Ukraine:"Wir wollen sicher leben"

Der Kaukasus-Konflikt und eine zerbrochene Regierung beschäftigen derzeit die Ukraine. Im SZ-Interview spricht Außenminister Ohrysko über den Nato-Wunsch seines Landes in Zeiten der Krisen.

Thomas Urban

Erst hat der Kaukasus-Konflikt Ängste in der Ukraine ausgelöst, nun ist in Kiew auch noch die Regierung zerbrochen, welche die Parteien von Präsident Viktor Juschtschenko und Premierministerin Julia Timoschenko gebildet haben. Die Süddeutsche Zeitung sprach mit Außenminister Wolodymyr Ohrysko, 52.

Ukraine: Aktivisten einer NATO-freundlichen Partei protestieren mit ukrainischen Flaggen gegen die Ansprüche Russlands auf die zur Ukraine gehörende Halbinsel Krim

Aktivisten einer NATO-freundlichen Partei protestieren mit ukrainischen Flaggen gegen die Ansprüche Russlands auf die zur Ukraine gehörende Halbinsel Krim

(Foto: Foto: AFP)

SZ: Was bedeutet dieser Bruch für die Ukraine angesichts der Georgien-Krise?

Ohrysko: Wichtig ist, dass der Präsident und auch die Regierungschefin die territoriale Integrität Georgiens gefordert haben, so wie die EU. Hier sprechen wir also alle eine gemeinsame Sprache.

SZ: Hat der Georgien-Konflikt die Annäherung der Ukraine an Nato und EU erleichtert oder erschwert?

Ohrysko: Das hängt jetzt stark von Deutschland ab. Nach den Ereignissen im Kaukasus ist auch in Berlin vielen klar geworden, dass die Welt sich verändert hat, dass leider eine rote Linie überschritten wurde. Kein Staat kann seine Sicherheit heute allein sichern. Wir hätten die heutige Situation nicht, wenn Georgien schon am Beitrittsprogramm der Nato teilnähme.

SZ: Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew hat kürzlich seine Grundsätze vorgestellt, denen zufolge russische Bürger überall in der Welt verteidigt werden müssen, Russland überdies Interessengebiete beansprucht. Sieht die Ukraine mit ihren vielen russischsprachigen Bürgern darin eine Bedrohung?

Ohrysko: Dass Russland seine Bürger überall, also auch im Ausland, schützen will, stellt ein neues besonderes Problem dar. Normalerweise ruft ein Land seine Bürger aus einer Gefahrenzone in die Heimat zurück. Wenn aber dieses Argument als Vorwand benutzt wird, um gegen andere Länder vorzugehen, so ist dies selbstverständlich nicht akzeptabel.

SZ: Besonders die Halbinsel Krim, auf der die russische Schwarzmeerflotte bis 2017 den Hafen Sewastopol gepachtet hat, gab zuletzt Anlass für Spannungen zwischen Kiew und Moskau. Können Sie bestätigen, dass an Einwohner der Krim in großer Zahl russische Pässe ausgegeben werden?

Ohrysko: In der Tat gibt das russische Generalkonsulat in Simferopol Pässe an dort lebende Bürger aus. Wir haben die russische Seite gebeten, uns über deren Anzahl zu informieren. Wir haben keine Antwort bekommen. Wir werden Maßnahmen ergreifen, dies zu unterbinden. Denn unsere Verfassung verbietet die doppelte Staatsbürgerschaft.

SZ: Der Vorsitzende des Stadtsowjets von Sewastopol erklärte, wenn die Ukraine der Nato beitritt, sei Blutvergießen auf der Krim unvermeidlich.

Ohrysko: Quatsch!

SZ: Wie stehen die Ukrainer zur Nato?

Ohrysko: Nach dem Ausbruch des Georgien-Konflikts ist die Zahl unserer Landsleute, die sich für einen Nato-Beitritt aussprechen, deutlich gewachsen und übersteigt längst die der Gegner.

SZ: Aber auf der Krim gibt es immer wieder Demonstrationen dagegen.

Ohrysko: Die meisten Demonstranten werden aus dem Ausland bezahlt. Sie bekommen am Tag bis zu 30 Dollar.

SZ: Was erwarten Sie von der EU ?

Ohrysko: Bedauerlicherweise handelt die EU nicht sehr zielorientiert. Wir denken, dass man grundsätzlich eine klare Position beziehen sollte: Dies akzeptieren wir, jenes aber nicht. Nur wenn die EU und auch die Nato mit einer Stimme reden, haben sie eine Zukunft. Die Frage ist, ob sie überhaupt eine Zukunft haben können, wenn sie dies nicht tun.

SZ: Was schlägt Kiew denn in Bezug auf Moskau vor?

Ohrysko: Wir müssen die Einhaltung internationaler Regeln fordern, andererseits dürfen wir Russland nicht aus den europäischen Prozessen ausschließen, wir dürfen es nicht isolieren. Im Gegenteil: Wir sollten mit den Russen daran arbeiten, dass die Welt sicherer wird.

SZ: Welche Rolle soll die Ukraine dabei spielen?

Ohrysko: Wir möchten ein Teil der demokratischen Welt sein und den russischen Nachbarn zeigen, dass es auch einen anderen Weg gibt als den der Konfrontation und des Konflikts, nämlich den der Demokratisierung. Für uns ist Russland nach der EU der zweitwichtigste Handelspartner, und wir wollen diese Kontakte nicht verlieren. Doch hat niemand das Recht, die Wahl unseres politischen Weges zu beeinflussen.

SZ: In Russland aber gibt es erhebliche Vorbehalte gegen einen Nato-Beitritt.

Ohrysko: Aus Moskau hören wir immer wieder den Vorwurf, dass in der Ukraine nach einem Nato-Beitritt amerikanische Militärbasen entstünden. Meine Antwort ist einfach: Unsere Verfassung verbietet ausländische Stützpunkte. Es gibt nur eine Ausnahme: die russische Schwarzmeerflotte, dies aber nur bis 2017. Ferner hören wir: Als Nato-Land würde die Ukraine Atomwaffen stationieren. Auch hier muss ich auf die Verfassung verweisen, die dies verbietet.

SZ: In Moskau verhallt dies ungehört.

Ohrysko: Wir verstehen nicht, dass unsere Nachbarn unsere Entwicklung Richtung Demokratie und Wohlstand als antirussisch wahrnehmen. Wir wollen sicher leben, mit einer aufblühenden Wirtschaft, die Wohlstand ermöglicht, in demokratischen Verhältnissen. Was kann daran schlecht sein? Wir schaffen keine zusätzlichen Spannungen, das sind Hirngespinste. Überdies ist die Nato Garant für eine demokratische Entwicklung.

SZ: Und wenn der Weg für die Ukraine vorläufig gesperrt bliebe?

Ohrysko: Wir müssten aufrüsten, um uns besser schützen zu können. Das dafür investierte Geld würde dann für die Zivilgesellschaft fehlen. Es gibt sogar erste Stimmen im Parlament, dass die Ukraine dann wieder eine Atommacht werden müsste. Aber würde dadurch unsere Sicherheit erhöht? Oder die von ganz Europa? Natürlich nicht.

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