Süddeutsche Zeitung

Ukraines neuer Präsident Poroschenko:Sehnsucht nach Frieden

Ihren Glauben an die Politik haben die Ukrainer schon lange verloren. Die meisten wären heute schon mit kleinen Korrekturen zufrieden. Wenn Präsident Poroschenko heute sein Amt antritt, muss er deshalb nicht alles einlösen, was er im Wahlkampf angekündigt hat. Sein wichtigstes Versprechen aber muss er halten.

Ein Kommentar von Cathrin Kahlweit

Wenn ein deutscher Fernsehsender die Amtseinführung eines ukrainischen Präsidenten überträgt, wie das an diesem Samstagmorgen der Fall sein wird, so liegt das wohl weniger am Nachrichtenwert an sich als an der Symbolik. Dabei hat die wechselvolle Geschichte des Landes schon einige Staatschefs hervorgebracht, deren politischer Aufstieg Aufmerksamkeit verdient hätte - etwa Viktor Juschtschenkos Sieg nach der Orangenen Revolution und dem ersten Sturz von Viktor Janukowitsch. Der war damals massiver Wahlfälschung überführt worden und durfte sein Amt nicht antreten.

Sechs Jahre später war der Mann aus der Ostukraine dann doch ganz oben, gewählt von enttäuschten Ukrainern, die sich die Demokratie anders vorgestellt hatten als eine Ballung von Machtkämpfen, mit denen die Führung den Neuanfang nach dem Aufstand 2004 entwertete.

Doch dann kam, Ende 2013, Aufstand Nummer zwei, und jetzt hockt Janukowitsch in Moskau. Vielleicht schaut auch er am Schirm der Amtseinführung seines Nachfolgers Petro Poroschenko zu - obwohl zu vermuten steht, dass russische Sender das Ereignis nicht live übertragen. Das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine war nie so schlecht wie derzeit, und so muss es schon als versöhnliche Geste gelten, dass Moskau immerhin einen Botschafter nach Kiew schickt, während die neuen Freunde der Ukrainer, die USA, gleich mit dem Vizepräsidenten und der EU-Beauftragten im Außenministerium, Victoria Nuland, aufwarten.

Poroschenko war überraschend eindeutig zum neuen Präsidenten gewählt worden. Aber diesmal war die Entscheidung der Ukrainer für ihr neues Staatsoberhaupt gerade nicht Ausdruck von Euphorie und Aufbruchsstimmung, wie sie nach der Orangenen Revolution dominiert hatte. Poroschenko wurde nach den Umwälzungen des Maidan gewählt, weil die Bevölkerung keine Illusionen mehr hat. Mittlerweile wäre die Mehrheit, die auf mehr Demokratie und weniger Korruption hofft, schon mit kleinen Korrekturen zufrieden.

Poroschenko, der neue Präsident, soll den Streit mit Putin schlichten

Für Poroschenko ist das eine Chance. Er hatte im Wahlkampf angekündigt, der Ukraine eine "neue Art zu leben" aufzuzeigen. Aber das hat ohnehin niemand geglaubt, ein neuer Realismus hat längst Einzug gehalten in die ukrainische Politik. Und der erfahrene Unternehmer und Ex-Minister muss nicht alles liefern, was er versprochen hat. Wenn nur die Oligarchen daran gehindert werden, sich gar so zu bereichern wie unter Janukowitsch, wenn nur Ansätze für eine bessere, solidere Staatsführung und Verwaltung zu verzeichnen sind - dann würde das angesichts des maroden Zustandes der Wirtschaft und grassierender Amoral in der Politik wahrscheinlich schon als Fortschritt verbucht.

Aber ohnehin ist Poroschenko nicht vorwiegend wegen seiner EU-Ausrichtung und seiner Erfahrung als Manager gewählt worden. Der Schokoladen-Produzent, der 25 000 Arbeitnehmer beschäftigt, zwei Fabriken in Russland hatte und etwa 40 Prozent seines Umsatzes in Russland machte, bis die Russen sein Vermögen einfroren und seine Fabriken schlossen, soll - so bald wie möglich - Frieden mit Russland bringen. Poroschenko gilt als Macher, aber auch als Ausgleicher. Er hatte vor der Wahl versichert, er werde Kontakte zu Moskau suchen; ein erster Schritt dazu wurde am Freitag in der Normandie bei einem kurzen Treffen mit Wladimir Putin gemacht. Das gute Wahlergebnis für Poroschenko war vor allem Ausdruck der Sehnsucht der Ukrainer nach einem Ende dieses künstlich geschürten und sinnlos erscheinenden Konflikts im Osten. Die Kiewer Regierung weitet derzeit den "Anti-Terror-Einsatz" aus und prüft die Ausrufung des Kriegsrechts. Es ist an Poroschenko, sein wichtigstes Wahlversprechen einzulösen.

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SZ vom 07.06.2014/jasch
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