Zum dritten Mal seit Beginn des russischen Angriffskriegs haben sich in Berlin die Unterstützer der Ukraine zu einer Wiederaufbaukonferenz versammelt. Sie folgt auf Treffen in Lugano und London in den vergangenen beiden Jahren. Laut der Bundesregierung soll das Treffen mit mehr als 2000 Teilnehmern aus mehr als 60 Ländern eine längerfristige und breitere Perspektive für die Ukraine aufzeigen, bei der zunehmend der soziale und gesellschaftliche Wiederaufbau einbezogen werden soll. Mit Blick auf die Wirtschaft ist das Ziel insbesondere, private Unternehmen und privates Kapital zu mobilisieren. Denn mit öffentlichen Geldern alleine ist der Wiederaufbau nicht zu finanzieren, wie Bundeskanzler Olaf Scholz bekräftigte. Dafür wurden in Berlin Initiativen auf den Weg gebracht. Eine Übersicht.
Hilfszusagen für Energieversorgung: Zwar war das Treffen ausdrücklich nicht als Geberkonferenz geplant, sondern als Forum zur Vernetzung von Akteuren aus Regierungen, Wirtschaft, Kommunen und Zivilgesellschaft. Doch erhielt die Ukraine in Berlin neue Zusagen in Milliardenhöhe, vor allem zur Stabilisierung der Energieversorgung. Kraftwerke und Stromnetz sind durch massive russische Angriffe stark beschädigt. Man müsse sich jetzt auf den Winter vorbereiten, sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba. Die US-Sondergesandte Penny Pritzker kündigte ein Hilfspaket von 824 Millionen Dollar für die Energieinfrastruktur an, davon seien 500 Millionen neu bewilligt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte, die EU habe fast 500 Millionen Euro für dringende Reparaturen mobilisiert. Zusätzlich würden 1000 weitere Generatoren und Tausende Solarmodule geliefert. Insgesamt werde die Ukraine bis Ende Juni zusätzlich 1,9 Milliarden Euro aus dem Unterstützungsprogramm der EU erhalten, das bis zu 50 Milliarden Euro umfasst.
Ausbau der Wirtschaftsförderung: Bundesregierung, EU, Weltbank, die japanische Agentur für internationale Zusammenarbeit und weitere Partner wollen den ukrainischen Business Development Fund ausbauen zu einer unabhängigen staatlichen Finanzierungsinstitution. Vorbild ist die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Als wichtigstes Projekt soll eine Allianz für kleine und mittlere Unternehmen entstehen, die für ein Engagement und Investitionen in der Ukraine gewonnen werden können. Kanzler Scholz wies darauf hin, dass trotz des Krieges allein 35 000 Menschen in der Ukraine für die deutsche Autoindustrie arbeiten. Die Bundesregierung bündelt Informationen über Fördermöglichkeiten für Unternehmen, die sich in der Ukraine engagieren wollen. Über die Europäische Investitionsbank stellte die EU ukrainischen Banken Garantien bereit, sodass diese bis zu eine Milliarde Euro an Krediten an Mittelständler vergeben können. Dazu kommen 300 Millionen Euro an Exportgarantien für Lieferungen in die Ukraine und 100 Millionen Euro direkte Hilfen zum Wiederaufbau zerstörter Infrastruktur.
Versicherung von Kriegsrisiken: Um das Risiko für Unternehmen bei Investitionen in der Ukraine zu begrenzen, sollen die Möglichkeiten für die Versicherung von Kriegsschäden deutlich ausgeweitet werden. Hier ist Deutschland Vorreiter; das Bundeswirtschaftsministerium vergibt Garantien an deutsche Unternehmen, mit denen die Investitionssumme bis auf eine geringe Selbstbeteiligung abgesichert werden kann. Das Volumen deutscher Garantien hat sich in den vergangenen zwölf Monaten auf 340 Millionen Euro verdoppelt. Ähnliche Mechanismen sollen in anderen Ländern entstehen. Zudem sollten auf der Konferenz Gespräche mit Vertretern von Versicherungen und Rückversicherern stattfinden, um private Versicherungsangebote zu fördern.
Arbeitskräfte für den Wiederaufbau: Mehr als 50 Staaten und internationale Organisationen gründen eine Ausbildungsallianz, damit das Angebot an qualifizierten Fachkräften nicht zum Engpass des Wiederaufbaus wird. Ziel ist es, über drei Jahre hinweg insgesamt 180 000 vor allem junge Menschen aus- und fortzubilden. Die Initiative soll mit 700 Millionen Euro finanziert werden. Zudem sollen Frauen eine größere Rolle beim Wiederaufbau übernehmen, da viele Männer an der Front kämpfen. Schon jetzt wird die Mehrheit der neuen Unternehmen in der Ukraine von Frauen gegründet. Auch sollen die Ukrainerinnen und Ukrainer, die in anderen europäischen Ländern Zuflucht gesucht haben, eine wichtige Rolle übernehmen, wie Scholz sagte. In der EU sind das derzeit ungefähr 4,2 Millionen Menschen, in Deutschland etwa 1,3 Millionen.
Vernetzung von Regionen und Kommunen: Der Ukraine und auch dem Gastgeber Deutschland war es wichtig, Vertreter der Regionen, Städte und Gemeinden sowie der Zivilgesellschaft beider Länder in Berlin zu versammeln, unter ihnen den Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko. Mehr als 200 Partnerschaften verbinden auf regionaler und kommunaler Ebene die beiden Länder. In der Praxis haben sie sich als sehr nützlich erwiesen, um praktische Bedürfnisse und Probleme in der Ukraine zu lösen. Derartige Partnerschaften sollen deshalb weiter gefördert werden; die Konferenz sollte Gelegenheit zum Austausch bieten. Auch soll ein internationales medizinisches Netzwerk aufgebaut werden für Partnerschaften mit Krankenhäusern in der Ukraine.
Korruptionsbekämpfung und Reformen: Zwar lobte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Fortschritte der Ukraine bei den von der EU verlangten Reformen und schlug vor, schon Ende des Monats Beitrittsverhandlungen aufzunehmen – ein Schritt, den die EU-Mitgliedstaaten noch billigen müssten. Allerdings dringen die Bundesregierung und auch die USA auf weitere Reformen. Korruption sei weiterhin ein großes Problem, heißt es in Berlin. Rechtsstaatlichkeit ist aber nicht nur ein wichtiges Kriterium auf dem Weg in die EU, sondern, wie es die US-Sondergesandte Pritzker formulierte, auch eine zentrale Voraussetzung für private Investitionen und die internationalen Geber. Der ukrainische Außenminister Kuleba warb dafür, der Ukraine zu vertrauen, gerade beim Thema Korruptionsbekämpfung zeigt man sich aber in der Bundesregierung noch nicht zufrieden.