror schlug auf ihn zurück: Ausgerechnet auf der Krim sammelten sich seine versprengten Gegner, sie marschierten auf Byzanz und ließen Justinian köpfen.

Die "Goldene Horde" kam gewaltsam - ihre Nachfahren heißen Tataren

Die Krim blieb, von den byzantinischen Küstenstädten abgesehen, unter der Herrschaft der Chasaren, bis Ende des 10. Jahrhunderts erstmals die Kiewer Rus auf den Plan trat. Großfürst Wladimir, der vermutlich von Warägern abstammte, den in Russland eingedrungenen Wikingern, ließ einige Städte brandschatzen, musste sich aber bald zurückziehen.

988 führte Wladimir in Kiew das Christentum nach byzantinischem Ritus ein, weshalb die orthodoxe Kirche ihn heute als Heiligen verehrt. Verdrängt wurden die Chasaren von den Kumanen, die in den Chroniken auch als Polowetzer auftauchen. Ursprünglich stammten sie aus den Steppen des heutigen Kasachstans, traten aber unter dem Druck der Mongolen die Wanderschaft nach Westen an. In die Kulturgeschichte eingegangen sind sie dank der Oper "Fürst Igor" von Alexander Borodin, die Polowetzer Tänze gehören zu den großen Hits der klassischen Musik.

Auch diese Ära endete gewaltsam. Die Kumanen wurden von der Goldenen Horde niedergemetzelt, die unter Batu Khan, einem Enkel Dschingis Khans, von 1237 bis 1241 alle Länder von Mittelasien bis Schlesien überrollte. Nach knapp zwei Jahrhunderten zerfiel auch die Herrschaft der Mongolen, von den russischen Chronisten Tataren genannt. Immerhin: Die Halbinsel konnten sie halten. Die Tataren gaben ihr ihren heutigen Namen, "Qirim" bedeutet "Festung". Mittlerweile hatten sie den Islam angenommen.

Die Küste blieb allerdings bei Byzanz, bis die Stadtrepubliken Venedig und Genua den Schwarzmeerhandel entdeckten. Die Italiener, die die Krim damals Gothia nannten, behielten die Oberhand. Doch führten sie auch mehrere Kriege gegeneinander, vor allem um die Kontrolle der Landzunge im Nordosten, weil gegenüber auf dem Festland die Seidenstraße endete. So blockierten die Venezianer den genuesischen Hafen Caffa, das heutige Feodossija, damals auch ein großer Sklavenmarkt.

Handelsplatz für Venezianer, Erholungziel des Adels, Ort von Massakern

Die Tataren wollten an dem Geschäft teilhaben, bald nach dem Abzug der Venezianer belagerten auch sie die Stadt. Der Überlieferung zufolge schossen sie mit Wurfmaschinen tote Ratten über die Stadtmauer, die Pest brach aus. Über genuesische Flüchtlinge verbreitete sich der "schwarze Tod" 1346/47 später in ganz Europa.

Mit der Einnahme Konstantinopels durch das Osmanische Reich 1453 wurde der Bosporus für die Italiener gesperrt, sie mussten ihr Gothia aufgeben. Die Krimtataren übernahmen ihre Handelsplätze. Doch schon 22 Jahre später musste sich auch ihr Khan dem osmanischen Sultan unterwerfen. Mit Unterstützung der Türken versuchten die Krimtataren, ihr Herrschaftsgebiet nach Norden auszudehnen. Als Zar Iwan IV., im Abendland "der Schreckliche" genannt, durch einen Krieg gegen Polen-Litauen gebunden war, zogen sie 1571 bis nach Moskau und brannten die Stadt bis auf den Kreml nieder. Im folgenden Jahr besiegten Iwans Schützenverbände, die Strelitzen, die mit Krummsäbel und Bogen kämpfenden Tataren, doch bis zur Schwarzmeerküste kamen sie nicht.

Zweiter Weltkrieg, Russische Bevölkerung: Krimtartaren, Zusammenarbeit mit den Deutschen, Crimean tatars cooperating with German soldiers on the eastern front, during the Second World War (b/w photo) | Second World War: Russian population - Crimean Tatars

Krimtataren mit einem deutschen Unteroffizier nach der deutschen Eroberung der Halbinsel.

(Foto: Sueddeutsche Zeitung Photo)

Erst mehr als anderthalb Jahrhunderte später erreichte russisches Militär erstmals die Krim. 1736 ließ der in russischen Diensten stehende Oldenburger Feldmarschall Burkhard Christoph von Münnich die tatarische Residenz Bachtschyssaraj niederbrennen, während die Truppen des Khans am anderen Ende des Osmanischen Reiches gegen die Perser kämpften. Es war der Anfang vom Ende des Krim-Khanats.

1783 konnte Fürst Grigori Potemkin, der Legende nach Erfinder der nach ihm benannten Kulissendörfer, Katharina der Großen den Anschluss der Krim an das Zarenreich melden. Potemkin gründete den Hafen Sewastopol und die Schwarzmeerflotte. Dafür bekam er den Ehrentitel "Fürst von Taurien" (Tawrija), womit sich der Kreis zur Antike schloss. Die Zarin dekretierte, dass Taurien "für alle Zeit" russisch bleibe, woran heute viele Redner in der Krimhauptstadt Simferopol erinnern.

Die Adelsherrlichkeit endete im Bürgerkrieg

Damals flohen viele Krimtataren in die Türkei. Für ihre Nachkommen wurde die Krim zum mythischen Sehnsuchtsort. Die Zurückgebliebenen waren im Zarenreich vielerlei Repressalien ausgesetzt. Das berühmte Puschkin-Gedicht "Der Brunnen von Bachtschyssaraj" lässt Mitgefühl für ihre Verzweiflung und Trauer über den Verlust anklingen. Innerhalb weniger Jahrzehnte verwandelten sich die tatarischen Kleinstädte an der Küste zu mondänen Kurorten; um den Handelshafen Jalta entstand die "russische Riviera" mit vielen Villen und Palästen.

Die Adelsherrlichkeit auf der Krim endete mit dem russischen Bürgerkrieg 1920, hier wurden Verbände der zarentreuen Weißen von der Roten Armee niedergemetzelt. Die Rotarmisten liquidierten auch gleich die von Unabhängigkeit träumende Führung der Taurischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Die Krim wurde an Sowjetrussland angeschlossen, die schönsten Adelspaläste nahm die kommunistische Nomenklatura für sich in Beschlag, andere wurden zu Arbeitererholungs- oder Kinderheimen mit streng geregeltem Tagesablauf. Eine Putjowka (Urlaubsschein) unter die Sonne der Krim wurde der Traum von Millionen Werktätigen, Komsomolzen und jungen Pionieren. Sewastopol aber ließ der Sowjetherrscher Josef Stalin zur "stärksten Festung der Welt" ausbauen.

Die SS ermordete Hunderte jüdische Krimtschaken

Im Zweiten Weltkrieg wurde sie zum sowjetischen Mythos, denn sie leistete acht Monate Widerstand gegen die mit Stukas angreifenden Deutschen. Circa 17 000 Soldaten fielen bei den Kämpfen, zwei Drittel auf sowjetischer Seite. Während die Schlacht noch tobte, ermordete ein SS-Kommando 6000 Krimtschaken, eine kleine turkstämmige Minderheit jüdischen Glaubens.

Die Krimtataren wurden hingegen als Verbündete betrachtet, die Deutschen erlaubten den Wiederaufbau ihrer von den Bolschewiken zerstörten Moscheen. Als Gegenleistung stellten die Tataren eine lokale Polizei und eine Hilfstruppe für die Wehrmacht auf.

Nach der Rückeroberung der Krim im April 1944 nahm Stalin Rache: Etwa 350 000 Krimtataren wurden an den Polarkreis, nach Sibirien und Kasachstan deportiert, etwa ein Drittel kam in der Kälte um. Die Überlebenden durften erst mit dem Ende der Sowjetunion zurückkehren, doch ihre Grundstücke an der Küste, die heute Millionen wert sind, bekamen sie nicht zurück.

Im Februar 1945 feierte Stalin seinen Sieg: Auf der Konferenz von Jalta akzeptierten Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt die sowjetische Hegemonie über den Osten Europas. Stalins Nachfolger Nikita Chruschtschow schlug 1954 die bis dahin unmittelbar dem Kreml unterstehende Krim der Ukrainischen Sowjetrepublik zu, offenbar, um die Planung großer Infrastrukturprojekte wie Eisenbahnlinien, Stromleitungen und Kanäle zu vereinfachen.

Als die Sowjetunion Ende 1991 zerfiel, gehörte so die Krim unversehens zur souverän gewordenen Ukraine, in deren Literatur oder Musik sie bis dahin keinerlei Spuren hinterlassen hatte. An ihren Eintritt in die Geschichte erinnert immerhin noch der Name des führenden Fußballklubs: Tawrija Simferopol, benannt nach dem antiken Tauris.

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