Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Wo Richter mit Beeren und Honig reich werden

Die Ukraine bekommt ein Anti-Korruptions-Gericht, viele der Juristen sind aber fragwürdig.

Von Florian Hassel

KiewWiktoria Schownowatjuk schien sich ihrer Sache sicher zu sein, als sie sich als Richterin am neuen Hohen Gericht für Anti-Korruption (AKG) bewarb. Das neu geschaffene Gericht soll in der von Korruption geplagten Ukraine einer der wichtigsten Reformschritte hin zur Rechtsstaatlichkeit werden. Richterin Schownowatjuk arbeitete bereits an einem wichtigen Kiewer Gericht, die Qualifikationskommission ukrainischer Richter hatte sie nach Anhörungen und Tests unter Dutzenden Kandidaten auf Platz 1 gesetzt. Doch als Schownowatjuk am 23. Januar frisch frisiert und im weißen Kostüm zur Anhörung Platz nahm, kam es anders. Diesmal saßen nicht nur ukrainische Juristen am Tisch. Als Gegenleistung für neue Milliardenkredite an Kiew hatten westliche Regierungen, die EU und der Internationale Währungsfonds darauf bestanden, dass bei der Auswahl ausländische Experten dabei sein und ein Veto gegen Kandidaten einlegen können.

Kandidaten wie Viktoria Schownowatjuk: Die hatte sich auf ihrem Facebook-Konto gegen die Schaffung eben jenes Anti-Korruptions-Gerichtes ausgesprochen, für das sie sich nun bewarb. Aufgefallen war sie als Untersuchungsrichterin durch zweifelhaftes Verhalten am berüchtigten Kiewer Solomiansky-Bezirksgericht. Dort hatte sie - wieder via Facebook - bei einer Ermittlung gegen einen wegen Korruption angeklagten Ex-Steuerchef Pressekommentare empfohlen, die den Beamten als zu Unrecht verfolgt darstellten. Das Verhalten der Richterin wecke "bedeutende Zweifel an ihrer Integrität und professionellen Fähigkeiten", kommentierte Lorna Harris, eine britische Staatsanwältin, die zu den westlichen Experten gehörte.

Solche Zweifel hegen auch die meisten Ukrainer. Nur jeder zehnte vertraut Richtern auch nur halbwegs, zeigte eine Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie; dies ist der geringste Vertrauenswert unter allen staatlichen Institutionen. Gerichte und die Generalstaatsanwaltschaft gelten als politisch kontrolliert, als korrumpierbar. Ermittlungen werden oft mit Beteiligung von Staatsanwälten und Richtern unterdrückt, Anklagen und Verfahren verschleppt. Die Folge: Fünf Jahre nach der Revolution auf dem Kiewer Maidan sitzt kein einziger hoher Staatsdiener wegen Korruption in Haft.

Trotz Maidan-Revolution sitzt kein einziger hoher Staatsdiener wegen Korruption in Haft

Selbst massive Zweifel an der Integrität von Richtern bleiben meist folgenlos. Vermögen etwa, die mit den offiziellen Gehältern unerklärbar sind. "Als 2018 das Oberste Gericht neu besetzt wurde, wurden Dutzende korrupte oder durch Unrechtsentscheidungen diskreditierte Richter berufen. Und das, obwohl engagierte Juristen und Bürgergruppen den Berufungsgremien detaillierte Belege für Fehlverhalten vorgelegt hatten", sagt Halia Chischik vom Rat für Öffentliche Integrität. Die sechs westlichen Experten, die Richterin Schownowatjuk Ende Januar befragten, ließen sich mit Ausreden und angeblich verlegten Dokumenten aber nicht abspeisen. Anthony Hooper, Vorsitzender des Expertengremiums, war Richter und sogar Berater der englischen Königin, er ermittelte im Auftrag der Weltbank oder der Internationalen Leichtathletikföderation in Korruptionsaffären. "Sie haben meine Frage nicht beantwortet: Ja oder Nein?", nahm er Richterin Schownowatjuk ins Kreuzverhör. So ein Vorgehen hatten die Ukrainer bei der Besetzung hoher Staatsämter noch nie erlebt.

Im Gegenteil. Gut drei Jahre lang hatten Präsident Petro Poroschenko und seine Verbündeten die Gründung des Anti-Korruptions-Gerichts verschleppt, wohl aus Furcht, selbst einmal davorzustehen. Als das Parlament die Gründung des Gerichts auf Druck der Geldgeber im Sommer 2018 endlich beschloss, versuchte es weiter, Sicherungen einzubauen. Nur knapp vier Wochen sollten die Experten haben, um die 113 Kandidaten für die 39 Richterstellen zu überprüfen und gegebenenfalls ein Veto einzulegen. Erst Ende Dezember teilte Kiew mit, wer in die Endauswahl kam, weniger als eine Woche später lief schon die Frist für Vorladungen an zweifelhafte Kandidaten ab. "Die Ukrainer glaubten, dass die Fachleute so niemals eine gründliche Prüfung schaffen würden", sagt ein europäischer Diplomat in Kiew.

Hinter den Kulissen hatte deren Arbeit aber längst begonnen. Das Kiewer Büro der International Development Law Organization (IDLO), einer internationalen Organisation für Justizreform, hatte Monate zuvor sechs ukrainische Juristen angeheuert, die Urteile sowie Vermögens- und Steuererklärungen infrage kommender Richterkandidaten prüften. Von den 113 Kandidaten erweckten 49 sofort Zweifel bei den Experten. Bei Anhörungen, die live im Internet übertragen wurden, gingen dann auch Dutzende der von Kiew für geeignet erklärten Richterkandidaten im Kreuzverhör unter. Ein Richter erklärte seinen Wohlstand mit angeblich bar aus Russland mitgebrachten Rubel-Millionen. Zwei andere erklärten ihre Reichtümer mit dem Verkauf selbstgemachter Nudeln, wildgepflückter Beeren und gesammeltem Honig. Ein weiterer wollte seine Villa vom Opa geschenkt bekommen haben. Der habe es versäumt, dies schriftlich festzuhalten. Gegen diese Kandidaten - und gegen Richterin Wiktoria Schownowatjuk - legten Hooper und seine Kollegen ein Veto ein.

Als die Anhörungen endeten, hatten die Experten 39 von 113 Kandidaten ausgeschlossen. Weitere zogen ihre Kandidatur zurück, um sich das Kreuzverhör zu ersparen. "Es ist das erste Mal, dass bei der Besetzung von Richterstellen in der Ukraine begründete Zweifel an Integrität oder Fähigkeiten reichen, um einen Kandidaten von einem so wichtigen Amt auszuschließen", sagt Hooper. "Es ist ein großer Schritt vorwärts - wenn auch nur der erste Schritt."

Welche der übrig gebliebenen 71 Kandidaten Richter am Anti-Korruptions-Gericht werden, bestimmen nun aber wieder ukrainische Gremien, zusammen mit Präsident Poroschenko. Bis zum Sommer soll das Gericht seine Arbeit aufnehmen. "Die westlichen Fachleute haben hervorragend gearbeitet", sagt ein westlicher Diplomat. "Doch bei aller Begeisterung: Es heißt noch lange nicht, dass korrupte Offizielle in der Ukraine tatsächlich einmal im Gefängnis landen."

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Quelle:
SZ vom 25.02.2019
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