Ukraine:Wer vergiftete Juschtschenko?

Im September war Juschschtenko bei der Geheimdienstführung zu einem Abendessen eingeladen. Stunden später brach der Politiker mit rasendem Kopfweh und akuten Bauchschmerzen zusammen. Aber wäre ein Anschlag zu diesem Treffen nicht zu offensichtlich?

Auf den ersten Blick fügen sich die Puzzleteile um den Giftanschlag auf den ukrainischen Oppositionspolitiker Viktor Juschtschenko zu einem scheinbar perfekten Bild.

Im Wahlkampf zeichnete sich bereits Anfang September eine Niederlage der alten Staatsmacht ab. Die Geheimdienstführung lud Juschtschenko zu einem Abendessen ein. Stunden später brach der Politiker mit rasendem Kopfweh und akuten Bauchschmerzen zusammen.

Keine konkreten Schuldzuweisungen

Nicht erst seit der Dioxin-Diagnose seiner Ärzte in Wien ist Viktor Juschtschenko davon überzeugt, dass man ihn aus politischen Motiven umbringen wollte. Bis heute hat es der Politiker aber vermieden, konkrete Schuldzuweisungen auszusprechen.

Bei allen nahe liegenden Verdächtigungen gegen den Machtapparat spricht vieles gegen das Szenario, der Geheimdienst habe Juschtschenko auf Anordnung der alten Staatsführung ermorden sollen.

Wäre Juschtschenko nach dem Abend mit Geheimdienst-Chef Igor Smeschko tatsächlich an den Folgen eines Giftanschlags gestorben, hätte sich der Tatverdacht sofort gegen den Staatsapparat gerichtet.

Um den Oppositionspolitiker mit Hilfe geheimer Mittelchen aus dem Giftschrank des Geheimdienstes zum Schweigen zu bringen, hätte es dafür im Wahlkampf unzählige weniger eindeutige Gelegenheiten gegeben.

Medizinisch lässt es sich Monate später nicht mehr eindeutig bestimmen, zu welcher Stunde genau Juschtschenko das Dioxin verabreicht wurde.

Der Giftanschlag auf Juschtschenko ist nicht das erste Verbrechen in der Ukraine, das ein denkbar schlechtes Licht auf den Staatsapparat um den scheidenden Präsidenten Leonid Kutschma wirft.

Im Jahr 2000 wurde der Journalist Georgi Gongadse nach einer Reihe Kutschma-kritischer Artikel in der Internet-Zeitung Ukrainskaja Prawda verschleppt und zweifelsohne ermordet.

Sein Leichnam ist bis heute nicht eindeutig identifiziert. Die Justiz sprach Monate später von einem "spontanen Verbrechen" ohne politischen Hintergrund.

Über Monate und Jahre hatte die Opposition Aufklärung im Fall Gongadse verlangt und mit ihren Protesten die Ukraine an den Rand einer Staatskrise gebracht.

In heimlich mitgeschnittenen Tonbandaufzeichnungen aus dem Arbeitszimmer Kutschmas war nach Angaben der Opposition zu hören, wie der Präsident von seinen Mitarbeitern verlangte, dem widerspenstigen Gongadse eine Abreibung zu verpassen.

In beiden Fällen könnte es sich nach Ansicht von Beobachtern in Kiew möglicherweise um "vorauseilenden Gehorsam" des Machtapparates ohne unmittelbares Wissen des Präsidenten handeln.

Viktor Juschtschenko steht vor der großen Chance, mit einem Sieg bei der wiederholten Stichwahl als neuer Präsident alle Hebel für eine Aufklärung der Fälle in Bewegung zu setzen.

Bis dahin bliebe allerdings noch genug Zeit, eventuell vorhandene Beweise für eine Beteiligung am Giftanschlag auf Juschtschenko zu vernichten. Im Fall Gongadse deutet manches auf eine ähnliche Lösung hin.

Der Mordfall lasse sich nicht aufklären, hatte die Justiz im Mai 2001 geurteilt. Die beiden Mörder Gongadses seien selbst einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen, lautete die Begründung.

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