Ukraine zwischen Ost und West:Janukowitsch taktiert, seine Gegner wehren sich

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Die Bereitschaftspolizei trifft am Mittwochabend am Unabhängigkeitsplatz in Kiew auf die Demonstranten

(Foto: AFP)

Die Polizei muss sich vom Unabhängigkeitsplatz in Kiew zurückziehen, die ukrainische Regierung macht der EU ein Angebot: Ministerpräsident Asarow fordert 20 Milliarden Euro für die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens. Die EU reagiert mit verhaltener Empörung.

Mykola Asarow versuchte offenbar, so dezent wie möglich zu wirken. Die Sache mit dem Assoziierungsabkommen, so gab der ukrainische Ministerpräsident am Rande einer Kabinettssitzung zu verstehen, könne mit der EU doch noch zu einem guten Ende kommen. Und zwar "durch das Angebot von finanzieller Unterstützung an die Ukraine".

Eine Zahl hatte Asarow auch dabei: 20 Milliarden Euro. So hoch sei die "ungefähre Größenordnung", um die wirtschaftlichen Folgen einer Abkehr von Russland abzufedern. Gerüchte, dass sich Präsident Viktor Janukowitsch Ende vergangener Woche mit Russlands Präsident Wladimir Putin über den Beitritt zu Moskaus Zollunion geeinigt habe, seien im Übrigen "Spekulationen".

Mit verhaltener Empörung reagierte die EU-Kommission auf die Milliarden-Forderung: Die vorliegenden Verträge seien "gut für den Wohlstand der Ukraine", hieß es. Dieser dürfe nicht "Gegenstand einer Ausschreibung" werden. Überhaupt: Es werde nicht mit Zahlen gespielt. Auch aus Deutschland kommt Kritik. Damit "scheint die ukrainische Führung von ihrer alleinigen Verantwortung für die aktuelle und politische Lage ablenken zu wollen", sagte ein Sprecher der Bundesregierung.

Orientierung nach Westen oder Osten - die Janukowitsch-Regierung gefällt sich weiterhin darin, geschickt nach beiden Seiten zu taktieren. Dies hatte sich nach den Gesprächen des Präsidenten mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton am Dienstag angedeutet. Eigentlich wollte der Präsident bereits am Mittwoch eine ukrainische Delegation nach Brüssel schicken - doch dieser Besuch ist nun verschoben worden.

Der Zeitpunkt wäre auch denkbar ungünstig gewählt: Der Polizeieinsatz aus der vergangenen Nacht hat im Westen heftige Reaktionen aufgelöst. Die Sicherheitskräfte waren auf den Unabhängigkeitsplatz im Zentrum Kiews vorgerückt und setzten Gewalt ein, um Barrikaden von Demonstranten zu räumen.

Die litauische EU-Ratspräsidentschaft erklärte, dass "sich die ukrainischen Behörden offenbar bewusst gegen den europäischen Weg entschieden haben." US-Außenminister John Kerry ließ ausrichten, er sei von der Gewalt "angewidert", die Bundesregierung forderte "eindringlich zur Gewaltlosigkeit und zur Achtung des Versammlungsrechts auf." Oppositionspolitiker Vitali Klitschko und die inhaftierte Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko schlossen als Reaktion auf die Gewalt Verhandlungen mit Janukowitsch aus. Und der ukrainische Oppositionsführer Arsneij Jazenjuk rief den Demonstranten auf dem Majdan-Platz zu: "Präsident Janukowitsch hat den USA, den Ländern der Europäischen Union und 46 Millionen Ukrainern ins Gesicht gespuckt. Wir werden ihm das nicht verzeihen."

Demonstranten trotzen der Polizei

Das ukrainische Innenministerium wiederum beeilte sich zu versichern, dass der Majdan-Platz nicht geräumt werde. Man habe schlicht eine Durchfahrtstraße für den Verkehr zugänglich machen wollen.

Allerdings hatten die Polizisten auch versucht, das von etwa 200 Regierungsgegnern besetzte Rathaus zu räumen. Schließlich gaben die Sicherheitskräfte auf - wahrscheinlich nicht nur wegen der kalten Wasserduschen, mit denen die Besetzer sie bei Minustemperaturen begrüßten, sondern auch wegen der schieren Masse an Demonstranten, die sich ihnen entgegenstellte.

Inzwischen hat sich die Polizei vollständig vom Majdan-Platz zurückgezogen, die Stimmung ist Augenzeugenberichten zufolge wieder friedlich. Weiterhin strömen Menschen ins Zentrum Kiews, Demonstranten errichten die von den Sicherheitskräften abgebauten Barrikaden erneut.

Im Laufe des Tages wird die EU-Vertreterin Ashton zu Gesprächen mit Janukowitsch zusammenkommen. In einer bereits veröffentlichten Erklärung zeigte sie sich "traurig" über den Polizeieinsatz. "Die Auseinandersetzung der Behörden mit der Gesellschaft hätte nicht gewalttätig im Schutze der Nacht stattfinden sollen." Ashton hatte am Dienstag kurz den Majdan-Platz besucht. EU-Vertreter betonen weiterhin, dass die Türen für das Assoziierungsabkommen offen stünden.

Großkundgebung am Freitag

Spätestens am Freitag könnte die Situation erneut eskalieren. Dann werden Massenkundgebungen erwartet. Der ehemalige Innenminister Juri Luzenko forderte die ukrainischen Sicherheitskräfte auf, sich zwischen den Volk und den "autoritären Herrschern" zu entscheiden.

Immer wieder gibt es Gerüchte, wonach Sondereinheiten aus dem europafreundlicheren Westen des Landes die Teilnahme an den Anti-Protest-Einsätzen verweigert hätten.

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