Süddeutsche Zeitung

Krieg in der Ukraine:Neue Eskalation im Donbass

  • Die ukrainische Armee und die russischen Separatisten bekämpfen sich im Osten der Ukraine so heftig wie nie.
  • Seit April vergangenen Jahres wurden in dem Konflikt mehr als 6800 Menschen getötet.
  • Mit der neuerlichen Eskalation wird immer deutlicher, dass die vereinbarten Schritte des Minsk-II-Abkommens ohne Gespräche auf höchster Ebene nicht umgesetzt werden.

Von Julian Hans, Moskau

Ganz geschwiegen haben die Waffen nie, seit Anfang des Monats aber sind die Gefechte zwischen der ukrainischen Armee und den von Russland unterstützten Kämpfern im Donbass so heftig wie nie zuvor seit der Einigung auf konkrete Schritte zum Frieden im Minsk-II-Abkommen. Zwar werfen sich Moskau und Kiew seit der Vereinbarung vor einem halben Jahr gegenseitig vor, die vereinbarten 13 Punkte nicht umzusetzen. Doch in jüngster Zeit geht offenbar auf beiden Seiten die Geduld zu Ende, Verstöße des Gegners werden zunehmend als Rechtfertigung für eigene genutzt und man sucht den Ausweg wo es keinen geben kann - in neuer Konfrontation.

Seit Wochenbeginn starben bei heftigen Kämpfen mindestens elf Menschen. Am Dienstag meldeten die ukrainischen Behörden einen gefallenen Soldaten. Tags zuvor mussten sie den Tod von drei Zivilisten bekannt geben - in dem von den Regierungstruppen kontrollierten Dorf Sartana nahe der Hafenstadt Mariupol und in einem weiteren Dorf nahe Donezk. Die prorussischen Rebellen vermeldeten ihrerseits den Tod von fünf Zivilisten in Donezk und im Dorf Horliwka, 30 Kilometer nordöstlich der Separatisten-Hochburg.

Seit Beginn der Kämpfe wurden mehr als 6800 Menschen getötet

Zwei Entwicklungen bereiten dabei besonders große Sorge: Es wird wieder vermehrt schweres Kriegsgerät eingesetzt; Artillerie mit einem Kaliber von mehr als 100 Millimeter sollte laut Minsker Abkommen seit Mitte März von der Front abgezogen sein. Doch eine entmilitarisierte Pufferzone gibt es nicht. Dazu kommt, dass wieder um Gebiete gekämpft wird, die zwischenzeitlich einigermaßen beruhigt waren.

So liefern sich Regierungstruppen und Rebellen seit Tagen an der Autobahn zwischen Mariupol und Donezk heftige Gefechte. Mariupol ist die letzte größere Stadt in der Konfliktregion, die noch von der ukrainischen Armee gehalten wird. So entspricht es auch den in Minsk getroffenen Vereinbarungen. Dennoch haben die von Russland unterstützten Kämpfer in den vergangenen Monaten immer wieder versucht, die Hafenstadt einzunehmen.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon äußerte zum Wochenbeginn seine Beunruhigung über die erneute Eskalation der Gewalt. Die andauernde Verletzung der Waffenruhe und der Verlust von Menschenleben seien "nicht akzeptabel". Auch die EU- Außenbeauftragten Federica Mogherini verurteilte das Blutvergießen. Beide Seiten sollten die Vereinbarung für eine Waffenruhe einhalten, sagte sie in Brüssel. Laut den Vereinten Nationen sind seit Beginn der Kämpfe im April vergangenen Jahres mehr als 6800 Menschen getötet worden.

Moskau und Kiew warfen sich in den vergangenen Tagen gegenseitig vor, eine neue Offensive vorzubereiten. Das Wiederaufflammen der Gewalt erinnere an den vergangenen August, als die Regierungseinheiten eine Offensive gestartet hatten, sagte Russlands Außenminister Sergej Lawrow der Agentur Interfax zufolge.

Zuvor hatte Kiew Befürchtungen geäußert, die prorussischen Rebellen könnten um den 24. August eine neue Offensive starten. An diesem Datum begeht die frühere Sowjetrepublik ihren Unabhängigkeitstag. Ende August 2014 hatten Rebellen im Südosten von Donezk ukrainische Soldaten eingekreist. Laut Kiew kamen in wenigen Tage 366 ukrainische Soldaten um. Die mit Waffen und Söldnern aus Russland geführte Offensive war ein Wendepunkt. Seither ist klar, dass die ukrainische Armee den Krieg nicht gewinnen kann. Darüber, wie die militärischen Punkte des Minsker Abkommens umgesetzt werden müssten, herrscht weitgehend Einigkeit. Streit gibt es um die Interpretation der politischen Punkte. Lawrow forderte erneut direkte Gespräche zwischen der Regierung in Kiew und den von Moskau gestützten Rebellenführern in Luhansk und Donezk. "Das ist der Kern aller Vereinbarungen, die wir in Minsk getroffen haben", sagte er. "Ohne das wird es natürlich keinen Fortschritt geben."

Putin setzt die Führung in Kiew unter Druck

Punkt 12 der Minsker Vereinbarungen sieht baldige Kommunalwahlen in den Gebieten Donezk und Luhansk vor, die "auf der Basis des Gesetzes der Ukraine zur zeitweiligen Ordnung der lokalen Selbstverwaltung" abgehalten werden sollen. Die Umsetzung soll laut Vereinbarung in der Kontaktgruppe aus Vertretern Kiews, der "Volksrepubliken" und Russlands besprochen werden. Moskau leitet davon ab, dass Kiew die Rebellen als Gleichberechtigte anerkennt. Das nächste Treffen der Gruppe ist für kommenden Mittwoch geplant.

Russlands Präsident Wladimir Putin nutzte einen Kurzbesuch auf der Krim am Montag, um die Führung in Kiew unter Druck zu setzen: Er sei sicher, die Lage in der Ukraine werde sich "trotz der gegenwärtigen Schwierigkeiten" verbessern. Dann müsse auch Schluss sein mit der "externen Kontrolle" der Regierung in Kiew. Dass Schlüsselpositionen in Kiew und den Regionen mit Ausländern besetzt würden, sei "beschämend". Ukraine-Präsident Petro Poroschenko hat unter anderem Georgiens früheren Staatschef Michail Saakaschwili als Gouverneur nach Odessa geholt. Mit der Eskalation wird deutlicher, dass die Vereinbarungen ohne Gespräche auf höchster Ebene nicht umgesetzt werden. Ein weiteres Treffen im "Normandie-Format", mit Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine, sei vorstellbar, sagte Lawrow, doch zunächst nur auf Experten-Ebene. Am Dienstagabend wurde bekannt, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel nächsten Montag Poroschenko und Frankreichs Präsident François Hollande trifft. Zeichnen sich neue Verhandlungen ab, wächst aber auch der Anreiz, die jeweilige militärische Stärke zuvor noch unter Beweis zu stellen - und so die eigene Verhandlungsposition auszubauen.

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SZ vom 19.08.2015/fued
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