Süddeutsche Zeitung

Ukrainisch-europäische Freihandelszone:Wie Russland den Freihandel zwischen EU und Ukraine torpediert

  • Vor dem Inkrafttreten des Freihandelsabkommens zwischen der Ukraine und der EU gab es keine gütliche Einigung mit Russland.
  • Russland hat den Freihandel mit seinem Nachbarland Ukraine wegen des neuen Abkommens mit der EU aufgekündigt.
  • Die Ukraine sieht dem gelassen entegegen. Zuletzt betrug der Anteil ukrainischer Produkte am russischen Markt nur noch 1,2 Prozent.

Von Daniel Brössler, Brüssel, Julian Hans, Moskau, und Cathrin Kahlweit, Wien

Die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström wollte jeden Zweifel vermeiden. "Diese Übung ist nun beendet", sagte sie, nachdem sie einen ganzen Tag mit dem ukrainischen Außenminister Pawlo Klimkin und dem russischen Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Alexej Uljukajew, zusammengesessen hatte. "Wir haben den ganzen Tag ohne Ergebnis verbracht", klagte die Kommissarin. Und nicht nur diesen: 18 Monate lang ist verhandelt worden, in 22 Sitzungen, davon 15 auf Ministerebene. Alles vergebens. Der Versuch, vor dem Inkrafttreten des Freihandelsabkommens (DCFTA) zwischen der Ukraine und der EU eine gütliche Einigung mit Russland herbeizuführen, ist gescheitert. Am 1. Januar tritt das Abkommen in Kraft, weitere Gespräche im Dreierformat soll es nicht geben.

Die Brüsseler Sitzung zu Wochenbeginn war im Grunde nur noch eine Pflichtübung gewesen. Schon zwei Tage zuvor hatte Kremlchef Wladimir Putin der Ukraine zum 1. Januar per Dekret die Vorzüge des Freihandelsabkommens mit Russland entzogen. Ein "bisschen überrascht" sei man über diese Entscheidung noch vor der letzten Verhandlungsrunde gewesen, sagte Malmström.

Aber eben wohl nur ein bisschen. Schließlich hat die russische Seite zu keinem Zeitpunkt einen Zweifel daran gelassen, dass ihr das ganze ukrainisch-europäische Abkommen nicht passt. Russlands Unterhändler seien immer wieder mit neuen Forderungen gekommen, die darauf abgezielt hätten, das Inkrafttreten am 1. Januar 2016 unmöglich zu machen oder den Sinn des DCFTA zu unterminieren, klagte Malmström.

Fast vollständiger Wegfall von Zollschranken

Sinn des Abkommens ist eine weitgehende Annäherung der ukrainischen Wirtschaft an die europäische. Es regelt den fast vollständigen Wegfall von Zollschranken sowie die Angleichung technischer Normen und sanitärer Mindeststandards bei der Lebensmittelproduktion. Russland argumentierte, dies alles schade der russischen Wirtschaft und sei unvereinbar mit dem russisch-ukrainischen Freihandel. Man habe sich die russischen Sorgen " sehr offen" angehört und habe praktische Lösungen etwa durch Übergangsfristen gesucht, sagte Malmström.

" Hätte es den Willen gegeben, wäre das möglich gewesen. Allerdings gab es heute nicht genügend Flexibilität von der russischen Seite", klagte sie. Nicht einlassen können habe man sich auf eine Veränderung des Vertragstextes. Schließlich habe "jede Nation auf der Welt das Recht, ein Freihandelsabkommen zu schließen, solange es im Einklang mit WTO-Regeln steht".

So sieht man es auch in Kiew und gibt sich, allem russischen Druck zum Trotz, demonstrativ gelassen. Einerseits war der Handel mit Russland immer ein wichtiges, lange das wichtigste Standbein für die ukrainische Wirtschaft, und die neuen Zollgebühren von sieben Prozent, die der Kreml für Waren aus dem Nachbarland avisiert, sind genauso schmerzlich wie das Embargo auf Lebensmittel. Allerdings hat sich der Handel zwischen Russland und der Ukraine seit der Westannäherung, dem Krieg und den Sanktionen ohnehin schon mehr als halbiert.

Das Freihandelsabkommen selbst wird in der Ukraine als Motor für eine schnellere Modernisierung und Anpassung an westliche Standards, vor allem aber als Signal für die neue Nähe zur EU herbeigesehnt. Über die Risiken wird derweil weniger laut geredet. Zwar hat sich die Wirtschaftsleistung nach einem Sturzflug (das Bruttosozialprodukt brach 2014 um sieben und 2015 um zehn Prozent ein) und einem drastischen Verfall der Hrywnia wieder stabilisiert. Dazu haben auch Kredite über etwa 40 Milliarden Euro beigetragen, die überwiegend vom Internationalen Währungsfonds gestellt werden.

Laut einer Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung wird das Land aber in den nächsten Jahren weitere 60 bis 100 Milliarden brauchen, um auf die Füße zu kommen. Und der Anpassungsschock durch das Freihandelsabkommen und die Verdrängung minderwertiger heimischer Waren vom ukrainischen Markt werden wohl eine zusätzliche Belastung für die Wirtschaft sein.

Eines der drängendsten Probleme zum Jahresende ist derweil nicht geklärt: Kiew schuldet Moskau drei Milliarden Euro, über deren Umschuldung man sich nicht einigen konnte. Nun wollen sich beide Seiten vor Gericht treffen. Aber solange Kiew nicht zurückzahlt, droht eine negative Einstufung durch internationale Rating-Agenturen und im Extremfall der Staatsbankrott.

Zum 1. Januar werden von Moskau nicht nur Handelserleichterungen gestrichen, Russland dehnt auch sein Handelsembargo gegen Lebensmittel aus Europa auf die Ukraine aus. Das sei notwendig, um "Russlands Interessen" zu schützen, sagte Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew. Am Dienstag beschloss das Parlament den Ausschluss der Ukraine aus der Freihandelszone. Auf diese Weise bewahre man russische Unternehmen vor Verlusten in Höhe von 3,5 Milliarden Dollar, erklärte Vize-Wirtschaftsminister Alexej Lichatschow.

40 Prozent des russischen Marktes waren Lebensmittel aus Europa

Bevor Moskau Anfang August 2014 einen Importstopp erließ, hatten Lebensmittel aus Europa etwa 40 Prozent des russischen Marktes ausgemacht. Das Bemühen, die Lücke aus eigener Produktion zu füllen, kommt nur langsam voran. Stattdessen wird mehr aus Lateinamerika, Weißrussland und Zentralasien importiert. Die russischen Verbraucher müssen heute für einzelne Lebensmittel bis zu einem Drittel mehr bezahlen als vor Einführung des Importstopps.

Im ersten Quartal dieses Jahres stieg die Zahl der Armen in Russland um 16 Prozent. Hauptgrund für den Rückgang des Lebensstandards ist der fallende Ölpreis. Das Lebensmittelembargo der Regierung verschärft die Lage der Menschen allerdings zusätzlich. Die Zentralbankchefin Elwira Nabiulina geht davon aus, dass das von Januar an geltende Importverbot für Lebensmittel aus der Türkei die Inflation um weitere 0,4 Prozent antreiben könnte. Ukrainische Lebensmittel waren bereits in den vergangenen Jahren gezielt vom russischen Markt verdrängt worden, indem Überwachungsbehörden immer neue Mängel entdeckten. Noch 2012 hatten ukrainische Produkte einen Anteil von mehr als fünf Prozent am russischen Markt, zuletzt waren es nur noch 1,2 Prozent.

Unerwartete Schützenhilfe im Kampf des Kreml gegen das DCFTA kommt aus den Niederlanden. Dort wird im April über das Abkommen abgestimmt. In dem Referendum geht es in Wahrheit aber eher um den Frust über die EU. Der könnte sich am Ende als wirkungsvoller erweisen als aller Druck aus Moskau.

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SZ vom 23.12.2015/dayk
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