Ukraine:Warum der Ukraine das Ja zum Waffenstillstand so schwer fällt

Steinmeier besucht die Ukraine

Treffen im ukrainischen Sloviansk: Außenminister Frank-Walter Steinmeier (mit lila Krawatte) und sein französischer Amtskollege Jean-Marc Ayrault (3.v.r.).

(Foto: Rainer Jensen/dpa)
  • Der Krieg zwischen der Ukraine und den von Russland getragenen Separatisten dauert nach wie vor an.
  • 700 OSZE-Mitarbeiter sind vor Ort. Es soll alles versucht werden, um den Konflikt zu befrieden. Auch Außenminister Steinmeier hat die Front besucht.
  • Mit dabei: Steinmeiers französischer Amtskollege Jean-Marc Ayrault. Gemeinsam versuchen beide, den Stillstand aufzubrechen.

Von Stefan Braun, Kramatorsk

Von oben sieht es ganz friedlich aus hier. Goldgelbe Felder, dazwischen grüne Busch- und Baumreihen, das alles auf sanften Hügeln - wer an diesem Septembermorgen mit dem Hubschrauber von Djenpro gen Osten Richtung Sonne aufbricht, könnte sich für einen Moment fast wie über der Toskana fühlen. Ja, ein paar Zypressen fehlen, und es ist verdammt trocken. Aber es kann einen schon das Gefühl beschleichen: ziemlich schön hier.

Eine knappe Stunde später, Landung in Kramatorsk, weit im Osten der Ukraine. Hier, am Flughafen, fällt sofort anderes auf: Stacheldraht, Panzer, Stellungen unter Tarnnetzen, jede Menge Soldaten. Die Front ist noch ein wenig entfernt, aber der Krieg bestimmt den Alltag. Das gilt auch für die Mitarbeiter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Landesweit sind es gut 700, in Kramatorsk haben 150 von ihnen ihr Basislager. Seit anderthalb Jahren begleiten sie einen Konflikt, bei dem schon mehr als 9500 Menschen starben. Von hier aus starten sie ihre Inspektionen und bringen ukrainischen Soldaten bei, sich vor Minen, Bomben, Sprengsätzen zu schützen.

Der Einsatz ist für die OSZE der größte ihrer Geschichte. Noch nie hat sie so viel Personal, Geld und Technik in einen Einsatz geschickt. Es soll eben alles versucht werden, um den Krieg zwischen der Ukraine und den von Russland getragenen Se-paratisten zu befrieden. Gelungen ist das bislang allerdings kaum. Seit Monaten gibt es fast keinen Tag, an dem die OSZE-Beobachter nicht von Schüssen, Explosionen, Verletzungen berichten. Also hat sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) angemeldet; als Vorsitzender der OSZE will er ihnen den Rücken stärken.

Mit dabei ist sein französischer Amtskollege Jean-Marc Ayrault; gemeinsam versuchen sie, den Stillstand aufzubrechen. Also sitzen sie im OSZE-Lagezentrum, und Missionschef Ertuğrul Apakan berichtet. Apakan ist kein Mann für dicke Schlagzeilen. Diesmal aber hat er eine Nachricht, die Hoffnung andeutet. Den ganzen Vormittag herrsche Stille an der 500 Kilometer langen Frontlinie; seit Mitternacht halte die Waffenruhe. Jedenfalls weitgehend.

Der ukrainischen Führung fiel das Ja schwer

Da ist sie endlich, die Botschaft, auf die alle so lange warten. Und dazu die Bestätigung, die Steinmeier und Ayrault haben wollten. Am Abend davor sind sie in Kiew gewesen und haben dem ukrainischen Präsidenten die Zusage abgerungen, ein russisches Angebot zu einer siebentägigen Waffenruhe anzunehmen. Über Details solcher Treffen ist wenig zu erfahren. Aber richtig scheint zu sein, dass Poroschenko sich wendete und drehte, bevor er zusagte.

Wie schwer der ukrainischen Führung das Ja fiel, zeigte Außenminister Pavlo Klimkin. Er nannte beim Auftritt mit Steinmeier und Ayrault tausend Bedingungen für einen Fortschritt und verschwieg den Beschluss seines Präsidenten. So musste Steinmeier es unters Volk bringen.

Vorausgegangen war ein deutliches Signal der Gäste an Poroschenko, dass die Russen Steinmeier vor der Reise in die Hand versprochen hätten, auf ihrer Seite eine Waffenruhe durchzusetzen. Dass das so deutlich wie nie zuvor zeigt, wie groß Moskau selbst seinen Einfluss auf die Separatisten einschätzt, ist der russischen Führung offenbar nicht so wichtig. Sie will zeigen, dass sie alles kann, wenn sie nur möchte. Hätte Poroschenko in der Situation Nein gesagt, wäre er plötzlich wie der Hauptaggressor erschienen.

Alles ist brüchig, alles wackelt, nichts ist sicher

Warum Kiew das gleichwohl schwerfällt, kann man in Kramatorsk studieren. Zum Beispiel am ehemaligen Krankenhaus von Slawiansk. Früher war es das wichtigste Krankenhaus für psychisch Kranke; heute steht nur noch eine zerschossene Ruine, die mühsam aufgebaut werden soll. Nicht weit davon entfernt liegt eine zerstörte Brücke wie eine offene Wunde in der Landschaft.

Etwas anderes indes schmerzt Kiew noch stärker: dass die in Minsk festgeschriebene Frontlinie überholt ist. Sie steht zwar noch im Abkommen. Aber faktisch ist sie längst verschoben. Durch viele kleine Kämpfe konnten die Separatisten ihr Gebiet seit Februar 2015 um mehrere tausend Quadratkilometer ausdehnen. Dies zu schlucken dürfte Kiew noch schwer fallen. Dass Steinmeier während des Besuchs mehrfach betont, man werde immer für eine unabhängige, einige Ukraine eintreten, lindert den Schmerz wenig. Längst wird deutlich, dass auch Berlin und Paris an der neuen Frontlinie nichts mehr scheitern lassen möchten. Wie sagt es Steinmeier am Mittag: Die Menschen in der Ostukraine hätten "seit vielen Monaten nicht mehr eine so ruhige Nacht erlebt wie diese". Das klingt erleichtert - aber auch wie ein Appell. So wackelig diese Waffenruhe zustande kam, so wichtig könnte sie werden.

Seit Wochen mühen sich Berliner Diplomaten um eine neue Vereinbarung, die alle Seiten zu einer Waffenruhe, einem umfangreichen Rückzug und der Vorbereitung von Lokalwahlen verpflichtet. Das Dokument liegt unterschriftsreif bereit; zuletzt hat Kiew noch mal Nein gerufen. Nun heißt es, am nächsten Dienstag würde es unterschrieben.

Das wäre die nächste Etappe. Ob es so kommt? Als Steinmeier nach dem Besuch an der Brücke in seinen Wagen steigt, ruft ein Mann ihm zu, ganz in der Nähe habe es wieder Angriffe gegeben. Prompt erklärt der ukrainische Außenminister Klimkin, er werde den Russen nie vertrauen. So schnell geht es, und schon klingt vieles wieder sehr unversöhnlich.

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